tw: selfharm
Jaemin braucht eine Weile, um sich zu beruhigen, und schämt sich dann noch so sehr, dass es einiges von Jenos Überredungskunst erfordert, um ihn dazu zu kriegen, ins Wohnzimmer zu gehen und nicht den Rest des Tages auf dem Küchenfußboden zu sitzen und sich zu wünschen, unsichtbar zu sein.
Bei den drei neuen und somit insgesamt fünf erwartungsvollen Gesichtern wäre seine Idee der Nachmittagsgestaltung Jaemin dann doch lieber gewesen, aber Jeno legt seinen Arm um seine Taille und hält ihn somit von einer Flucht ab.
"Noch einmal für alle meine liebsten Freunde; das ist Jaemin, seit dreiundzwanzig Tagen achtzehn und seit fünfundzwanzig mein Freund, handle with care oder euch bricht was."
Für eine Sekunde herrscht Stille, dann brechen laute Diskussionen los.
"Hä?"
"Freund wie in boyfriend?"
"Wie soll man euch den shippen, mit Je und Jae!"
"Wie, das wusstet ihr nicht?"
"Seit wann? Und warum? Ich will alles wissen!"
"Seit wann kennt ihr euch überhaupt?"
"Fünfundzwanzig Tage?! Wieso wussten wir das noch nicht?!"Jaemin sieht Jeno unsicher von der Seite an, erhält ein Lächeln, das ihn wegsehen lässt, aber Jeno hebt sein Kinn wieder an, sodass er gezwungen ist, ihn anzusehen.
"Du kannst hinsehen", flüstert er und küsst Jaemin, woraufhin der Rest ziemlich still wird.
"Ihr seid ja mal unglaublich süß."
"Normalerweise hätte ich jetzt einen Brechreiz, fühlt euch geehrt." Jeno verdreht innerlich die Augen, lächelt aber, und als sie sich lösen, versteckt Jaemin sein hochrotes Gesicht an seiner Schulter.
"Jeno?" Die Stimme hat Jaemin bisher am wenigsten gehört. "War er derjenige, wegen dem du mich abgewimmelt hast, auf dem Schulfest?"
"Ich hab später mit dir geredet."
"Als ich es das erste Mal versucht hab, hast du mich nicht einmal ausreden lassen."
Jeno lacht leise. "Ja, das war er. Ich war mir nicht sicher, ob er die Zeit vielleicht nutzt, um vor mir zu flüchten."
Jetzt traut Jaemin sich erst recht nicht mehr, ihn loszulassen, er klammert sich noch fester an ihn.
"Bunny, willst du dich nicht umdrehen?", flüstert Jeno.
Jaemin schüttelt den Kopf. "Die gucken", wispert er.
"Sie meinen es aber nicht böse. Sie kennen dich nur nicht und wollen das jetzt ändern." Jaemins Griff wird noch einmal fester, bevor er loslässt und Jeno unsicher ansieht, und dieser nimmt seine Hand und zieht ihn vorsichtig mit zum Sofa, und da er sich hinter ihn setzt, fühlt Jaemin sich etwas sicherer.
"Das sind Donghyuck, Renjun, Jisung, Chenle und Mark." Lila, Blond, Braun-Blond, Schwarz und Braun.
"Wenn du dir unsere Namen nicht merken kannst, ist das okay", lächelt der Letzte, "sprich uns einfach mit unseren Haarfarben an." Jaemin schluckt, nickt, sieht weg.
"Macht es dir was aus, wenn wir dich Zeug fragen? Beziehungsweise, eigentlich will ich erstmal wissen, wie das bei euch zustandegekommen ist." Jaemin wagt einen kurzen Blick hoch zu Donghyuck, doch sieht sofort wieder nach unten, als er ihn erwidert.
"Auf dem Schulfest haben wir Fußball gegeneinander gespielt und ich bin... ziemlich unsanft in ihn hineingerannt." Jeno streicht fast entschuldigend über Jaemins Hand. "Hab etwas mit ihm geredet und ihn mehr oder weniger dazu gezwungen, mich ihm meine Nummer geben zu lassen, damit ich ihn weiter nerven konnte. Ich hab mich ihm aufgedrängt, bis er irgendwann freiwillig in meiner Gegenwart war und auch von sich aus mit mir geredet hat. Zack, Freunde, zack, verliebt. Das hier ist das Endergebnis."
Jaemin kann sie spüren, die Blicke, und er wünscht sich nichts mehr, als sich einfach nur in Luft aufzulösen.
