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tw: selfharm

Auch als Jaemin nicht mehr weint, bleiben sie noch so stehen, die Arme umeinander geschlungen, aneinandergeklammert. Bis er sich vorsichtig aus Jenos Umarmung löst und dieser sein Gesicht in die Hände nimmt, seine Wangen trocken wischt.

"Hast du eine kurze Hose?", fragt Jaemin leise. "Also, wirklich kurz?"

Jeno schüttelt den Kopf. "Du kannst Jieun fragen."

"Kannst... Kannst du das machen?" Jaemins Augen fühlen sich ganz geschwollen an, und die Narben soll sie auch nicht sehen.

"Klar. Wie kurz ist kurz?"

Jaemin zögert, legt einen Finger an seinen Oberschenkel.

"Okay. Du kannst deine Augen mit etwas Wasser kühlen, wenn du möchtest." Jeno küsst ihn kurz und Jaemin folgt ihm aus dem Zimmer, geht ins Bad und klatscht sich kaltes Wasser ins Gesicht, gleich mehrmals, so gut tut es. Als er sich abgetrocknet hat, sieht er in den Spiegel, mustert sich selbst. Er fragt sich, ob da ohne die Fähigkeit kein Hass in ihm wäre, ob er ohne sie in der Lage wäre, sein Dasein zu schätzen. Mit sich selbst kommt er klar, mit der Art wie er ist, sein Aussehen ist ihm recht egal, aber dass er überhaupt existiert, dass er das Kind seiner Eltern sein muss, das...

Er verwirft den Gedanken und hängt sein Handtuch zurück, verlässt das Bad und kehrt in Jenos Zimmer zurück, wo dieser bereits wartet, und Stoff hochhält, als Jaemin es betritt. Wortlos nimmt er Jeno ihn ab, wortlos dreht dieser sich um, wortlos zieht Jaemin sich um. Er fühlt sich noch unwohler als noch bei dem T-Shirt, setzt sich also schnell neben Jeno, der sich daraufhin ihm zuwendet. Schon hat Jaemin Nono ergriffen, seine Arme um ihn geschlungen, ihn an sich gedrückt, und er traut sich nicht, etwas zu sagen, geschweige denn Jeno seine Narben zu zeigen. Etwas in ihm sperrt es auf einmal, lässt nicht zu, dass er auch nur den Mund aufmacht.

"Jaemin." Er muss sich zwingen, hochzusehen. "Wenn du das nicht mehr möchtest, ist das okay."

"Nein, ich..."

"Komm her." Jeno hält ihm seine Hand hin und Jaemin rutscht an ihn heran, sodass er sich gleich darauf auf Jenos Schoß befindet. "Lass dir Zeit. Ich hab sie. Ich kann mir vorstellen, dass es schwer ist, von etwas zu sprechen, das dich so beschäftigt hat. Ich möchte nur, dass du weißt, dass ich dich nicht verurteile." Jaemin nickt, seine Stirn sinkt gegen Jenos, er atmet ein paar Mal durch, bevor er sich aufrichtet und etwas Abstand nimmt, seine Beine an Jeno vorbei ausstreckt.

"Manchmal ist es passiert, dass es auf meinen Armen nicht mehr ging", sagt Jaemin leise, "weil da einfach so viel war und hier oben", er deutet auf seinen Oberarm, "hat es einfach nicht so schön wehgetan. Deshalb bin ich auf meine Beine ausgewichen." Er deutet auf die Narben, auch wenn Jeno sie schon länger ansieht. "Weißt du, manchmal–"

"Hey, ganz ruhig." Jeno nimmt seine Hand, hält sie in seinen, verhindert ihr Zittern. Jaemin holt tief Luft, stößt sie langsam wieder aus.

"Wenn es am schlimmsten war", flüstert er, "hab ich mich in die Dusche gesetzt und vier Schnitte gesetzt. Auf meinen Armen und auf meinen Beinen. Und einfach zugesehen, wie das Blut tropfte. Ich hab auch immer weiße T-Shirts getragen, weißt du? Damit ich es sehe. Ich, ich hab auch noch ein paar, aus denen es nicht rausgegangen ist, ich weiß nicht, warum ich sie noch behalte. Aber– Es hat mir so geholfen."

Jeno schweigt lange, streicht nur über Jaemins Handrücken.

"Hast du noch mehr?", fragt er irgendwann leise.

Jaemin steht auf und zieht sich das Shirt über den Kopf, drückt es mit seinem Hasen an seine Brust, dreht sich um und wieder zurück.

"Überall", wiederholt er. Jeno legt seine Hände vorsichtig an seine Seiten, hält ihn fest, streicht über seine Haut, lässt seinen Blick über die mal mehr, mal weniger sichtbaren Narben gleiten. Jaemins Arme, Jaemins Bauch, Jaemins Rücken, Jaemins Schultern, Jaemins Brust. Als hätte er versucht, seine Fähigkeit aus sich herauszuschneiden.

"Wie bist du da rangekommen?", fragt Jeno, dreht ihn vorsichtig um, fährt mit seinem Finger hauchzart über die Narben, hauptsächlich an Jaemins unterem Rückenbereich.

"Augen zu, angesetzt, gezogen, gehofft, dass es funktioniert hat." Jaemin dreht sich wieder zu ihm um, muss ihn sehen, um nicht in sich zusammenzufallen. "Je mehr ich auf meinem Körper hatte, desto besser habe ich mich gefühlt. Mehr Schnitte, mehr Kontrolle über mich selbst."

Jeno weiß nicht, was er sagen soll. Also zieht er Jaemin sanft näher, haucht einen Kuss auf die Narben auf seinem Bauch, und er sinkt auf Jenos Schoß, sein ganzer Körper bebt.

"Danke, dass du mir das gezeigt hast", flüstert Jeno, streicht über seinen Rücken, und obwohl das Gebiet nur so klein ist, über das sein Finger sich bewegt, kann er doch die Narben spüren. "Verzeih mir, dass ich nicht weiß, was ich sagen soll."

Jaemin schüttelt den Kopf, kann bei bestem Willen nicht ein Wort hervorbringen. Jeno lässt ihn los und nimmt vorsichtig Hasen und T-Shirt aus Jaemins Klammergriff, hilft ihm, Letzteres wieder anzuziehen, und hat schon wieder seine Arme um den Jüngeren gelegt. Er kann seine Fingernägel an seiner Brust fühlen, wie sie sich in sein Shirt krallen und beinahe auch sein Fleisch erwischen, doch selbst wenn, es wäre ihm egal.

"Bitte geh nicht", hört er Jaemin flüstern.

"Ich gehe nicht." Er schließt seine Augen, konzentriert sich auf Jaemin, und auf nichts anderes. Seine Arme wandern um Jenos Schultern, er hält sich fast verzweifelt an ihm fest, Nono fällt ihm aus der Hand und auf die Matratze, er atmet so unregelmäßig, zittert so sehr. Jeno tastet mit einer Hand nach der Decke und legt sie im nächsten Moment schon um seine Schultern, hüllt Jaemin ebenfalls darin ein.

Und langsam beruhigt er sich. Schließt seine Augen und atmet Jenos Duft ein, ein Duft, der für ihn jetzt schon Zuhause bedeutet. Sein Herz schlägt wieder langsamer, sein Körper kommt zur Ruhe, auch die hohen Wellen in seinem Kopf beruhigen sich.

Es folgt Stille. Nur Jeno und er. Hier und in seinen Gedanken. Umhüllt von Wärme und Frieden und Sicherheit.

19.07.2020

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