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Chenle ist angenehme Gesellschaft - aber Jeno ersetzt er nicht.

Er ist so fröhlich, wie er neben ihm herumhüpft, freut sich, etwas Zeit mit seinem Kindheitsfreund verbringen zu können, aber Jaemin kann es kaum genießen, seine Gedanken kreisen nur darum, wie er es schaffen soll, ohne Jeno überhaupt einen richtigen Schritt zu machen.

Er behält es aber für sich, unterhält sich mit Chenle stattdessen über dessen und Jisungs schrecklichen Englischlehrer, mit dem auch Jaemin schon Erfahrungen gemacht hat.

"Soll ich noch mit reinkommen?" Jaemin hat überhaupt nicht gemerkt, dass sie schon vor dem Buchladen stehen.

"Das musst du nicht", weicht er aus, "du hast doch bestimmt auch noch was vor."

"Naja, aber wenn du nicht allein reinwillst, komm ich halt mit."

Jaemin sieht auf seine Schuhe hinab. "Das... Wenn es dir keine Umstände macht..."

"Nö. Also los, hyung!" Chenle hüpft vor ihm herum, bis er seinen Mut zusammengefasst hat und durch die glücklicherweise offenstehende Tür tritt.

Sofort empfängt die beiden der angenehme Geruch von Papier und Tinte, und Jaemin sieht Yerim auf der Treppe ihm zuwinken.

"Danke fürs Bringen", murmelt er Chenle zu, der grinst nur und sie verabschieden sich, ehe Jaemin sich auf den Weg zur jüngsten Mitarbeiterin macht, die mittlerweile das untere Ende der Treppe erreicht hat.

"Hi! Ich zeig dir, wo du deine Tasche abstellen kannst, und dann hat Juhyun-eonnie auch schon eine Aufgabe für dich~ Sie müsste aber oben sein, du musst sie einfach mal suchen. Guck, da in die Ecke", sie deutet auf die an der Fensterseite stehende Garderobe, "da stehen unsere auch, such dir einfach einen Platz. Und dann ab zur Chefin!" Sie grinst und Jaemins Nervosität ist fast vergessen.

Als Jeno ankommt, sortiert er eine ganze Menge Bücher aus den Bestellkasten in die richtigen Regale, immer mit der Ungewissheit, was er macht, wenn er nicht weiterweiß.

"Hi." Jeno ist außer Atem, schenkt ihm trotzdem ein Lächeln und nachdem er sich umgesehen hat, auch einen Kuss. "Ich setz mich wieder da hinten hin, okay? Wenn was ist, kannst du zu mir kommen." Jaemin nickt, murmelt ein Danke, sieht ihm hinterher. Wie immer angelt Jeno ein Buch aus dem Regal hinter ihm, es ist noch immer das gleiche wie am Anfang, so ablenkend ist Jaemin, und er sieht auf, als er sich hingesetzt hat, direkt in Jaemins Augen, lächelt ihn an und dieser wird rot, wendet sich hastig wieder seinem Bücherstapel zu.

Wie froh er ist, dass Jeno jetzt hier ist. Es sorgt dafür, dass er sich so auf seine Arbeit konzentrieren kann, dass er die Schritte hinter sich nicht bemerkt - was gut ist, so bleibt keine Zeit für Angstgedanken.

"Verzeihung?" Jaemin zuckt zusammen, wird von Angst erfüllt, dreht sich trotzdem zu dem etwas älteren Herren neben ihm. "Arbeiten Sie hier?" Er nickt, angestrengt, nicht wegzusehen. Er muss das schaffen. Er kann das schaffen. Das ist nichts Schlimmes.

"Wo finde ich die Kalender?"

"Sie müssen... die Treppe hoch und... vor der Fensterwand, also über der Tür, da müssten- da sind Kalender und Notizhefte."

"Dankeschön", und der Fremde dreht sich weg und macht sich auf den Weg in Richtung Treppe.

Jaemin legt die Bücher auf die Ablage vor sich und rennt schon fast zu Jeno.

"Ich- Ich hab mit jemandem geredet." Sofort legt Jeno sein Buch zur Seite, steht auf, nimmt Jaemins zitternde Hände in seine.

"Ich bin stolz auf dich", sagt er, lächelt, und Jaemin schlingt seine Arme um ihn, schließt seine Augen, atmet tief durch, entspannt sich durch Jenos Umarmung.

"Und es war gar nicht schlimm", flüstert er, fängt an zu lächeln.

"Das ist es ja auch nicht." Jeno lässt ihn los, drückt seine Hände. "Und mit ein bisschen Übung machst du dir gar keine Gedanken mehr darum."

"Glaubst du?"

"Da bin ich mir sogar sicher." Jenos Lächeln bringt Jaemin ganz durcheinander.

"Dann stimmt es auch", flüstert er, und Jeno drückt ihm noch einen Kuss auf die Stirn, bevor Jaemin sich wieder seiner ursprünglichen Tätigkeit widmet.

Und jetzt, mit dem ganzen Stolz, den er für ihn empfindet, kann Jeno noch seltener seinen Blick von ihm abwenden.

Seungwan, die mittlerweile aus ihrem Urlaub zurück ist, und Jaemin heute das erste Mal begegnet ist, dank Erzählungen der anderen aber schon wie sie beinahe vernarrt in Jaemin ist, sieht auch genau das, und nach einigem Überlegen macht sie sich auf den Weg zu Jeno.

Überrascht sieht der zu ihr auf, erhebt sich rasch.

"Entschuldige, dass ich dich einfach so störe, aber ich hab gesehen, wie du die ganze Zeit zu unserem Nesthäkchen siehst und da hab ich mich gefragt... Soll ich dir seine Nummer beschaffen? Dir kann er es bestimmt nicht ausschlagen."

Jeno grinst stolz. "Er ist mein Freund."

Seungwans Mund klappt beinahe auf, sie schlägt sich die Hände vor den Mund. "Oh, Verzeihung! Aber..." Sie wirft einen Blick auf Jaemin, wendet sich mit einem Lächeln zurück. "Du bist das, was ihn davon abhält, die Beine in die Hand zu nehmen, oder?"

Jeno lächelt. "So in Etwa. Ich hab ihn wohl mehr oder weniger hierhergezerrt, damit er etwas aus dem Haus kommt, und er hat es schwer im Umgang mit Menschen, deshalb dachte ich, dass es ihm helfen könnte, in einem vertrauten Umfeld genau das nach und nach zu lernen. Und weil er sich immer ganz schnell unwohl fühlt, komm ich mit, bis das besser ist."

Beide sehen sie Jaemin eine Weile einfach nur zu, Jeno mit einem verliebten Lächeln auf den Lippen, das auch Seungwan bemerkt und sie zum Schmunzeln bringt.

"Wie ist dein Name?", fragt sie ihn, reißt ihn aus seiner kleinen Blase.

"Jeno."

"Möchtest du einen Tee, Jeno? Wenn du schon so lange hier sitzt, kannst du es dir ja auch gemütlich machen."

Innerhalb von kurzer Zeit hat das fünfköpfige Kollegium sie beide ins Herz geschlossen - und somit ist Jaemins Wohlfühlen über kurz oder lang wohl garantiert. Was besonders Jeno erleichtert.

Schließlich hat Jaemin ein Umfeld gefunden, in dem er sich wohlfühlt. Hoffentlich sogar zwei, sobald er etwas mit Jenos Freunden warm geworden ist.

23.07.2020

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