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tw: selfharm

Irgendwie passiert es wieder, dass Jaemin ganz still wird, sich an Jeno kuschelt, sich an ihm festhält.

"Na, was ist los, bunny?", fragt er leise, lässt seine Finger durch Jaemins Haare wandern.

"Ich will dich nicht verlieren", flüstert er, "ich will dich einfach nicht verlieren."

"Das wirst du nicht. Ich werde dafür sorgen, dass du selbst in dem größten Gedränge nur deine eigenen Gedanken hörst."

Jaemins Brustkorb zittert, als er einatmet. Eigentlich will er sich bedanken, aber ihm rutscht doch etwas anderes heraus. "Ich liebe dich." Jeno legt seine Arme um ihn, versteckt sein Lächeln in Jaemins Haaren.

"Ich liebe dich auch."

"Eigentlich wollte ich mich bedanken", murmelt Jaemin, mit hochrotem Kopf.

"Das ist kein schlimmer Versprecher."

"Nein", flüstert er. Er schlingt seine Arme ebenfalls um Jeno, schließt seine Augen, und die Anspannung fällt von ihm ab, wenigstens ein bisschen. Es kann ihm egal sein, dass er Jeno immer in klein sehen wird, wenn er beim gegenwärtigen ist, er kann es wenigstens einigermaßen ausblenden und sich ganz auf das konzentrieren, was direkt bei ihm ist. Ihm steigen Tränen in die Augen, doch er weint sie nicht, ist nur so dankbar für Jeno, dass sie einfach nicht zurückbleiben wollen.

"Bunny?" Er sieht hoch und hat schon Jenos Lippen auf seinen, schließt die Augen, hält sich an Jenos Shirt fest.

"Jeno, leihst du mir ein T-Shirt?"

Verdattert reißt der die Augen auf, blinzelt ein paar Mal. "Du willst ein T-Shirt anziehen?"

Jaemin nickt leicht. "Mir ist warm", sagt er leise, "und du bist der Einzige, der hier ist."

"Okay. Ist ja auch nicht schlimm, es überrascht mich nur. Komm, aufstehen, dann kannst du dir selbst eines aussuchen."

Letztendlich wird es einfach nur ein schlicht weißes, und er wechselt es hastig, bleibt unsicher vor Jeno stehen, verlagert das Gewicht von einer Seite auf die andere.

"Bunny..." Jeno ist sprachlos, erschüttert.

So viele Schnitte auf seinen Unterarmen.

Er nimmt Jaemins Hände in seine, dreht sie hin und her, um das Ausmaß genauer unter die Lupe zu nehmen.

"Wie lange ist das her?", fragt er leise. Jaemin zieht seine Arme weg, etwas fahrig, schlingt sie um sich selbst.

"Ich weiß es nicht. Zwei Jahre? Eins? Die Zeit vergeht langsamer, wenn man sich durch jeden Tag quält."

"Möchtest du mir mehr darüber erzählen?"

Jaemin schweigt, starrt auf die Narben.

Seine Stimme zittert, als er spricht. "Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Überrascht es dich? Ich habe mein Leben am Boden verbracht. Ich hasste mich, weil diese Fähigkeit in mir steckt und mich vollständig bestimmt, mich definiert. Ich hasste mich, weil andere in mir nicht mehr sehen als ihren Fußabtreter, ihr Boxsack zum Abreagieren. Außerdem war es das einzige Gefühl, das ich mir selbst zufügen konnte, auf das ich selbst Einfluss hatte, das nicht jemand anderem gehört. Nur meins, und ich wurde... ich wurde süchtig danach, nach dem Brennen, nach dem Schmerz, den nur ich mir zufügen konnte. Es gehörte einfach nur mir, mein Eigen, niemand anderes wusste davon. Letztendlich habe ich wohl eingesehen, dass es nichts ändert. Ich habe noch mehr Bücher gelesen, konnte ich, weil meine Großmutter gestorben war und mir ein paar Dinge vererbt hat, und ihr gesamtes Vermögen sollte an alle Kinder und Enkelkinder verteilt werden, ihr Mann ist schon länger tot. Aber manchmal... Weißt du, manchmal vermisse ich es. Nicht weil die Zeit so schön war, weil es so einen Spaß macht, mir die Arme aufzuschneiden, einfach nur... Es gehört mir. Ich bin allein mit den Gefühlen, mit dem was ich spüre, mit dem, was ich tue. Ich habe Kontrolle darüber. Ich habe nur mich in meinem Kopf. Niemand und nichts wird mir das nehmen können."

Ein paar Tränen rollen nun doch über seine Wange, er wischt sie hastig weg.

"Ich hab nicht vor, es wieder zu tun. Aber es hat mir geholfen, es durchzustehen, statt mich umzubringen."

"Okay. Das ist okay für mich. Ich werde auch nichts dazu sagen, um nichts Falsches zu sagen. Möchtest du eine Umarmung?"

Jaemin schluchzt leise auf. "Ja."

Also zieht Jeno ihn an sich, schließt ihn fest in seine Arme.

Er ist der erste Mensch, der es weiß. Wohl der einzige, der es jemals wissen wird. Aber nachvollziehen wird es nie jemand können. Niemand wird verstehen können, warum Jaemin so oft lächeln musste, wenn er den Schmerz spürte, warum Jaemin begann, es täglich zu tun, warum es Jaemin vom Weinen abgehalten hat, warum Jaemin danach schlafen konnte, warum das warme Blut auf seinem Arm Jaemin ein Gefühl von Sicherheit gab, warum Jaemin seine Arme manchmal nicht gereicht haben.

Schmerz. Sein eigener Schmerz. Keine Außeneinwirkung. Keine schmerzhaften Gedanken. Nur körperlicher Schmerz.

"Ich hab sie überall", schluchzt Jaemin, "überall."

Er kann ihn fühlen, den Schmerz, kann fühlen, wie befreiend er ist, merkt ihn an seinem ganzen Körper.

Jeno schließt seine Augen, um nicht auch weinen zu müssen, um Jaemin, über all das Leid, durch das er gehen musste. Wenn er ihn nur früher bemerkt hätte. Hätte er ihm wohl mehr ersparen können? Was hätte es für einen Unterschied gemacht? Wären es jetzt weniger Narben?

Jaemin bricht in seinen Armen auseinander, schon wieder, und Jeno kann nicht mehr tun, als ihn aufrecht zu halten. Er kann sie fühlen, die Verzweiflung, sie schwebt wie eine Wolke um Jaemin herum, und nur Jeno hält sie davon ab, ihn zu verschlingen.

"Ich fühle mich so ekelhaft", schluchzt Jaemin, "die Narben sind so hässlich und Selbstverletzung ist etwas so Grausiges, ich–"

"Mein Engel." Jeno kümmert sich nicht darum, dass seine Stimme zittert. "Du bist nicht ekelhaft. Deine Narben sind nicht hässlich. Sie sind nichts Schönes, natürlich nicht, aber sie zeigen, dass du gekämpft hast, um hier zu sein, und nicht aufgegeben hast, egal, wie schlimm es wurde. Und Selbstverletzung ist auch nichts Schönes, aber wenn es dir geholfen hat, am Leben zu bleiben, dann... dann..." Auch er muss jetzt weinen, es geht gar nicht anders, wenn Jaemin so weint, als hätte er alles verloren. "Tut mir leid", flüstert er, versucht, es zu stoppen, doch es geht nicht.

Jaemin schiebt sich von ihm weg, hebt den weißen Stoff an. "Hier–" Jenos Hände legen sich an seine Seiten, wandern hoch genug, um den Stoff zu halten, er betrachtet das Narbenfeld, Jaemin wischt sich über die Augen, immer wieder. "Hier auch", er zieht es höher, doch Jeno hält seine Hände sanft fest.

"Du musst mir sie nicht zeigen, bunny."

"Ich will aber. Ich will, dass jemand sie sieht. Ich will, dass jemand sich deshalb um mich kümmert. Ich, ich–"

"Zeig sie mir gleich, Engel. Wenn du dich etwas beruhigt hast. Okay?" Jaemin antwortet nicht, sinkt aufschluchzend gegen ihn. Jeno legt seine Arme fest um ihn, schließt seine Augen, versucht selbst, ruhig zu werden, um Jaemin Halt zu bieten, und es klappt sogar.

"Ich bin hier", flüstert er, "ich bleibe."

Es hilft. Nicht viel, aber es hilft.

19.07.2020

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