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Sie verkrümeln sich in eine Ecke auf eine kleine Sitzbank, nehmen wohl nur so viel Platz wie eine einzige Person ein. Viel reden sie nicht, sind mehr damit beschäftigt, sich einfach nur zu umarmen. Und wenn sie es doch tun, dann wohl nur über Jaemins Bücher. Zwischendurch sieht Yerim nach ihnen, doch sie bewegen sich kaum vom Fleck, und wenn doch, dann für nicht mehr als ein Buch, etwas zu trinken, Jeno holt auch ein Stück Kuchen, das sie sich teilen.

Nach einer ganzen Weile gehen sie wieder nach unten, und Jaemin kann für kurze Zeit sogar noch arbeiten, während Jeno seinen Brief liest.

Hallo Jeno, ich weiß nicht einmal, ob ich das richtig mache, ich hab ja noch nie einen Brief geschrieben... Aber ich wollte dir einfach irgendwie was erzählen, weil ich das sonst auch immer mach und da wenigstens weiß, wovon ich rede, also manchmal zumindest... Ich hab wieder ein neues Buch angefangen, ich glaub, bald musst du mir welche von dir leihen, wenn meine Eltern dich denn lassen... Aber auf jeden Fall hab ich jetzt auch schon einen kleinen Stapel, den du lesen musst, damit wir uns darüber unterhalten können. Okay? Ich schreib dir die Titel nochmal extra auf, bei manchen weiß ich auch nicht, ob sie dem entsprechen, was du sonst so liest. Oh, und meine wohl neue Schule schreib ich auch dazu, also die Website, da findest du dann auch den Rest an Informationen, ich will nämlich nicht darüber reden. Meine Mutter will mich noch diese Woche zu einem Probetag dahinschicken, dabei hab ich ihr gesagt, dass ich das nicht will und auch mit niemandem reden kann, der nicht du oder einer deiner Freunde ist, aber natürlich ist ihr das egal. Ich weiß echt nicht, was sie damit bezwecken will, außer vielleicht, sie will mich in den Selbstmord treiben. Echt, Jeno, ich halt das kaum noch aus, ich will hier nicht mehr sein und auch von meinen Eltern nie wieder etwas hören. Sie hören mir ja nicht mal zu, geschweige denn verstehen sie mich, und das ist einfach so unfair, wenn sie dann über mein Leben bestimmen wollen, besonders in so Dingen, die einfach total wichtig für mich sind. Ich meine, du besonders, aber das ist ja nicht einmal das Einzige, und das ist dann eigentlich noch schlimmer. Wenn sie mir auch noch mein Büchergeld streichen, musst du mich wirklich entführen, okay? Bitte...
Ich hoffe, dass es dir gut geht, ich vermisse deine Nachrichten und dich ganz besonders. Ich muss mal mehr Liebesromane lesen, aber der Kitsch ist immer so eklig... Kennst du welche, die da nicht so schlimm sind? Und vielleicht nicht so klassisch mit Badboy und Außenseiter? Die gehen mir voll auf den Keks. Wie läuft's in der Schule? Geht's den anderen auch gut? Ich hoffe, es geht euch allen gut. Und Jieun auch. Ich bin müde. Ich schlaf vielleicht zu viel, aber was anderes will ich auch nicht machen, sonst gehen mir nachher noch die Bücher aus.
Hoffentlich sehen wir uns ganz bald wieder, sonst werd ich verrückt.
Ich liebe dich
Jaemin, dein Bunny, ich weiß nicht, womit ich unterschreiben muss

Am liebsten würde Jeno sofort zu Jaemin gehen und ihn ganz fest umarmen.

Stattdessen muss er warten, bis der Jüngere wiederkommt, aber all zu lange lässt er nicht auf sich warten, vor allem, da Juhyun ihn fast schon dazu zwingt, wieder zu seinem Freund zu gehen. Also wird er, sobald er durch die Tür stolpert, schon in eine liebevolle Umarmung gezogen und kuschelt sich sofort an Jeno, schließt seine Augen und atmet tief durch.

"Holen sie dich ab oder läufst du?"

"Weiß ich nicht", murmelt Jaemin, "hab ja noch eine halbe Stunde."

"Okay. Wenn sie dich nicht holen kommen, kann ich ja noch ein Stück mit dir gehen, oder?"

"Das wäre schön..."

Lächelnd drückt Jeno ihm einen sanften Kuss auf die Stirn. "Ja."

"Hast du meinen Brief gelesen...?"

"Hab ich. Und es ist so bescheuert, dass deine Eltern dir nicht einmal zuhören. Ich hoffe so sehr, dass du nicht wechseln musst und auch ansonsten nicht das machen musst, was sie von dir wollen, sondern das, was du willst. Und hoffentlich kann Appa dir auch helfen. Wegen der Bücher, ich kann dir bestimmt welche mitnehmen, oder ich schick sie dir per Post. Du darfst dir aber auch gleich ein Buch aussuchen und ich bezahl's dir. Wann kriegst du deinen Lohn?"

"Immer am Ende eines Monats. Aber der reicht für nicht viel."

Jeno schmunzelt. "Schon. Du liest nur noch viel mehr."

"Vielleicht, ja. Du sollst mir kein Buch kaufen."

"Mach ich aber."

"Nein."

"Doch. Davon kannst du mich nicht abhalten. Meinetwegen such ich auch eins aus, das ich dann danach lese. Ich möchte aber, dass du dir ein Buch mitnimmst."

Jaemin schweigt eine Weile.

"Danke", flüstert er dann.

"Schon gut. Na komm." Jeno lässt ihn los, ein wenig unzufrieden, und Jaemin bleibt auch noch dicht bei ihm stehen, will seine Nähe nicht verlieren. So sehen sie sich nur an, eine ganze Weile, bis Jeno Jaemins Kopf in seine Hände nimmt und ihn sanft küsst.

"Jetzt?", flüstert Jeno, aber Jaemin reicht es noch nicht, er gibt ein leises, unzufriedenes Geräusch von sich, streckt sich, bis ihre Lippen wieder aufeinandertreffen. Jeno lächelt darüber, legt seine Arme um ihn und zieht ihn dichter an sich, und sie beide gehen beinahe darin verloren.

"Bunny, dein Buch."

"Nein."

Jeno gibt ohne Widerstand nach, ist für die Verlängerung des Kusses verantwortlich. Aber letztendlich schaffen sie es doch, sich voneinander zu lösen, und Jaemin sucht sich auf Jenos weiteres Drängen hin ein Buch aus – und für sein Strahlen würde Jeno alles geben.

Als Jaemin das Buch in seine Tasche gesteckt hat, hilft Jeno ihm hoch und platziert einen Kuss auf seiner Stirn.

"Denk an mich, während du es liest, ja?", grinst er, und Jaemin nickt, umarmt ihn.

Was sie wohl täten, wenn sie wüssten, dass es für eine ganze Weile das letzte Mal ist, dass sie sich sehen?

12.08.2020

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