"Jaemin", er identifiziert die Stimme als Marks, "was machst du in deiner Freizeit?"
"Lesen", sagt Jaemin leise.
"Was liest du so?"
"Alles."
"Alles? Auch Thriller?"
Jaemin wagt es, aufzusehen. "Psychothriller."
Mark schüttelt sich. "Und dein Lieblingsbuch?"
"Weiß nicht."
"Dann... Welches liest du momentan?"
"Die Illuminae-Akten. Trilogie."
"Worum geht's da?"
Genau wie Jeno findet Mark die richtigen Knöpfe, um Jaemin zu öffnen. Und weil die anderen ebenso gespannt zuhören, wird er durch nichts unterbrochen – erst durch sich selbst, als er merkt, dass er alle Aufmerksamkeit hat. Er entschuldigt sich leise, senkt den Blick.
"Nein, das ist total spannend!" Chenle schenkt ihm ein Lächeln.
"Gibt es sonst noch was, was du gerne machst?"
Jaemin überlegt. "Fahrrad fahren", sagt er leise. "Videospiele spielen."
"Fahrradfahren? Oh Gott, wenn ich nur daran denke, krieg ich Muskelkater", jammert Donghyuck.
"Faules Stück", murmelt Renjun neben ihm und die beiden fangen an, miteinander zu diskutieren, weshalb die drei anderen diejenigen sind, die mit Jaemin reden.
Und langsam öffnet er sich, wie eine Blume unter den ersten Sonnenstrahlen. Er sieht sie an, spricht lauter, sagt mehr, geht auch auf ihre Aussagen ein, und Jeno kann fühlen, wie er etwas gelassener wird, er spannt nicht mehr seinen ganzen Körper an.
Erst als es um die vergangenen Jahre geht, wird Jaemin wieder still, hört zu, aber sagt nichts.
"Was ist mit dir, Jaemin?", fragt Renjun, sie müssen über die Schule oder so etwas geredet haben.
"Ich will nicht drüber reden", sagt der leise, kratzt sich am Arm. Kratzt und kratzt, bis sie das Thema wechseln.
"Minnie." Erschrocken sieht Jaemin auf, in Chenles große Augen. "Du blutest." Er deutet auf seinen Arm, durch den hellblauen Stoff sickert dunkelrotes Blut, und wirklich wenig ist es nicht.
Wortlos steht Jeno auf und nimmt Jaemin mit, nach oben und in sein Zimmer, schließt sorgfältig die Tür hinter ihnen.
"Kannst du deinen Hoodie ausziehen?", bittet er Jaemin, mit zitternden Händen folgt dieser seinen Worten, drückt den Stoff mit seiner rechten Hand an sich, als wäre es sein einziger Halt. Jeno mustert die aufgekratzten Schnitte, verlässt das Zimmer und kehrt mit einem Verband und einer Kompresse zurück. Während er Jaemins Arm verbindet, fängt der Jüngere an zu weinen, und es ist endgültig vorbei, als Jeno ihn umarmt.
"Es tut mir so leid", schluchzt er, traut sich nicht einmal, die Umarmung zu erwidern.
"Schon gut, bunny." Jeno streicht sanft über seinen Rücken. "Schon gut. Wir können später darüber reden, wenn du möchtest. Es muss aber nicht sein. Du kriegst von mir einen Hoodie und ich wasch deinen. Es ist okay."
Jaemin zittert noch, als sie sich lösen, obwohl er nicht mehr weint, und Jeno wischt in aller Ruhe seine Wangen trocken, bevor er ihm den größten Hoodie gibt, den er besitzt, ihm hineinhilft, ihn voller Liebe küsst, und davon fühlt Jaemin sich ein bisschen besser.
Niemand sagt etwas, auch die anderen nicht, dabei wissen sie wohl alle, was es für eine Verletzung auf Jaemins Arm ist.
23.07.2020
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can't you see me? ❈ nomin ✓
Fanfiction𝙣𝙤𝙬 𝙥𝙡𝙖𝙮𝙞𝙣𝙜: can't you see me - txt 03:06 ────────────●─ 3:21 ⇆ㅤㅤ ㅤ◁ㅤㅤ❚❚ㅤㅤ▷ㅤㅤ ㅤ ㅤ↻ 𝙣𝙚𝙭𝙩 𝙛𝙧𝙤𝙢: 𝙙𝙖𝙣𝙘𝙞𝙣𝙜 𝙞𝙣 𝙩𝙝𝙚 𝙧𝙖𝙞𝙣 runaway - eric nam » Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, alles vereint in dem fast ach...