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tw: selfharm, scars

Jeno findet Jaemin vor dem Einkaufszentrum, gegen die Wand gelehnt, noch immer blass um die Nase, aber in seinen Lippen ist wieder Farbe, ihm ist nicht mehr so speiübel.

"Was ist passiert, Engel? Woran hast du gedacht?"

Jaemins Augen weichen seinen aus, huschen unruhig umher. "Ich will nicht, dass Eomma das auch passiert", flüstert er. "Wenn sie sich trennen, wird es aber passieren. Und das ist dann permanent."

Jeno lehnt sich neben ihn gegen die Wand, seufzt leise. "Letztendlich kannst du es nicht verhindern. Ich denke, deine Mutter ist sich darüber bewusst. Sie wird wissen, was sie tut, wenn sie sich trennen."

"Trotzdem, ich... Hätte ich einfach meinen Mund gehalten..."

Jeno stößt sich so plötzlich von der Wand ab, dass Jaemin zusammenzuckt, und nimmt seinen Kopf in seine Hände. "Du wagst es nicht, dir selbst die Schuld zu geben. Sie haben dir jegliche Freiheiten genommen, dafür gesorgt, dass es dir so schlecht ging, dass du dich umbringen wolltest, du hast das Richtige getan, Jaemin. Wenn dein Vater es nicht versteht, ist er das Arschloch. Du hast nichts falsch gemacht. Du wurdest schlecht behandelt, du hast etwas dagegen getan. Deine Mutter hat es eingesehen, dein Vater nicht. Du bist nicht dafür verantwortlich, wie sie darauf reagieren. Du kannst es nicht beeinflussen. Und du bist ganz sicher nicht schuld daran."

Tränen steigen in Jaemins Augen, und Jeno umarmt ihn sofort, spürt, wie er sich an ihn klammert. Er streicht über seinen Rücken, merkt, wie er tief durchatmet und wieder zur Ruhe kommt.

"Gehen wir zurück?", fragt Jeno, als Jaemin ihn loslässt, und der Jüngere nickt, zögerlich seine ausgestreckte Hand nehmend.

Die anderen fünf blicken ihnen besorgt entgegen, aber auch erleichtert, als sie sehen, dass Jaemin wieder Farbe im Gesicht hat.

"Geht's dir wieder besser?", fragt Mark, Jaemin nickt lediglich.

Dabei bleibt es, und er ist ihnen dankbar. Zwar reden sie noch eine Weile über seine Fähigkeit, aber das ist okay, schließlich weiß Jaemin, dass sie es nicht böse meinen, einfach nur darüber Bescheid wissen wollen. Und er merkt, dass es ihn erleichtert, es ihnen mitzuteilen.

Sie trennen sich ziemlich bald nach dem Essen auf, und Jeno und Jaemin machen sich auf den Weg zu Jeno, hauptsächlich schweigend, in Gedanken.

"Wenn es später regnet, fährst du mit dem Bus nach Hause, ja?" Jaemin sieht hoch in den Himmel, auf die dunkle Wolkenfront, die näherkommt.

"Aber ich mag Regen."

Jeno schmunzelt. "Ich weiß, aber du sollst nicht krank werden. Wir haben ein Gespräch zu erledigen."

"Da hol ich mir doch lieber eine Mandelentzündung", sagt Jaemin leise.

"Manchmal muss man sich überwinden, bunny." Jeno drückt seine Hand sanft.

"Das ist aber so schwierig."

"Ich helf dir dabei." Jaemin sieht ihn unsicher von der Seite an, Jeno lächelt ihm sanft zu. "Ich lass dich nicht los. Aber du musst mithelfen."

Er sieht zu Boden. "Ich weiß." Aber manchmal fragt er sich, ob er nicht schon lange selbst losgelassen hat.

Es dauert nicht länger als bis zum Ende der Woche, dass Jaemin in jedem Unterrichtsfach neben Jeno sitzt. Anfangs ist es ihm unangenehm, er fühlt sich unwohl, spricht nur mit Jeno, aber nach und nach wird er etwas wärmer, entspannter.

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