Die Aluminium-Krücke

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Da ich die erste Halbzeit von Terror by Night schon nicht sonderlich aufregend fand, wurde die zweite Halbzeit noch einmal ein ganzes Stück langweiliger.

Zum einen lag das natürlich daran, dass Sherlock mir mehr oder weniger bestätigt hatte wer der Mörder war und somit die spannende Komponente des Krimis wegfiel. Zum anderen hing das jedoch auch mit dem Spiel des Alberts zu tun. Der Schauspieler hatte von Anfang an nicht ganz nüchtern gewirkt, doch offensichtlich hatte er sich in der Pause trotzdem noch den einen oder anderen Drink gegönnt. Inzwischen torkelte er mehr über die Bühne, als dass er ging und einmal sprach er die Schauspielerin der Sissy Hastings mit dem Namen Sarah an, vermutlich der Name der Darstellerin. Nach wie vor bemühten sich die anderen Schauspieler das Stück reibungslos über die Bühne zu bringen, doch inzwischen waren ihre Versuche zum Scheitern verurteilt.

Sogar die Zuschauer atmeten auf, als die letzte Szene begann, in der der Detektiv Sidney Paget den Fall auflösen würde. Sämtliche Verdächtigen waren versammelt und der Detektiv schloss nacheinander die Verdächtigen anhand der Beweise aus.

Schließlich wandte er sich zu Albert um und erklärte sachlich: „Damit bleiben nur noch Sie, Albert! Sie haben ihre Mutter getötet, um mit dem Erbe ihre Schulden bezahlen zu können."

„Humbug!", schrie Albert und sprang von dem Stuhl auf. Ich rechnete fast damit, dass der Schauspieler stürzen würde, doch er fing sich in letzter Sekunde mit der Krücke ab, die Albert aufgrund eines Hinkens immer bei sich hatte.

„Wie konntest du nur, Albert?", weinte Sissy Hastings.

„Ich war es nicht", lallte Albert und torkelte auf Sidney Paget zu. „Sie sind ja komplett irre!"

Wütend hob er seine Krücke und verpasste dem Detektiv damit einen Schlag auf den Kopf. Einen Moment lang wankte der Schauspieler noch, dann stürzte er hinten über und rührte sich nicht mehr.

Verwirrt runzelte ich die Stirn, als sämtliche Darsteller auf der Bühne wie eingefroren auf den Detektiv starrten und wie Albert verwundert seine Krücke betrachtete. Mich beschlich das ungute Gefühl, dass etwas so gar nicht nach Plan verlaufen war. In dem Moment wurde der Vorhang zugezogen, doch man sah noch, dass einige Sanitäter auf die Bühne stürmten.

„Was ist passiert?", murmelte Will neben mir.

„Keine Ahnung. Aber das war offensichtlich nicht Teil des Stücks."

Ein entsetzter Schrei drang hinter dem Vorhang hervor und kurz darauf erschien eine junge afrikanische Frau, in einem schicken Business-Kostüm auf der Vorbühne.

„Bitte entschuldigen Sie das unvorhergesehene Ende dieser Vorstellung", erklärte Sie mit zittriger Stimme dem Publikum. „Leider können wir das Stück nicht fortführen und würden Sie daher bitten, das Theater ruhig und geordnet zu verlassen. Das Geld für Ihre Karten können Sie nächste Woche zurückfordern."

Während sie wieder hinter den Vorhang verschwand, wurden die Zuschauer unruhig. Keiner machte Anstalten aufzustehen und den Saal zu verlassen. Einige fragten laut, was denn genau passiert sei, doch natürlich wusste keiner die Antwort.

„Vielleicht sollten wir den Anfang machen und gehen?", fragte Caroline vorsichtig, doch ich achtete nicht auf sie.

Ich hatte eine hochgewachsene Gestalt entdeckt, die sich zur Bühne vorarbeitete und Anstalten machte, diese zu erklimmen.

„Entschuldigt mich bitte", murmelte ich schnell und sprang auf. Gerade als Sherlock sich auf der Vorbühne aufrichtete trat ich an die Kante und machte den Detektiv auf mich aufmerksam.

„Sherlock, was ist passiert?", fragte ich ihn, während er sich zu mir hinunter beugte und mich auf die Bühne zog.

„Ich bin mir noch nicht sicher", brummte er und wühlte sich mit mir durch den Vorhang. Dahinter stolperten wir beinahe in eine Gruppe Menschen, die sich um die Sanitäter herum versammelt hatten. Die Schauspielerin des Hausmädchen Jade saß völlig aufgelöst daneben und weinte hemmungslos.

Ich will keine perfekte Liebe, ich will deine!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt