Der Morgen danach

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Als ich aufwache, dröhnt mein Kopf. Schemenhafte Erinnerungen überfluten mich.

Ich in der Disko mit dem Typen. Die Paparazzi. Alex. Ich über der Toilettenschüssel.

Der Kuss. Das Blitzlichtgewitter. Alex' Zurückweisung. Moment mal. Ich stehe auf und fahre zusammen, als ich sehe, dass Alex neben mir liegt. Ich fahre mir mit einer Hand durch meine Haare. Das darf doch nicht wahr sein! Mein Blick begegnet dem Spiegel gegenüber von mir und ich stocke. Das ist ganz eindeutig nicht mein T-Shirt, das ich da trage! Meine Haare sind verwuschelt aber noch geglättet von gestern. Meine Augen sind leicht rot. Mist!

Hinter mir regt sich Alex. Er blinzelt mich an. An den Augenblick könnte ich mich leicht gewöhnen... Genug jetzt. Ich versuche ruhig zu sprechen und das Zittern in meiner Stimme zu unterdrücken: "Du hast jetzt genau eine Minute Zeit aus meinem Bett zu verschwinden. Ich werde jetzt ins Bad gehen und wenn ich zurückkomme, erwarte ich, dass du da weg bist!" Ich fahr mir erneut mit meiner Hand durch meine Haare. "Das kann echt alles nicht wahr sein!", murmele ich leise.

"Das brauchst du mir nicht zu sagen!", ertönt es vorwurfsvoll von ihm. "DU warst gestern völlig durch den Wind." Das brauche ich mir jetzt echt nicht gefallen zu lassen!

"Ach ja?! Oh nein! Ich werde sterben! Ist ja nicht so, als wäre das mein erstes Mal gewesen..."

Ich sehe, dass er zusammen zuckt. "Was bist du denn für ein Moralapostel?! Ich bin 16 Jahre alt! Und nur nebenbei, die Augentropfen hier auf meinem Schminktisch liegen nicht da, weil ich Augenschmerzen hab." Ich lache kurz auf und freue mich, weil ich sehe, dass er getroffen ist. Ich greife mir frische Unterwäsche, einen Push-up BH, eine dunkelblaue verwaschene und teilweise zerrissene Jeans sowie ein Bandeau und ein Bloggertop. Dann husche ich vorsichtig ins Bad, weil ich nicht möchte, dass meine Mutter mich in dieser Verfassung - mit roten Augen und Alex' T-Shirt, das mir nur knapp über meinen Arsch reicht - sieht.

Nachdem ich geduscht habe, und meine Haare geföhnt hab, mache ich mir einen seitlichen Fischgrätenzopf, der dann doch eher ein bisschen messi wird. Das liegt nicht an meinen zitternden Händen! Ich bin so sauer auf Alex! Ich könnte - Argh! Ich versuche nicht an seine Zurückweisung denken und gehe in mein Zimmer zurück.

Er hat wohl zwischenzeitlich geduscht, seine Haare sind an den Spitzen noch leicht feucht und locken sich. Ich setze mich kommentarlos an meinen Schminktisch. Vorsichtig tropfe ich mir die Augentropfen in die Augen und sehe erleichtert, dass sie sofort etwas weniger rot werden.

Ich ziehe mir erneut einen Lidstrich, diesmal etwas dünner als gestern Nacht dafür aber ein bisschen länger. Dann pudere ich mein Gesicht und trage Rouge auf. Ich tusche meine Wimpern mit meiner neuen lila Wimperntusche und fange Alex' Blick im Spiegel ein.

"Hör auf mich zu begaffen!", fauche ich ihn an.

"Ich denke, wir sollten über gestern reden."

"War da noch etwas?" Mir ist klar, dass er auf den Kuss anspielen will. "Also ich wüsste nicht, worüber wir reden müssten. Außer der Tatsache, dass du in meinem Bett geschlafen hast, natürlich." Ich tue absichtlich so, als würde ich mich nicht mehr an den Kuss erinnern.

Dann tropfe ich mir erneut Augentropfen in die Augen und bin mit dem Ergebnis zufrieden.

