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Sommer.

Bisher hat Jaemin diese Jahreszeit verabscheut.

Aber jetzt ist sie genau so schön wie alle anderen auch.

Er teilt die Freude seiner Mitschüler über die nahenden Ferien das erste Mal auf die gleiche Art, spricht über seine, und Jenos, Pläne. Auch mit seiner Mutter hat er einen Tagesausflug vor, jedoch wird er die meiste Zeit mit Jeno verbringen.

Jaemin wohnt nun schon eine Weile bei seiner Mutter, und sie haben sich eingelebt. Sie hat ihn sogar gefragt, was er sich zum Geburtstag wünscht, zum ersten Mal in seinem Leben. Und auch wenn er darauf keine Antwort geben konnte, hat es ihn doch unendlich gefreut.

Gleich am ersten Ferientag besucht Jeno ihn das erste Mal in der Wohnung, seine Mutter hat ein Bewerbungsgespräch, also sind sie allein.

"Ihr habt es ja doch echt schön", sagt er, als Jaemin ihn durch die Zimmer geführt hat, "habt ihr alles neu gekauft?"

Jaemin schüttelt den Kopf, zieht ihn aus dem Wohnzimmer Richtung seines Zimmers. "Von mir ist alles das alte. Eomma konnte auch ein paar Möbel von früher kriegen. Der Rest ist gebraucht."

"Hmm. Es sieht schön aus." Jaemin nickt nur, sie betreten sein Zimmer, und Jeno ist überrascht, wie ähnlich es seinem alten ist. Die Möbel stehen an den gleichen Plätzen, auf etwas weniger Platz, doch ansonsten ist kaum ein Unterschied zu erkennen. Sogar seine wenigen Bilder und Poster hängen an den gleichen Stellen. Nur das Fenster ist größer, lässt mehr Licht hinein. Und ein neues Regal steht zwischen Bett und dem alten, es ist bereits zur Hälfte gefüllt.

"Du musst echt mal aussortieren, Baby", schmunzelt Jeno.

"Hab ich doch", murmelt Jaemin, "guck." Er deutet auf den kleinen Stapel neben seiner Tür, Jeno zählt es durch – neun Bücher.

"Immerhin etwas." Lächelnd drückt Jeno ihm einen Kuss auf die Stirn. "Mein Bücherwurm. Du hast es wie dein altes Zimmer eingerichtet, hm?"

Jaemin nickt. "Weniger Neu, an das ich mich gewöhnen muss", sagt er leise.

"Bist du vollständig angekommen?"

"Ich denke. Nicht immer. An sich aber schon."

"Das ist gut. Bunny, ich hab mir überlegt, hast du vielleicht Lust, tanzen zu gehen? Nach den Ferien fängt ein Kurs für gemischte Paare an der Tanzschule an, vielleicht hast du ja Lust."

"Kann ich darüber nachdenken?"

"So lange du willst." Jeno schlingt seine Arme um ihn. "Ich liebe dich." Jaemin hat es ihn lange nicht mehr sagen hören. Es ist erleichternd.

"Ich dich auch."

Eine Woche, zwei Wochen, Jaemins Geburtstag.

Seine Mutter weckt ihn, nicht absichtlich, mit dem Geruch von Kaffee, und so steht er doch tatsächlich mit einem Lächeln auf.

Bevor er sich zu ihr in die Küche begibt, wirft er einen Blick auf sein Handy. Jenos Nachricht überrascht ihn nicht, macht ihn trotzdem glücklich. Ebenso die fünf anderen, mit denen er allerdings nicht gerechnet hatte. Nur Jeno antwortet er allerdings, besonders bezüglich seiner Frage, wann sie sich sehen wollen. Am liebsten hätte Jaemin "Jetzt sofort" geantwortet, aber er sieht noch aus wie ein geplatztes Sofakissen und geduscht hat er auch nicht.

"Alles Gute zum Geburtstag, Jaemin-ah", lächelt seine Mutter, als er die Küche betritt. Einen Moment sehen sie sich nur an, aus dem Augenwinkel bemerkt Jaemin die Geschenke und den Kuchen, das Frühstück, und jetzt muss er sie einfach umarmen.

