Schon sein ganzes Leben lang vermeidet Jaemin Kontakt zu anderen Menschen. Sogar von seiner Familie hat er sich zurückgezogen, und sie haben es aufgegeben, ihn davon abzuhalten. Das Können, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auf einen Schlag von jemandem zu wissen, hat seine Mutter ihm zwar vererbt, jedoch ist ihre Gabe abgeschwächt, und mittlerweile muss enger Kontakt entstehen, damit sie es sehen kann – der Grund, weshalb Jaemin keine Geschwister hat. Und so muss er sich allein damit herumschlagen, jeden Morgen im Bus zur Schule Dutzende Todesdaten und Karrieren und Kindheiten zu sehen, wenn er nur durch den Gang läuft. Seine Eltern lassen ihn nicht laufen, ein Fahrrad können sie sich nicht leisten – die Busfahrten bezahlt immerhin die Schule. Jaemin fühlt sich gefangen, ist allein, und trotzdem macht er weiter. Hoffend, dass es eines Tages ein Ende finden wird.
Alles, was er erfährt, schreibt er nieder, kann sich alles merken und erst vergessen, wenn es auf Papier steht. Dann ist es weg, schafft Platz für neue Leben und Tode. Ein ewiger Kreislauf, den Jaemin unglaublich leid ist. Er ist alles leid. Abgeschottet von allem und jedem, ohne Hobbys, denn selbst von Gegenständen erfährt er das Verfallsdatum, nicht einmal zum Sport treiben ist er in der Lage. Nur zwei Dinge bleiben übrig, die er anfassen kann, um sich zu beschäftigen: Sein Handy und Bücher. Wirklich freiwillig ist das nicht, doch er liebt das Lesen, und so fällt es ihm leicht, die Verfallsdaten jeder Seite zu ignorieren.
Das ist auch das Einzige, was er in der Schule tut, wenn er nicht im Unterricht sitzt, und selbst dann findet ab und an ein Buch seinen Weg unter Jaemins Tisch, heimlich klinkt er sich aus dem Unterricht aus und liest, bis es klingelt. Die Lehrer haben ihn aufgegeben, nie sieht er hoch oder spricht, lässt sich nicht einmal auf Zwang zu Partnerarbeiten bewegen. Doch da seine Leistungen ansonsten ausschließlich sehr gut sind, wird es hingenommen. Seine Mitschüler sehen ihn nicht, er ist unsichtbar, nicht einer kennt seine Stimme, manche wissen nicht einmal seinen Namen. Er wird immer vergessen, auf Schulveranstaltungen, beim Aufteilen, bei Projekten. Aber es ist ihm nur recht so, schließlich heißt das, dass sie alle ihn in Ruhe lassen.
Nur steht das jährliche Schulfest an, mit allerlei Angeboten und Aktionen, und die ganze Schule hat teilzunehmen. Zu Jaemins Unglück teilt nicht der Klassenlehrer die Schüler ein, ist verhindert, sondern ein kurzfristig eingesprungener, überforderter Referendar. Und so landet Jaemin im Fußballteam, ihm wird keine Wahl gelassen, und auch wenn er weiß, dass er die Spiele auf der Bank verbringen wird, wäre ihm doch selbst die Bastel-AG lieber gewesen. Doch er sagt nichts, malt nur kleine Hasen in sein Heft. Er schenkt ihnen Gras, Blumen, Freunde, bis es klingelt und er entlassen ist. Er lässt sich Zeit, seine Sachen einzupacken, vermeidet schon immer das Gedränge, und verlässt als Vorletzter den Klassenraum.
Das bevorstehende Schulfest wurde von einem weiteren, langweiligen Tag zu einem einzigen Albtraum. Nichts wünscht Jaemin sich sehnlicher, als an dem Tag krank zu werden.
Denn seine eigene Zukunft kann er nicht sehen. Und diesmal beschert es ihm etwas Gutes.
26.06.2020
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can't you see me? ❈ nomin ✓
Fanfiction𝙣𝙤𝙬 𝙥𝙡𝙖𝙮𝙞𝙣𝙜: can't you see me - txt 03:06 ────────────●─ 3:21 ⇆ㅤㅤ ㅤ◁ㅤㅤ❚❚ㅤㅤ▷ㅤㅤ ㅤ ㅤ↻ 𝙣𝙚𝙭𝙩 𝙛𝙧𝙤𝙢: 𝙙𝙖𝙣𝙘𝙞𝙣𝙜 𝙞𝙣 𝙩𝙝𝙚 𝙧𝙖𝙞𝙣 runaway - eric nam » Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, alles vereint in dem fast ach...