I don't care

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Immernoch zitternd ziehe ich mir meine Lippen mit einem weinroten Lippenstift nach. Er verschmiert minimal an der linken unteren Ecke, aber in meinem jetzigen Zustand kann ich wohl keine Perfektion erwarten.
Ich werfe einen flüchtigen Blick in den Spiegel: verwuscheltes Haar, verschmierter Kayal, rote Lippen und sehr freizügig ausgeschnittenes Kleid.

Normalerweise würde ich nie so rumlaufen... Wie gesagt, normalerweise.
In einem kurzen Moment der Klarheit ziehe ich mir meine Lederjacke über.
Zumindest den tiefen Rückenausschnitt muss man ja nicht direkt sehen. Sonst könnte ich ja gleich ein Schild mit der Aufschrift Ich-wurde-verlassen-und-meine-Selbstachtung-ist-am-Boden tragen.

Mein Mantra für den heutigen Abend ist, jeden Drink anzunehmen und jeden Tanz zu tanzen.

Ich lasse mich einfach mit den Menschenmassen mitreißen und lande irgendwo.
Laute Musik, hämmernder Beat, Alkohol in Strömen, surreale Lichteffekte in ansonsten völliger Dunkelheit: ein Club wie jeder andere. Genau das, was ich jetzt brauche.

Eine Weile lang geht das echt gut.
Let's face the truth: ich hab die guten Gene von meinem Vater geerbt und kriege haufenweise Drinks und Tanzaufforderungen.

Aber leider veträgt sich die Kombi aus beiden auf die Dauer nicht.
Ich weiß nicht genau, wie viele Drinks ich schon gekippt habe, aber ich bin längst über den normalen Besoffenheitszustand hinaus.
Das bedeutet auch, dass ich nicht mehr in der Lage bin zu tanzen, sondern dass ich einfach nur in der Ecke liege. Mein Hirn ist Matsch.

"Ist das Melanie DaKeinan?", höre ich irgendeine weibliche Stimme fragen. "Was ist denn mit der passiert?"

Es kümmert mich nicht, wer mich da gerade gesehen hat.
Ich schwebe in einem glückseligen Rausch, in dem mich nichts mehr bockt:

Alex ist jetzt mit Nicole zusammen.
Morgen ist Schule und meine Mutter wird mir lebenslang Hausverbot erteilen, weil ich einfach feiern gegangen bin.
Irgendjemand hat mich total besoffen in der Ecke liegen sehen, ergo neue Gerüchte und Lästereien über mich.

Who cares?! Ich jedenfalls gerade nicht.
Ich lasse mir ganz einfach noch einen Shot ausgeben - und noch einen hinterher - und schon drifte ich weg von meinem scheiß Leben.

Eine unsanfte Ohrfeige weckt mich aus meinen Träumen.
"Waaas?", nuschle ich und versuche die Person vor mir zu erkennen.
Ist gar nicht so einfach, wenn man alles doppelt und dreifach sieht.
"Melanie!", werde ich angeherrscht und unsanft gerüttelt.
"Waaas?" Irgendwer reißt mich auf die Beine und ich taumle hin und her.
"Was ist denn los mit dir? Du bist ja voll von der Rolle! Hast du dir irgendwas eingeschmissen?!"
Eine Hand wedelt vor mir her und ich werde wieder durchgerüttelt.
"Heeeey. Lasss dass."
Ich kneife die Augen zusammen und versuche mich zu konzentrieren. Die Stimme kenne ich doch.. Irgendwas in meinem Bewusstsein regt sich.
"Niiick?"
"Ja verdammt! Was ist los mit dir?!"
"Nuur biiischen was getrunken.", lalle ich und kichere.

Ich höre ihn stöhnen: "Was hast du da überhaupt an?!"
Wortlos hebt er mich an und trägt mich aus dem Club.
Irgendwann sitze ich dann und alles um mich herum bewegt sich. Mann ist mir übel! Ich lehne meinen Kopf ans kühle Fenster, allein meinen Kopf anzuheben fällt mir ungeheuer schwer.
Wir halten und Nick hievt mich auf eine Bank.

"Wir sind in eurem Garten, ich dachte mir, es ist vielleicht nicht so gut, wenn du in dem Zustand reingehst. Alex kommt gleich."

Waaas?! Den will ich doch nicht sehen! Jeder, nur der nicht!

Ich falle in mich zusammen und schließe einfach nur die Augen. Vielleicht ist der Albtraum dann zu Ende.

"Was ist mit ihr?", höre ich eine aufgebrachte Stimme.

Oh nein.

"Das solltest du mir eigentlich sagen! Ein Glück, dass ich sie in dem Club aufgegabelt habe!"

"Danke. Du kannst jetzt gehen, ich kümmer mich um sie.", höre ich Alex abweisend sagen.

Bitte nicht.

"Mel? Was ist mit dir?" Sanft legen sich Hände auf meine Schultern.
Ich zucke ruckartig zurück, was ich im Nachhinein betrachtet nicht hätte tun sollen. Der Ruck bringt mich aus dem Gleichgewicht und sorgt dafür, dass mir mit einem Mal so schlecht ist, dass ich mit meiner Hand vor dem Mund zu den Büschen stolpere.

Alex tritt hinter mich und streicht mir sanft die Haare aus dem Gesicht.
"Hau doch ab!", schluchze ich.
Das ist alles so erniedrigend. Ich glaube nicht, dass ich mal in einer schlimmeren Lage war.
"Ich mache mir Sorgen um dich!", sagt er und bleibt.
"Du machst dir doch keine Sorgen um mich!"
"Ich hab doch versucht dir zu sagen, dass -" er verstummt. "Du bist mir sehr wichtig.", sagt er schließlich sehr laut.

Ich bin ihm also sehr wichtig. Great.
Mal davon abgesehen, dass er jetzt mit Nicole zusammen ist...

Ich sinke aufs Gras zusammen und will einfach nur noch woanders sein.
Soll Alex sich doch darum kümmern, wie ich ins Haus komme.

I don't care.

Der Neue *abgeschlossen*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt