10

429 37 6
                                    

Als sie sich endlich auf den Weg zum Bücherladen machen, scheint die Sonne und spiegelt damit Jaemins Gefühlslage wider. Jenos Finger mit seinen verschränkt, hüpft er beinahe durch die Gegend, sich die ganze Zeit umsehend, schließlich kann er das jetzt. Jeno betrachtet ihn schmunzelnd und streicht immer wieder über seinen Handrücken, zieht ihn sanft in die richtige Richtung, wenn er so sehr mit dem Umsehen beschäftigt ist, dass er nicht mehr auf den Weg achtet.

Als sie schlussendlich durch die Tür treten, wird Jaemin auf einen Schlag ruhig, langsamer, entspannter. Er holt sein Heft heraus und überfliegt die säuberlich aufgeschriebenen Titel, Autoren und Genres, wird zu demjenigen, der den anderen hinter sich herzieht, denn er kennt diesen Laden wie seine Westentasche und Jeno hat nicht einmal mehr eine Ahnung, wie viele Bücher Jaemin sich ausgesucht hat.

Es werden achtzehn. Denn gleich drei Mal findet er noch ein weiteres direkt neben dem eigentlichen, das er einfach nicht hierlassen kann, und dann ist das eine auch noch der Auftakt zu einer Trilogie.

"Das Geld reicht nicht", flüstert er, als sie alle gesammelt vor ihm aufgestapelt sind.

"Ich geb dir den Rest."

"Nein!" Mit geschockt aufgerissenen Augen sieht Jaemin Jeno an, doch der lächelt nur sanft.

"Wieso nicht? Du hast doch Geburtstag."

"Aber das ist doch nichts Besonderes! Und außerdem schenkst du mir doch schon was! Und du hast mir einen Kuchen organisiert! Und feierst mit mir und holst sogar noch deine Schwester dazu! Das, das sind drei Bücher! Niemals bezahlst du mir die!"

"Doch, Jaemin, genau das tue ich. Und du kannst mich nicht davon abhalten."

"Doch. Die Illuminae-Akten will ich nämlich gar nicht, siehst du, die–"

"Jaemin." Jeno unterbricht ihn sanft, aber er verstummt dennoch sofort. "Ich würde dir noch vier Mal so viele Bücher kaufen und es würde mir nichts ausmachen. Lesen macht dich glücklich, diese Bücher nur in der Hand zu halten macht dich glücklich, lass mich dir doch dieses Glück schenken." Jaemins Hand, die zuvor noch über dem Stapel schwebte, sinkt wieder an seine Seite und er sieht unsicher zu Jeno auf, der ihn liebevoll anlächelt.

"Wirklich?", wispert er. Jeno nickt. Also fummelt Jaemin den Gutschein hervor und legt ihn auf das oberste Buch, was den Stapel ein wenig zum Schwanken bringt.

"Nimm so viele, wie du tragen kannst. Ich nehm den Rest."

Noch immer zögerlich nimmt Jaemin die obersten acht Bücher und folgt Jeno mit den anderen zehn zur Kasse, unter ungläubigen Blicken, und selbst für Jaemin ist es verhältnismäßig viel.

Aber die junge Frau an der Kasse kennt ihn bereits und begrüßt die beiden mit einem Strahlen, kommentiert fast jedes Buch, das durch ihre Hände zurück und für immer in Jaemins wandert. Erst nimmt Jeno sie noch entgegen, doch der Jüngere nimmt sie ihm hastig ab, schlingt seine Arme fest um seine Lebensretter, ehe er sie in die beiden Taschen einräumt.

Jeno zuckt nicht einmal mit der Wimper, als er den Preis hört, während sich Jaemins Augen weiten und er sich an die drei Bücher, für die kein Platz mehr ist, klammert. Aber sein Freund bezahlt schon und hat ihn im nächsten Moment aus dem Laden gezogen, nach einem fröhlichen "Bis zum nächsten Mal!" der Verkäuferin.