Mit noch etwas mehr Puder und Rouge sehe ich nun endlich nicht mehr aus wie ein Zombie. Ich hülle mich in Parfüm ein, ziehe meinen Ring auf den Zeigefinger und dann noch eine Kette. Hm, ich betrachte mich im Spiegel, bin aber unzufrieden mit meinem Gesamtbild.

Seufzend mache ich den Fischgrätenzopf auf, finde aber die leichten Locken, in denen mein Haar jetzt fällt eigentlich ganz schön. Dann schiebe ich mir meine Ray-Ban-Brille ins Haar, was den erfreulichen Nebeneffekt hat, dass mein Haar nun nicht mehr in mein Gesicht fällt.

Vorsichtig ziehe ich meine Lippen mit meinem roten - diesmal aber in Richtung Bordeauxrot - nach. Dann ziehe ich mir noch kuschelige, bunt geringelte Wollsocken an und hole mir einen Apfel aus der Küche zum Frühstück. Mehr vertrage ich noch nicht.

"Iss das jetzt nicht, Melanie! Ich wollte gerade los, Brötchen holen!", tadelt meine Mutter mich. "Wie war das Feiern?" Ich finde es ziemlich geheuchelt von meiner Mutter, - jetzt wo Alex da ist - einen auf "die Supermama" zu machen und Brötchen holen zu gehen. Normal macht sie das doch auch nie. Moment mal! Auf dem Weg zum Bäcker sind zwei Kiosks! Das letzte, das mir noch fehlt ist, dass meine Mutter mich betrunken als Schlagzeile in der Boulevardpresse sieht! Verdammtes, betrunkenes Ich! Aber vor allem: verdammter Typ! Und ich kenne noch nicht einmal seinen Namen!

"War schön.", sage ich und versuche mir meinen Schock nicht anmerken zu lassen.

"Du, Mutter - Mama -" Die Worte fühlen sich ungewohnt in meinem Mund an. Meine Mutter schaut mich überrascht an - okay vielleicht eher entsetzt als überrascht.

"Was hast du angestellt??"

"Gar nichts!", wehre ich mich empört. "Ich wollte gerade nur anbieten zum Bäcker zu gehen."

Meine Mutter sieht mich mit hochgezogener Augenbraue an.

"Was denn? Ich muss meine neuen Schnürstiefel noch einlaufen. Außerdem - " rede ich schnell weiter, weil sie nicht überzeugt scheint " - will ich mir noch die neue Vogue kaufen." Ich versuche einen zerknirschten Gesichtsausdruck zu machen, damit sie es mir abnimmt.

"Ich weiß doch, dass du das nicht gerne hörst, weil die Vogue so teuer ist und ich damit nur "dem Kapitalismus die Tür öffne".", leiere ich ihren Standartspruch herunter.

Meine Mutter ist zufrieden und lächelt gnädig: "Es ist ja dein Geld. Oder eher das deines Vaters." Ich versuche entspannt zu lächeln und stürme dann aus dem Haus.

"Heeey!", höre ich eine bekannte Stimme hinter mir.

"Was willst du?", drehe ich mich zu Alex um. "Reicht es nicht schon, dass wir in einem Zimmer wohnen?! Musst du mich auch noch außerhalb der Wohnung belästigen?!?!"

"Beruhig dich! Deine Mutter hat mich geschickt, um Wasser zu kaufen, es gibt wohl bei euch keins mehr."

Ich verdrehe die Augen. "Ich kaufe jetzt alle Zeitschriften in dem Kiosk vor dem Bäcker, in denen ich auf der Titelseite stehe. Ich denke auf einer wird es mindestens sein. Wenn ich Pech habe, auf drei bis vier... Vielleicht könntest du ja bei dem Kiosk hier die Straße runter schauen...? Ich gebe dir auch das Geld.", füge ich hastig hinzu.

Er schaute mich einen Moment lang überrascht an und begreift dann, dass ich meine Mutter belogen hab, dann fährt er sich durchs Haar - wie ich diese Geste liebe!

"Ja klar, sicher.", sagt er rasch.

"Danke.", ich schenke ihm ein schiefes Lächeln und laufe.

Der Neue *abgeschlossen*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt