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tw: selfharm

Jaemins Eltern sind wenig begeistert, nicht nur ihren Sohn anzufinden.

"Ich bleibe, bis ich weiß, dass es Jaemin gut geht." Jeno sieht beiden fest in die Augen. "Ich werde nicht zuhören, was Sie mit ihm besprechen, ich werde mich nicht einmischen. Ich werde mich nur in Jaemins Zimmer begeben und dort auf ihn warten."

Jaemins Mutter seufzt. "Bitte, kommt rein."

Für Jaemin geht es viel zu schnell, dass er mit seinen Eltern allein ist, Jeno ist einfach weg, und auch wenn er weiß, dass er noch hier ist und ihn beschützen wird, wenn etwas passiert, wächst seine Angst doch, so ohne ihn an seiner Seite.

"Viel haben wir dir eigentlich nicht zu sagen, eigentlich nur, dass wir dir glauben. Und ich bin wohl ein wenig enttäuscht, weil du nicht mit uns darüber geredet hast, und weil du einfach so weggegangen bist, ohne es vorher zu sagen. Wer weiß, vielleicht wärt ihr durchgebrannt, es hätte mich nicht sehr überrascht. Änder das bitte in Zukunft, wenn du länger als eine Nacht wegbleibst. Aber du bist wieder hier, also beschwere ich mich nicht. Es gibt noch eine Bedingung: Wenn Jeno sich als falsch herausstellt, bleibt er der letzte Junge." Jaemin wünschte, es wäre ein Scherz, doch seine Mutter sieht ihn ernst an.

"Okay." Er will hier weg. Einfach nur weg. Jeno nehmen und wegrennen und nicht wieder zurückkommen. Nie wieder.

"Gut. Jeno ist bitte weg, bevor wir essen. Du kannst es mit nach oben nehmen." Jaemin nickt, steht auf, nimmt die Treppe und schafft es fast nicht in sein Zimmer, seine Beine tragen ihn nicht mehr.

Jeno fängt ihn, bevor er auf dem Fußboden zusammenbrechen kann.

"Sie haben sich nicht einmal entschuldigt", wimmert Jaemin in seine Schulter, "nicht einmal irgendetwas in die Richtung. Stattdessen mir Schuld auf die Stirn geschrieben. Ein schlechtes Gewissen machen wollen." Seine Fingernägel bohren sich in Jenos Schultern, so sehr klammert er sich an ihn. Jeno hält es fast nicht aus, hier zu sein und nicht woanders, an diesem Ort, der für Jaemin ein Albtraum geworden ist.

Ein Schluchzen, voller Verzweiflung. "Kontrolle", weint Jaemin, "ich will Kontrolle."

Jeno wird kalt, als er es versteht.

"Gibt es etwas, das dich ablenkt? Etwas, das ich tun kann?"

Jaemin legt seine Lippen auf Jenos, und auch wenn es kaum funktioniert, dass sie sich wirklich küssen, kann er Jenos momentan laufende Erinnerung doch mehr als deutlich spüren und ist selbst in dem Tierladen, streichelt selbst den Hasen, spürt selbst sein weiches Fell unter seinen Fingern.

"Es steht mir nicht zu, es dir zu verbieten", flüstert Jeno, als sie sich lösen, "es steht mir nicht zu, dir zu sagen, dass du es sein lassen solltest, und ich werde dich auch nicht bitten, es für mich zu tun. Wenn es dich am Leben hält, erst recht nicht. Ich bin nicht dafür, es ist mir lieber, wenn du es sein lässt, ist es dir sicherlich auch, aber ich werde dich nur davon abhalten, wenn du mich darum bittest, wenn du dir nicht wieder Schmerzen zufügen willst. Und wenn du mich darum bittest, tue ich alles, um es auch zu tun. Trotzdem, fühl dich bitte nicht verpflichtet, es mir mitzuteilen, mich darum zu bitten, dich abzuhalten, dir von mir helfen zu lassen. Es geht darum, was für dich richtig ist. Und wenn es bedeutet, dass du dorthin zurückkehrst, dann werde ich das akzeptieren. Nicht gutheißen, aber akzeptieren. Ich weiß, dass es besser werden kann und wird."

Jaemin atmet einige Male durch, rückt dann plötzlich von Jeno ab und zieht seine Ärmel hoch, sieht auf seine Narben, kommt langsam zur Ruhe. Es reicht, sich zurückzuerinnern. Wie lange, weiß er nicht.

"Bunny", holt Jeno ihn aus seinen Gedanken, "ich möchte, dass du dich hinsetzt." Jaemin merkt erst jetzt, wie unsicher er steht, lässt sich von Jeno zu seinem Bett helfen, sinkt auf die Matratze und es wird gleich etwas besser.

"Sie wollen, dass du weg bist, bevor wir essen", murmelt Jaemin.

"Okay." Jeno setzt sich zu ihm und sofort sinkt Jaemin gegen ihn, schließt seine Augen. "Du willst mir nicht sagen, was sie gesagt haben, oder?"

Jaemin schüttelt den Kopf. "Tut mir leid."

"Schon gut, bunny. Das musst du doch nicht."

"Ich will nicht, dass sie meine Eltern sind. Ich will hier weg, ich will sie vergessen, ich will nichts mehr mit ihnen zu tun haben."

"Es ist nicht mehr lange, Engel. Du schaffst das. Ich bin bei dir."

"Weißt du, wie viel ein Jahr schon ist?", schluchzt Jaemin, den Tränen nahe. "Niemals halte ich das aus."

Jeno zieht ihn auf seinen Schoß, schlingt die Arme um ihn. "So viele Jahre hast du jetzt schon hinter dir, in denen du es ausgehalten hast. Du bist stark geworden, bunny, du kannst das. Und wenn du fällst, fang ich dich auf. Du musst keinen deiner Schritte alleine gehen."

Jeno verflucht es, dass Jaemin schon wieder weint, schon wieder ausgelöst durch seine Eltern.

"Du kannst immer zu mir kommen, bunny. Es ist nie zu oft, nie zu früh, nie zu spät, nie zu unnötig. Wenn du eine Auszeit brauchst, brauchst du eine Auszeit und die kannst du dir nehmen. Jederzeit." Er streicht über Jaemins Rücken, drückt ihn sanft an sich, und Jaemin vergräbt sein Gesicht an Jenos Schulter, schlingt seine Arme um ihn und hält sich so verzweifelt an ihm fest, als käme er nie wieder zurück.

"Lass mich nicht allein..."

"Ich schreib dir, sobald ich zu Hause bin, okay? Wir können auch telefonieren. Du bist nicht allein, auch wenn ich nicht hier bin."

"Ich hab dich nicht verdient", flüstert Jaemin.

"Doch, bunny. Du hast es nicht verdient, vom Leben so behandelt zu werden."

20.07.2020

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