Jaemin bedankt sich nicht, weiß nicht wie, aber für Jeno sind seine leuchtenden Augen schon Dank genug.

"Möchtest du noch etwas oder sollen wir nach Hause?", fragt Jeno. Jaemin sieht kurz zu ihm und wieder auf die Bücher in seinem Arm, überlegt, wirft einen Blick auf die Wolken über ihnen.

"Nach Hause."

Aber sie schaffen es nicht rechtzeitig, und da sie beide keine Jacken tragen, suchen sie Schutz vor dem Wolkenbruch in einer Apotheke auf dem Weg.

"Sie sind nass geworden", wimmert Jaemin, "ich hab sie noch nicht einmal angerührt und schon sind sie beschädigt."

Jeno hockt sich vor ihn, hebt sein Kinn vorsichtig an. "Ich bin mir sicher, das verzeihen sie dir. Du wirst sie mit größter Liebe pflegen, sobald sie bei dir im Regal stehen."

Jaemins Augen werden wässrig. "Aber sie sind doch von dir", flüstert er, "ich muss doch auf sie aufpassen."

"Es ist nicht schlimm, Jaeminnie. Ist es wirklich nicht. Du kannst doch nichts dafür, dass es so regnet. Hey, nicht auf deine Bücher weinen." Jeno wischt die Träne von Jaemins Wange. "Es ist okay, das versprech ich dir."

Jaemin schnieft, und dann bringt er es endlich hervor, das Danke. "Danke, dass du hier bist und mir die Bücher bezahlt hast und sie für mich trägst und meine Hand hältst und einfach alles. Ich hab dich dafür noch gerner."

Jeno lächelt leicht. "Ich mach das gern."

So sitzen sie auf dem Boden der Apotheke, ihre Finger miteinander verschränkt, die Bücher zwischen sich, bis der Regenguss vorbei ist.

"Du solltest vielleicht anfangen, in dem Bücherladen zu jobben", beginnt Jeno, als sie durch die nassen Straßen gehen. "Nein, nicht solltest, aber ich kann es mir gut für dich vorstellen. Umgeben von Büchern, du musst manchmal Auskunft geben, aber so kannst du ein wenig mit Menschen in Kontakt kommen. Ich glaub, du würdest dich da wohlfühlen. Nicht sofort, natürlich nicht, aber du gewöhnst dich sicher schnell daran."

Jaemin schweigt eine Weile. "Ich denk darüber nach."

"Mach das. Und ein Nein ist nicht schlimm. Es ist nur eine Idee."

Jaemin nickt leicht, den Blick stetig auf die Bücher in seinen Armen gerichtet, hat sich noch nicht daran gewöhnt, hochzusehen. Jeno bemerkt es, stupst ihn vorsichtig an, und Jaemin sieht überrascht zu ihm hoch, was ihn zum Lächeln bringt.

"Du musst nicht mehr immer nach unten sehen."

"Ich bin daran gewöhnt", murmelt Jaemin betreten.

"Gewöhn dich um. Du verpasst sonst noch etwas."

"Jeno, warum", kurz hält Jaemin inne, fängt erneut an, "Jeno, warum hast du... Warum... Warum hast du mir deine Nummer gegeben? Warum hast du nicht einfach aufgehört, mit mir zu reden, wenn ich dir doch gezeigt hab, dass ich das eigentlich gar nicht will?"

Lange schweigt Jeno, sucht nach der Antwort.

"Weil du mir noch nie aufgefallen bist. Ich kenne so gut wie jeden aus unserem Jahrgang und auch einige Jüngere und Ältere. Aber dich hatte ich noch nie gesehen. Und da niemand dir geholfen hat oder zu dir kam, als du am Rand gesessen hast, selbst als ich weg war nicht, und du die ganze Zeit still und, naja, verängstigt warst, ich weiß nicht... Ich wollte dich kennenlernen."

Jaemin antwortet nicht. Nimmt nur Jenos Hand und drückt sie so fest er kann.

11.07.2020

can't you see me? ❈ nomin ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt