Jeno ist früh dran, doch egal wie früh er auch gekommen wäre, Jaemins glanzlose Augen wären immer die gleichen gewesen.
"Hallo bunny", sagt Jeno leise, Jaemin lässt ihn ohne Antwort hinein, sie gehen wortlos nach oben in sein Zimmer, er schließt schon fast automatisch ab.
"Ich hab–" Jeno bleiben die Worte im Hals stecken, als Jaemin seinen Ärmel hochzieht und seine aufgekratzten Schnitte entblößt.
"...die Creme mit." Er nimmt die Packung Gummipfirsiche aus seiner Tasche und stellt sie auf dem Boden ab, als er auch die Salbe in der Hand hält, schiebt Jaemin zu seinem Bett und setzt sich gleichzeitig mit ihm hin.
"Ich hab's nicht absichtlich gemacht", erzählt Jaemin leise, "ich bin heute Nacht davon aufgewacht, dass mein Arm gebrannt hat. Alles war aufgekratzt. Es hat weh getan."
"Dämpfen Verbände das?"
"Weiß ich nicht."
"Die anderen sind noch in Ordnung?" Jaemin nickt, also packt Jeno die Creme wieder weg und mustert den Jüngeren, der nun zaghaft nach den Süßigkeiten greift und sie öffnet, sie zu seiner ersten Mahlzeit macht, obwohl es schon fast Nachmittag ist.
"Was liest du gerade, bunny?"
Jaemin deutet auf seinen Nachttisch. "Du musst das auch lesen. Ich weiß, dass du Science-Fiction nicht so magst, aber das ist wirklich richtig gut."
Jeno schmunzelt. "Worum geht's denn?"
Endlich ist da wieder ein Leuchten in Jaemins Augen. Jeno will es für immer festhalten.
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Ab Montag wird es wieder etwas besser für Jaemin, Jeno und auch die anderen kümmern sich viel um ihn, oder verbringen auch einfach nur Zeit mit ihm, so oder so fühlt er sich nicht mehr so egal, so ungebraucht. Nur ein kleiner Trost, doch immerhin etwas.
Auch Mittwoch kann er wieder arbeiten, auch wenn er die ganze Zeit Juhyuns Adleraugen auf sich gerichtet spürt. Sie macht sich beinahe Sorgen um ihn, dabei geht es ihm im Gegensatz zum letzten Mal schon richtig gut.
Was auch der Grund ist, dass Jeno ihn fragt, ob er denkt, allein arbeiten gehen zu können.
"W... Wieso?"
Jeno presst die Lippen aufeinander. "Wir sind Samstagvormittag bei meinen Großeltern zum Brunchen und ich weiß nicht, wie lange das dauert."
"Oh."
Ganz lange nichts.
Dann: "Ich glaub, ich schaff das."
"Sicher? Sonst kann ich auch einfach gehen."
"Nein, schon okay, ich... ich muss das doch üben."
"Bunny, wenn du dich noch nicht traust, ist das okay."
"Nein, es geht schon. Ehrlich, ich hab doch meine Noonas."
Jeno schmunzelt. "Na gut. Aber du kannst mich anrufen, wenn ich doch kommen soll, ja?"
Jaemin nickt, schiebt seine Finger zwischen Jenos. Ihn macht der Gedanke zwar nervös, aber er will wenigstens versuchen, ohne Jeno zurechtzukommen, schließlich muss er das über kurz oder lang sowieso.
Nur wäre wohl jeder Tag besser dafür gewesen als dieser Samstag.
Den ganzen Tag schon ist Jaemin zurückgezogen, fühlt sich einfach nur schlecht und will eigentlich nichts lieber, als zu Hause bleiben und sich in seinem Bett verkriechen. Doch er muss ja arbeiten, und das ausgerechnet heute ohne Jeno, wo er doch jeden Moment eigentlich in Tränen ausbrechen will.
Dementsprechend still ist er die ganze Zeit, und auch seine Noonas bemerken es, machen sich Sorgen um ihn, behalten ihn die ganze Zeit im Auge.
Und so hat Yerim ihn in Sekunden in den Mitarbeiterraum gebracht, als er auf die Bücherregale sieht und urplötzlich in Tränen aufgeht. Sie berührt ihn auch kaum, setzt ihn nur auf einen Stuhl, bittet ihn, sein Handy zu entsperren, damit sie Jenos Nummer in ihres eingeben kann. Währenddessen schickt sie Seulgi zum Kaffeeautomaten und Sooyoung legt ihm ihre Jacke um die Schultern, die Wärme spendet ihm etwas Halt.
"Lee Jeno?" Er ist verwirrt, außer Jaemin würde ihn niemand anrufen, erst recht niemand Unbekanntes.
"Jeno? Hi, hier ist Yerim. Magst du vorbeikommen? Jaemin geht es gerade ganz und gar nicht gut." Er hat sich ganz klein gemacht auf dem Stuhl, sein Gesicht hinter seinem auf seinen Beinen abgelegten Arm versteckt.
Jeno springt von seinem Bett auf, verlässt nicht einmal mehr das Spiel. "Sag ihm, dass ich in zehn Minuten da bin."
"Das mach ich. Dankeschön. Juhyun-eonnie wird dir sagen, wo wir sind."
"Okay." Jeno legt auf, und sie hockt sich vor Jaemin, berührt ihn ganz leicht nur an seinem Bein.
"Jeno wird bald da sein. Zehn Minuten, hat er gesagt. Schaffst du das?"
Jaemin schüttelt den Kopf. Er schafft überhaupt nichts mehr. Er will zu Nichts werden, nichts hören, nichts sehen, nichts spüren, nichts denken.
Die zehn Minuten fühlen sich für jeden Beteiligten ewig an, und in der Zwischenzeit hat Seulgi schon die Tasse Tee neben Jaemin auf den Tisch gestellt, ihn besorgt angesehen, den Raum wieder verlassen.
Jenos Schritte sind schon zu hören, bevor er durch die Tür ist, und dann ist er in Sekundenbruchteilen zu Jaemin geschossen, der daraufhin gänzlich auseinanderfällt.
Yerim lässt die beiden allein, schließt die Tür zur Treppe hinter sich, kurz bevor Jaemin endlich etwas hervorbringt.
"Sie hat es gesehen."
"Bunny." Jenos Stimme löst einen so herzzerreißenden Schluchzer in Jaemin aus, dass seine Brust davon wehtut. "Bevor du etwas sagst, musst du dich erst beruhigen."
Jaemin hickst, will etwas sagen, doch es kommt nur ein weiteres Schluchzen.
"Komm her, mein Engel, wir setzen uns auf den Boden, ja? An die Heizung."
Jaemin kann sich nicht rühren, also hebt Jeno ihn hoch, die Jacke rutscht von seinen Schultern, plumpst auf den Stuhl, und er setzt sich mit ihm vor den warmen Heizkörper, legt seine Arme fest um ihn, platziert einen Kuss auf seiner Schläfe. Jaemin klammert sich an ihn und schluchzt in seine Schulter, hinterlässt Abdrücke in seinem Rücken, so fest drückt er seine Finger in den Stoff.
"Sie sagt, es ist deine Schuld", bringt er hervor, "die Schnitte. Sie will–"
"Bunny. Nichts sagen. Noch nicht. Wenn du nicht mehr so weinst, kannst du. Aber nicht jetzt."
Jaemin bleibt also still. Aber es fühlt sich nicht so an, als könnte er jemals wieder aufhören.
Seine Mutter schiebt die Schuld auf Jeno, obwohl das meiste alte Narben sind. Sie will ihn auf eine andere Schule schicken, ihm sein Handy wegnehmen, die Verbindung zu Jeno kappen. Dabei hat sie Jaemin noch nicht einmal zugehört.
30.07.2020
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can't you see me? ❈ nomin ✓
Fanfiction𝙣𝙤𝙬 𝙥𝙡𝙖𝙮𝙞𝙣𝙜: can't you see me - txt 03:06 ────────────●─ 3:21 ⇆ㅤㅤ ㅤ◁ㅤㅤ❚❚ㅤㅤ▷ㅤㅤ ㅤ ㅤ↻ 𝙣𝙚𝙭𝙩 𝙛𝙧𝙤𝙢: 𝙙𝙖𝙣𝙘𝙞𝙣𝙜 𝙞𝙣 𝙩𝙝𝙚 𝙧𝙖𝙞𝙣 runaway - eric nam » Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, alles vereint in dem fast ach...