"Danke", murmelt er, beinahe fassungslos.

Sie drückt ihn vorsichtig an sich. "Ich hoffe, du findest Gefallen daran. Ich habe lange nicht so viele Geburtstagsgeschenke mehr für jemanden besorgt. Was du nicht magst, können wir umtauschen."

"Ich brauch erst Kaffee."

Leise lachend schiebt seine Mutter ihn von sich. "Dann setz dich schonmal hin, ich mach dir einen. Wie viel Zucker noch?"

"Zweieinhalb Löffel."

"Keine Milch stimmt aber?" Jaemin nickt, sie dreht sich um und er nimmt am Tisch Platz. Jetzt kann er auch den Kuchen unter die Lupe nehmen, und stellt freudig fest, dass er vor Schokolade nur so strotzt. Hübsch ist er auch, und schon gestern Abend roch er ausgesprochen gut. Er kann sich gar nicht mehr erinnern, dass seine Mutter das Backen so sehr geliebt hat.

"Der sieht toll aus", bemerkt er also auch, als sie sich zu ihm setzt, und sie schiebt ihm mit einem Lächeln seinen Kaffee zu, nimmt sich selbst ihre Teetasse zum Tisch.

"Das hatte ich gehofft. Du hast ihn früher auch bekommen, ich dachte, lieber den gleichen als etwas Neues auszuprobieren."

"Kann ich... damit anfangen?"

Seine Mutter lacht leise. "Du hast Geburtstag, Jaeminnie, du kannst machen, was du willst, so lange es nicht gegen die Gesetze verstößt."

Also frühstückt er Kuchen.

Er ist gerade auf dem Weg in sein Zimmer, seine Haare tropfen noch beinahe, da klingelt es. Unsicher, ob es Jeno ist, oder nicht, lauscht er an seiner Tür, hört aber gleich darauf die Stimme seines Freundes und muss sich noch einen Hoodie anziehen, bevor er seinen Kopf aus der Tür steckt. Seine Mutter lässt Jeno gerade hinein, mustert ihn, denn es ist das erste Mal, dass sie sich neutral begegnen, auch wenn Jeno noch immer das Bedürfnis verspürt, Jaemin vor ihr zu verteidigen. Aber das Leuchten, das in dessen Augen steht, als er ihm entgegenfliegt, kommt definitiv nicht nur von Jenos Anwesenheit.

"Alles, alles Gute zum Geburtstag, bunny", flüstert Jeno, "auf dass du noch ganz lange Geburtstag feiern kannst."

"Ich liebe dich, Jeno", flüstert Jaemin.

"Ich dich auch, mein Engel." Jeno streicht über seinen Rücken, Jaemin schließt seine Augen, aber dann fällt ihm ein, dass seine Mutter neben ihnen steht, und er löst sich abrupt von seinem Freund.

"Wie du es gesagt hast", schmunzelt Jeno – einen Strauß weißer Blumen in der Hand haltend, den Jaemin vor lauter Freude zuvor nicht bemerkt hat.

"Oh..."

Weiße Blumen, wie in der Erinnerung, die er schon seit einem Jahr hat. Weiße Blumen auf der Vase auf seinem Schreibtisch. Die weiße Rose, weil sie seine Lieblingsblume in seiner Lieblingsfarbe ist.

"Ich hole eine Vase", und seine Mutter ist im Wohnzimmer verschwunden. Jaemin kann nur weiter auf die Blumen starren, nimmt sie zögerlich aus Jenos Händen.

"Es ist wahr geworden", flüstert er.

"Natürlich ist es das. Du kannst doch die Zukunft sehen."

Jaemins Augen füllen sich mit Tränen. "Wir sind seit einem Jahr zusammen."

Jeno hebt sein Kinn sanft an, lächelt liebevoll. "Ein Jahr und zwei Tage. Und ich liebe dich mit jedem Tag noch mehr."

01.11.2020
cute :(

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