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Da sowohl Jeno als auch Jaemin etwas angeschlagen von ihrem Gewittergenießen sind, ziehen sie sich nicht einmal um, setzen sich nur wieder mit Bettdecke und Nono ans Bettende und spielen weiter Jenos Videospiele durch, und so wird der Controller die nächste Sache, die Jaemin problemlos anfassen kann, auch wenn er es nicht merkt.

Wie zuvor kommt Jaemin aus sich heraus, strahlt immer wieder, doch mittendrin, als er ausgeschieden ist und Jeno zusieht, schlägt es um. Jeno kann es spüren, noch bevor Jaemin Nono genommen und sich umgedreht hat, um sich in Jenos Arme zu kuscheln.

"Was ist los, Engel?", fragt der ihn, pausiert das Spiel, mustert ihn sorgenvoll.

Jaemin hat sich wieder einsam gefühlt. Nur für den Bruchteil einer Sekunde, nur weil er nicht mit Jeno im Spiel war, und das hat alles kaputt gemacht. Jeno nimmt ihm die Einsamkeit, hat es von Anfang an getan, und wenn sie zurückkommt, wenn er da ist, weiß Jaemin nicht, was er tun soll. Seit er jemanden hat, seit er Jeno hat, ist sie immer erdrückender geworden, nimmt ihm die Luft zum Atmen. Er hasst sie, noch mehr, als er es vorher getan hat.

"Hey, schon gut, du musst es mir nicht sagen." Jeno hält Jaemins Kopf sanft fest, da dieser ihn vehement schüttelt. "Gibt es etwas, das dir helfen kann? Oder willst du einfach nur kuscheln?"

Jaemin steigen Tränen in die Augen. Und ob er kuscheln will. Aber er will Jenos Leben nicht sehen, will keine Dinge erfahren, die niemand wissen soll. Dazu hat er kein Recht, das ist Jenos Privatsphäre, in die er nicht eindringen will.

"Ich weiß es nicht", wispert Jaemin.

"Wenn du etwas findest, sag mir das. Soll ich aufhören zu spielen?"

"Musst du nicht."

"Möchtest du das?"

"Nein, es– es geht so."

"Okay." Jeno drückt ihm einen Kuss auf die Stirn und nimmt das Spiel wieder auf, die Arme um Jaemin gelegt. Er macht sich klein, an Nono geklammert, an Jeno gekuschelt, konzentriert sich auf seinen eigenen Atem, seine eigenen Gedanken, die Geräusche des Spiels, weg von Jeno, weg von seinen Erinnerungen, und es klappt sogar. Nicht vollständig, nicht lange, aber für einen Moment ist es ruhig in Jaemins Gedanken, nur er selbst, niemand anderes. Sein Kopf sinkt gegen Jenos Schulter, er schließt seine Augen, seine Schultern sinken nach unten, als er sich endlich entspannen kann. Die Erschöpfung ist zurück, dabei ist er vor wenigen Stunden erst aufgewacht und wenig Schlaf hatte er nicht, und er kann sich nicht einmal darüber ärgern, nur hoffen, dass es jetzt besser wird.

Als Jeno die Runde beendet hat, verlässt er das Spiel und konzentriert sich stattdessen auf seinen Freund, streicht ihm durch die Haare, und da Jaemin bemerkt, dass er aufgehört hat, sieht er auf.

"Warum?", fragt er leise.

"Weil du wichtiger bist."

Tränen steigen in ihm auf, und er verflucht es, so nah am Wasser gebaut zu sein.

"Was ist los, hm?", fragt Jeno nach, "was ist passiert?"

"Es ist so bescheuert." Jaemin schnieft, wischt sich über die Augen.

"Das ist mir egal, bunny. Wenn dich etwas bedrückt, nehme ich das ernst."

"Ich hab mich einsam gefühlt." Er schluchzt. "Nur weil du gespielt hast und ich nicht mehr. Weil, weil sich das so angefühlt hat, als wär ich gar nicht mehr da. Weil ich Angst hab, dass das auch in Echt passiert, obwohl du doch zu mir gehörst, aber..." Er muss tief Luft holen, um weiterreden zu können. "Und außerdem bin ich traurig, weil ich– Nein, ich bin frustriert. Ich bin wirklich echt frustriert und eigentlich auch enttäuscht. Ich weiß alles, Jeno, auch Dinge, die niemand weiß, weil es dir peinlich ist oder so, also vielleicht, oder auch nicht, aber, aber– Das ist doch deine Privatsphäre. Und ich mach das einfach kaputt."

"Das ist okay, bunny. Ich weiß doch, dass es so ist. Das weiß ich auch schon länger. Für mich ist das okay. So lange du vielleicht ein bisschen Kindheit von mir abbekommst. Und wegen des Spiels, Engel, das merk ich mir und wir spielen nichts mehr mit Ausscheiden, und wie du ja gesagt hast; ich bleibe bei dir. Wenn du dich einsam fühlst oder sonst auf irgendeine Weise schlecht, dann sag mir das, und wir können versuchen, etwas daran zu ändern. Egal was ist, egal was noch passiert, ich bleibe. Du bist mein bunny, und ich passe auf dich auf." Er streicht sanft lächelnd die Tränen von Jaemins Wangen, und es bringt ihn eigentlich noch mehr zum Weinen. Bebend vergräbt er sein Gesicht an Jenos Schulter, klammert sich an ihn, schluchzt auf, als dessen Erinnerungen intensiver werden. Jeno spürt sein eigenes Herz schwer werden, er verflucht es, dass Jaemin damit so zu kämpfen hat.

"Was hältst du von einem Tee, bunny?", fragt er leise. "Das ist gut für die Nerven?"

"Wieder?"

"Meinetwegen auch den ganzen Tag." Jaemin nickt. "Kannst du mich loslassen?" Kopfschütteln. Also hebt Jeno ihn erst auf seine Beine, steht dann mit ihm auf und geht nach unten. In der Küche setzt er ihn auf der Arbeitsplatte ab, und zögerlich lässt Jaemin ihn los. Bevor Jeno sich aber mit dem Tee beschäftigt, nimmt er Jaemins Kopf in seine Hände und küsst ihn sanft und schenkt ihm nur eine Erinnerung: Als sie sich das zweite Mal begegnet sind. Mitsamt der Freude, der Verwirrung, der Zuneigung.

Jaemin ist sprachlos, als sie sich lösen, und so kann Jeno ihn sitzen lassen und sich mit dem Tee beschäftigen.

"Suchst du dir einen aus?" Jeno zieht die Schublade auf und Jaemin sieht hinein, kann sich aber nicht wirklich darauf konzentrieren. Jenos Erinnerung übertrumpft Jieuns Worte noch einmal deutlich, und da sind so viele Gedanken, dass Jaemin gar nicht hinterherkommt.

"Deinen", sagt er irgendwann.

Jeno sieht auf, legt fragend den Kopf schief. "Meinen?"

"Lieblings."

Jeno schmunzelt. "Okay." Er streicht über Jaemins Wange, lächelt, wendet sich ab.

"Jeno...?"

Er dreht sich wieder um. "Hm?"

"Danke für alles."

Jeno antwortet nicht, küsst ihn nur kurz, denn das Pfeifen des Telekessels unterbricht sie.

"Bunny." Jaemin sieht zu ihm. "Du entscheidest, was wir machen. Die ganze Zeit. Okay?"

Er ist so dankbar, dass sein Klassenlehrer krank geworden ist.

17.07.2020

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