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Sie verbringen den gesamten Tag gemeinsam und Jeno kann förmlich spüren, wie Jaemin nach und nach offener wird. Innerhalb von so kurzer Zeit hat er schon angefangen, vom stummen Kopfschütteln zum in ganzen Sätzen-Reden zu wechseln, und auch wenn er sich häufig wieder in sein Schneckenhaus zurückzieht, innerhalb von Sekunden, im Großen und Ganzen ist es besser geworden, am allermeisten für ihn selbst. Jeno wird zwar die einzige Person sein, mit der er redet, doch das reicht ihm schon. Schließlich war er darauf eingestellt, sein ganzes Leben nicht mehr mit jemandem zu sprechen.

Mit der Zeit gewöhnt Jaemin sich sogar daran, Jeno anzusehen, kann es immer länger aushalten und ignorieren, und auch Berührungen fallen ihm leichter. Nur ist da das Problem, dass es viel weniger ist, als er will, und auch wenn sie es ihm sozusagen antrainieren, lange geht es nie und manchmal wünscht Jaemin sich nichts mehr, als einfach nur in Jenos Armen zu liegen und nichts zu tun.

Über die Sommerferien treffen sie sich häufig, und als Jeno mit seiner Familie im Urlaub ist, stellt Jaemin fest, wie einsam er sich ohne ihn fühlt. Sie schreiben schließlich auch nicht viel, Jeno muss auf dem Flur stehen, um genug Empfang zu haben, und doch tut er das häufiger als er es für andere täte. Teilweise, weil er weiß, dass Jaemin sonst niemanden hat, teilweise, weil er sich sonst Sorgen um den Jüngeren macht, größtenteils, weil er es selbst nicht lange ohne ihn aushält. Immerhin ist Jaemin jetzt schon lange im Besitz seines Herzens, auch wenn er das nicht weiß.

Mitten in der Nacht ist es, als Jeno davon aufwacht, dass sein Hand neben ihm wie verrückt vibriert. Als er sieht, dass es Jaemin ist, der ihn anruft, ist er innerhalb von Sekunden aufgestanden und mit seinem Handy in der Hand auf den Flur gegangen.

"Was ist los?", fragt er leise, sobald er abnimmt.

Kurz bleibt es still. "Ich vermisse dich." Er klingt, als hätte er geweint, aber Jeno stempelt es als Einbildung ab.

"Nur noch drei Tage, dann bin ich wieder zu Hause. Ich kann gleich an dem Nachmittag zu dir kommen, wenn du das möchtest."

"Das sollst du aber nicht. Das findet deine Familie nicht toll und du bist dann kaputt und das wird dann nur doof für dich."

"Es geht nicht darum, was ich soll, Jaemin. Es geht darum, was du möchtest."

Stille.

"Ja", schluchzt er. Jenos Herz zieht sich davon zusammen.

"Ist es echt so schlimm?"

"Ich hab noch nie jemanden vermisst. Ich weiß ja nicht einmal, was ich dagegen tun soll."

"Als Allererstes beruhigst du dich. Ich bin jetzt hier und bald auch wirklich bei dir. Bist du aufgewacht oder gar nicht erst eingeschlafen?"

"Nicht eingeschlafen."

"Okay. Erzähl mir von deinem Tag." Jeno setzt sich auf den Fußboden und lehnt sich gegen die Wand hinter ihm, während er Jaemin zuhört, wie er genau das tut und sich mit der Zeit beruhigt.

Erst eine Dreiviertelstunde später werden sie das erste Mal richtig still.

"Du hättest mich auch früher anrufen können", sagt Jeno leise.

"So lange hab ich das noch gar nicht. Ich konnte nicht einschlafen und dann hat das erst angefangen."

"Also warst du ziemlich lange wach."

"Ich war gerade an einer spannenden Stelle", murmelt Jaemin. Jeno lacht leise auf.

"Stimmt, das hab ich dich noch überhaupt nicht gefragt. Was liest du gerade?"

"Das von dir."

Jeno lächelt. "Gefällt es dir?"

"Es ist ein wenig vorrausehbar, aber trotzdem gut. Ich hab's bald durch."

"Hast du noch welche?"

"Eins noch. Ich kauf immer eine Ladung, damit ich nicht so oft raus muss."

"Darf ich mitkommen, wenn du das nächste Mal Bücher kaufst?"

Jaemin bleibt etwas länger still. "Ja." Wieder muss Jeno lächeln.

"Sag mir einfach Bescheid. Wie sieht's aus, denkst du, dass du schlafen kannst?"

"Ich weiß nicht."

"Gibt es etwas, das dich immer beruhigt?"

Darüber muss Jaemin nicht all zu lange nachdenken. "Hasen zeichnen."

"Nur Hasen?"

"Mit Gras und Blumen."

Jeno schmunzelt. "Ich weiß nicht, ob das im Liegen so leicht ist, aber mach das, wenn du nicht schlafen kannst. Oder du rufst mich wieder an."

"Aber du musst schlafen."

"Das kann ich auch, wenn ich zu Hause bin und du mich nicht mehr vermisst."

"...Na gut."

"Jaemin, wann hast du Geburtstag?"

"In sechs Tagen. Glaub ich. Ja."

"Glaubst du? Das ist dein Geburtstag!"

"U-Und?"

"Du feierst nie, oder?", fragt Jeno nach einem Moment der Realisation. "Kriegst du wenigstens Geschenke? Einen Kuchen?"

"Einen Büchergutschein. Was soll ich denn mit einem Kuchen? Und mit wem sollte ich feiern?"

"Wir feiern. Du und ich. Ich back dir einen Kuchen. Oder meine Schwester. Was wünschst du dir?"

"Dass die Zeit, bis du zurückkommst, nicht so lange dauert."

Jeno muss lächeln. "Das meinte ich nicht. Zum Geburtstag. Gibt es etwas, das du haben möchtest?"

"Ich krieg doch Bücher."

"Sonst nichts?"

"Ich brauch doch nichts."

"Es geht nicht um Brauchen, es geht um Möchten."

"Nein. Doch. Einen Hasen. Aber das darf ich nicht. Und ich weiß auch nicht, ob ich das will. Ich will nicht wissen, wann er stirbt."

"Und die Plüschversion?"

Jaemin schnappt nach Luft. "Ja..."

"Ich besorg dir einen."

"Aber der ist doch meiner."

"Ich schenk ihn dir ja auch."

"Machen das nicht nur Eltern?"

"Freunde können das auch machen."

"Freunde?"

"Willst du nicht mit mir befreundet sein?", lächelt Jeno.

"Doch! Aber... Ich hab so lange keinen Freund mehr gehabt."

"Das ist nicht schlimm. Jetzt wirst du lange einen haben."

"Das ist schön", flüstert Jaemin. Es bringt Jeno zum Lächeln.

"Find ich auch."

Erst eine halbe Stunde später schaffen sie es, sich voneinander zu trennen, und beide können, mit dem warmen Gefühl im Bauch, schnell und gut schlafen.

29.06.2020
babyzen<3

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