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Erst Minuten später versteht Jeno es: Jaemin hat den Hasen nach ihm benannt.

Mit der Realisation bleibt er stehen, und seine Schwester sieht ihn etwas schief von der Seite an.

"Was ist denn jetzt in dich gefahren?"

"Er hat seinen Hasen benannt." Ein Lächeln erscheint auf seinen Lippen, das Jieun grinsend den Kopf schütteln lässt. "Nach mir."

"Huh?"

Jetzt ist es an Jeno, zu grinsen. "Nono. So hat er ihn genannt." Er geht wieder weiter, Jieun nimmt sein Tempo an.

"Und du bist echt der Einzige, der mit ihm redet?", fragt sie nach einer kurzen Stille.

"Und du."

"Warum denn? Er ist... Ich weiß überhaupt nicht, wie ich das beschreiben soll, er ist einfach so herzensgut und einfach nur liebenswert."

Jeno seufzt leise. "Er hat seine Gründe, glaub mir, freiwillig ist das nicht. Selbst mit seinen Eltern redet er kaum."

"Oh." Jieun klingt bestürzt. "Und warum dann mit dir?"

Jeno schmunzelt. "Weil ich hartnäckig geblieben bin. Ich hab ihm meine Nummer gegeben und mir selbst geschrieben, sodass ich ihn die ganze Zeit nerven konnte, und er ist darauf eingegangen. Also, am nächsten Tag. Vorher war er wohl zu überfordert."

"Und du willst ihn jetzt deinen Freunden vorstellen?"

Ein Nicken. "Es wird etwas besser. Und sie wissen eigentlich absolut gar nichts über ihn, auch über uns nicht, und ich kann mir vorstellen, dass er gut mit ihnen zurechtkommt, wenn er sich erst einmal an sie gewöhnt hat."

"Meinst du nicht, dass es mit allen fünf auf einmal zu viel für ihn ist?"

"Darüber hab ich noch nicht nachgedacht. Ich werde ihn fragen. Und die wissen auch noch gar nicht, dass ich das wirklich vorhabe und nicht einfach so sage."

Erneut herrscht Stille. Dann stößt Jieun ihren Bruder mit der Schulter an.

"Du solltest Eomma und Appa von ihm erzählen."

"Sagt die, die drei Monate ihre Beziehung verschwiegen hat und es erst gesagt hat, als er sich schon aus dem Staub gemacht hat. Und seit wann gehst du jetzt noch regelmäßig auf Dates mit deiner besten Freundin?"

Jieun verdreht die Augen. "Halt den Mund. Ich bin doch überhaupt nicht mit ihr zusammen, also muss ich das auch niemandem sagen. Außerdem, bei dir geht es mir viel mehr darum, dass sie überhaupt von ihm wissen, also dass er existiert. Du hast es bis jetzt immer geschafft, drumherumzukommen."

Jeno seufzt. "Du weißt, wie sie sind. Du weißt, dass Jaemin in ihren Augen ein Niemand wäre. Wenn sie dann noch erfahren, dass er mein Freund ist, ist es völlig vorbei."

Jetzt ist es an Jieun, zu seufzen. "Es muss doch nicht alles auf einmal sein. Aber es ist immerhin besser, als wenn sie euch red-handed erwischen."

"Mal sehen. Ich will abwarten, was seine Eltern sagen."

"Mach, was du willst. Aber sag später nicht, ich hätte dich nicht vorgewarnt."

Während die beiden sich zoffen, kommt Jaemins Mutter nach Hause, und ruft ihn sofort nach unten, lässt das Blut in seinen Adern gefrieren. Aber er folgt ihren Worten, nicht ohne den Plüschhasen, er ist wie festgeschweißt in seinen Armen.

Und er ist auch das Erste, was Jaemins Mutter bemerkt. "Was ist das?", fragt sie, skeptisch.

"Ein Geschenk." Jaemin bleibt auf Abstand zu ihr, kauert sich auf die Treppe.

"Von Jeno?"

"Ja."

Sie seufzt, schließt die Augen. "Dein Freund. Wieso nur muss es ein Junge sein?"

"Das hab ich mir doch nicht ausgesucht." Jaemins Griff wird fester.

"Macht es nicht besser. Du musst es weitervererben, Jaemin, du brauchst jemanden, der das akzeptiert, wie du bist. Jemanden, der es besser macht. Und das wird nicht Jeno sein."

"Doch", sagt er leise.

"Nein. Weiß er das überhaupt? Bist du überhaupt in der Lage, ihm das mitzuteilen? So oder so kannst du keine Kinder mit ihm kriegen!"

"Er weiß es. Und er akzeptiert es auch. Er hat mir von Anfang an geglaubt. Er ist es", ergänzt er fast unhörbar.

Ein Schnauben. "Was, der Richtige? Jaemin, du bist gerade einmal achtzehn. Er ist der erste Mensch, der wieder eine Rolle in deinem Leben spielt. Ich kann mir nicht einmal vorstellen, dass ihr wirklich ineinander verliebt seid."

Jaemin treten Tränen in die Augen. "Er nimmt mich, wie ich bin", flüstert er, "er akzeptiert, dass ich nicht immer das tun kann, was andere können, er hilft mir, damit es mir leichter fällt-"

"So lange er deine Fähigkeiten nicht beeinflusst, ist er wertlos", unterbricht seine Mutter ihn.

"Das tut er aber!" Durch die plötzlich aufkommende Verzweiflung verlassen die Tränen seine Augen. "Er macht sie schwächer! Ich kann seine Zukunft nicht sehen!"

Keine Antwort. Nur ein hoffnungsloses Seufzen.

"Ich kann dich doch ansehen, oder?! Ich erfahre nichts! Da bin nur ich in meinem Kopf! Wer soll das gemacht haben, wenn nicht Jeno, wenn er der Einzige ist, der mit mir redet?!"

Für einen Moment schließt seine Mutter ihre Augen, öffnet sie, als sie Jaemins Schluchzen hört. "Geh in dein Zimmer." Sie klingt enttäuscht. "Ich bring dir dein Essen später hoch."

Das lässt er sich nicht zweimal sagen, er steht auf und läuft nach oben, schließt seine Zimmertür ab, schließt seine Vorhänge und verkriecht sich im Halbdunkel unter seine Bettdecke. Nicht einmal lesen will er, kann er auch gar nicht, so sehr weint er. Er drückt den Hasen an sich, Nono, muss an Jeno denken, weint noch mehr. Wertlos. Er ist alles, aber nicht wertlos. Er ist der Einzige, der für Jaemin einen Wert hat, und das wird er sich von seiner Mutter nicht nehmen lassen. Jeno wird bleiben. Mindestens ein Jahr. Das weiß er, das weiß er sicher. Es ist egal, ob sie das glaubt, es ist egal, was sie davon hält, er bleibt. Er bleibt er bleibt er bleibt er bleibt.

Es ist das Einzige, an dem Jaemin sich gerade festhalten kann.

Er verlässt weder sein Zimmer noch sein Bett, bleibt liegen, an seinen Jeno-Ersatz geklammert, weint, bis die Erschöpfung ihn einschlafen lässt, ohne dass er es überhaupt merkt.

Sein Handy liegt bei den Büchern, das ständige Vibrieren bekommt er nicht mit. Bekommt nicht mit, dass Jeno sich zu Tode sorgt.

14.07.2020

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