The new me

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Es ist merkwürdig bei meinem Vater zu sein. Auch wenn ich froh bin hier zu sein, weiß ich, dass es auf lange Sicht nichts für mich wäre.
Das ist noch nicht mal die Schuld von meinem Vater. Oder von seiner neuen Frau. Oder von seiner neuen Tochter. Lissy - Elizabeth, was für ein Name... - ist echt süß, aber es fällt mir trotzdem schwer sie mit meinem Vater zu sehen. Sie ist acht - also ein Jahr älter, als ich als mein Vater uns verlassen hat - und sie ist daher mehr seine Tochter als ich es bin.
Wir sind uns einfach fremd geworden. Trotzdem ist er immernoch mein Vater mit den Lachfältchen um den Augen, mein Vater, der mich als kleines Kind immer auf seinen Rücken genommen hat.

4 verpasste Anrufe von Nick
9 verpasste Anrufe von Alex
12 verpasste Anrufe von meiner Mutter

Wow, sie muss ja echt kochen vor Wut. Mein Vater hat bei ihr angerufen, nachdem ich mich geweigert habe, mit ihr zu sprechen.

Melanie, lass uns reden! - Nick

Komm zurück! - Alex

Komm schon, K. Ich weiß, dass du deine Nachrichten liest ;) - Nick

Ich weiß, dass ich dich verletzt habe, aber ich ziehe aus! Ich ziehe aus, wenn das der Grund ist, dass du abgehauen bist! - Alex

Verdammt, geh doch wenigstens an dein Handy! - Alex

Ich weiß, ich bin unwiderstehlich, also mach dir keine Sorgen, dass du über mich hergefallen bist ;) - Nick

Es tut mir Leid! Mel, du fehlst mir! Melde dich doch bitte! - Alex

Komm schon, Melanie! Ich weiß, dass es von dir nicht gewollt war und dass es dir Leid tut! Schwamm drüber, wir vergessen das einfach! - Nick

[...]

Ein Glück, dass meine Mutter keine SMS schreiben kann! Sonst würde ich vermutlich noch mehr vollgespamt werden...
Verstehen sie denn nicht, dass ich einfach nicht mit ihnen reden will?
Vor allem nicht mit Alex. Ich muss mir über mich klar werden: was ich will, was ich brauche. Aber eins weiß ich ganz sicher: Alex brauche ich nicht!
Trotzdem schwach wie ich bin höre ich mir eine der unzähligen Nachrichten an, die er mir auf der Mailbox hinterlassen hat. Mich drängt es einfach danach, seine Stimme zu hören.

Rau und zugleich sanft dringt sie in mein Ohr und von da an direkt durch meinen ganzen Körper:

"Mel. Es tut mir Leid! Komm doch bitte zurück! Ohne dich ist es hier -" er bricht ab "ich vermute mal, du hörst dir das eh nicht an, jedenfalls wollte ich nie, dass es so kommt! Ich wollte dein Leben nicht versauen! Glaub mir, es tut mir genauso weh wie dir. Aber -"

Ich drücke die Nachricht weg.
Genug gequält für heute. Ich atme tief durch und sammle mich wieder.

~~~

Wenig später mustere ich mich kritisch im Spiegel. Ich hätte nie gedacht, dass ich zu so einem Mädchen mutieren würde, aber hier bin ich jetzt. Das neue ich. Mit fransigen kurzen Haaren. Okay, es ist gar nicht soo kurz, aber irgendwie ist es doch ungewohnt. Statt meinen langen Wellen, habe ich nun schulterlange, kräftig durchgestufte braune Haare, die eine Nuance heller sind als vorher.
Wow, ich hab es wirklich getan:
Ich bin einfach zu irgendeinem Friseur marschiert und habe zu ihm gesagt, er solle sich austoben.

Irgendwie bin ich fast ein bisschen schockiert von mir aber das Ergebnis gefällt mir. Die kürzere Haare passen einfach zu mir, zu meiner Art.
Der Friseur meinte, dass meine blauen Augen mit etwas helleren Haaren noch mehr Strahlen würden, also warum nicht.

Es fühlt sich fast so an, als wäre mit den 15cm Haar zusammen eine große Last von meinen Schultern gefallen. Beinahe schon beschwingt laufe ich zu meinem Vater ins Auto.

Er mustert mich anerkennend: "Das kurze Haar steht dir." "Danke.", ich lächele ihm etwas unsicher zu.
"Also Melanie, ich kann dir zwei Angebote machen. Ich schreibe dich für zwei Wochen krank, mit der anschließenden Woche Halbjahresferien hast du bis zu drei Wochen Ferien vor zuhause." Er blickt mich ernst an aber seine strahlenden Augen strafen seine ernste Miene Lügen. "Ich weiß nicht, was da gerade los ist in deinem Leben. Aber ich tippe auf einen Jungen." Ich erstarre. Kann er Gedanken lesen? "Unser Haus - unsere Familie - steht aber auch gerne für länger für dich zur Verfügung. Dann suche ich dir hier eine gute Schule und du kannst mit uns leben." Ich sehe in seinem Blick, dass er sich keine Hoffnung darauf erlaubt, aber dass ihn das unglaublich freuen würde. Plötzlich habe ich einen Kloß im Hals und ich fühle mich wieder so nah zu meinem Vater, als hätte ich ihn nicht die letzten 10 Jahre nur sporadisch gesehen.
Ich falle ihm in den Arm.

"Du bist der allerbeste Papa in der ganzen Welt!", flüstere ich, während ich mich in seinen Armen einfach nur geborgen fühle.

Jetzt liegt es wohl an mir, schätze ich: Hier bleiben und ganz neu anfangen oder zurück zu meinen Problemen gehen?

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Hier bleiben oder zurück zu den Problemen gehen? ;)

Der Neue *abgeschlossen*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt