Die Gouvernante

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Samantha saß seit dem Frühstück im kleinen Salon und kürzte und säumte die Kleider, die Hetta ihr gegeben hatte. Solch ein peinliches Missgeschick wie beim Dinner am Vorabend wollte sie nicht noch einmal erleben. Es war eine mühselige Arbeit, ganz ohne Nähmaschine, bloß mit Nadel und Faden, aber für ihr, seit den Erlebnissen im Morgengrauen, in Aufruhr befindliches Gemüt war es eine beruhigende Tätigkeit. Sie mochte den kleinen Salon. Der Raum war hell und gemütlich und im Moment hatte sie ihn ganz für sich allein. Mrs Shepherd war mit ihren Töchtern aufgebrochen, um eine Jugendfreundin am anderen Ende des Dorfes zu besuchen und wurde nicht so schnell zurückerwartet, und von Captain Helwick und Lord Velton hatte sie ebenfalls seit dem Frühstück nichts mehr gesehen oder gehört.

"Ach hier sind Sie", stellte Captain Helwick fest, der den Kopf zur Tür hereinsteckte. "Ich dachte schon, Sie hätten sich in Luft aufgelöst."

Samantha sah lächelnd auf. Wenn er wüsste, dass sie mit genau dieser Absicht heute Morgen aufgestanden war. "Ich bin seit dem Frühstück hier. Sie haben mich doch nicht etwa gesucht?"

"Das nicht, aber das Haus ist wie ausgestorben und ich langweile mich zu Tode. Latimer - ich werde mich nicht daran gewöhnen, dass er jetzt Lord Velton ist - reitet auf seinen Ländereien herum und will mich nicht dabeihaben. Er behauptet, meine Verfassung wäre noch nicht gut genug. So etwas Lächerliches habe ich noch nicht gehört."

"Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie mit dem Bein reiten sollten."

Sie beobachtete, wie er auf den Stock gestützt zu einem Sessel humpelte und sich darauf fallen ließ. "Oh nein, Miss Stevens", rief er aus, während sie den Blick wieder auf die Näharbeit senkte, „fallen Sie mir nicht auch noch in den Rücken! Wollen denn alle, dass ich vor Langeweile umkomme?"

"Jetzt übertreiben Sie maßlos", erwiderte sie aufblickend.

"Stimmt", gab er fröhlich zu. "Womit vertreiben Sie sich denn die Zeit?"

"Ich nähe die Säume um, damit ich nicht wieder stolpere", erklärte sie und beobachtete stirnrunzelnd, wie seine Mundwinkel sich zu einem breiten Grinsen verzogen. "Wagen Sie es bloß nicht, mich auszulachen! Mir ist dieser Vorfall von gestern Abend unsäglich peinlich."

"Oha, Miss Stevens!", rief er lachend. "Ihre giftsprühenden Blicke können Sie sich für Latimer aufheben."

Samantha erwiderte nichts, senkte den Blick, und traktierte den Musselin auf ihrem Schoß mit energischen Stichen mit der Nähnadel. 

"Oh, jetzt sind Sie wirklich böse auf mich", stellte Captain Helwick fest, der sie beobachtet hatte. "Ich habe es nicht so gemeint. " Er sah so betreten aus, dass es komisch wirkte und Samantha unfreiwillig lächeln musste. "Kommen Sie, lassen Sie uns wieder Freunde sein", fuhr er fort. "Helfen Sie mir die Langeweile zu vertreiben. Wenn mir langweilig ist, fängt nämlich mein Bein wieder an zu schmerzen."

Samantha hatte den Faden beim Nähen zu sehr angezogen und musste zur Schere greifen, um die Naht wieder aufzutrennen. 

"Dann legen Sie Ihr Bein hoch", schlug sie ihm vor und kniff die Augen zusammen, um nur den Faden durchzuschneiden und kein Loch in den zarten Stoff zu machen.

"Sie könnten mit mir Karten spielen."

"Gerne, wenn ich fertig bin", sagte sie und legt die Schere weg. Dann sah er ihr zu, wie sie einen neuen Faden ins Nadelöhr fädelte.

"Himmel, sieht das langweilig aus!", rief er aus. "Unterhalten wir uns ein bisschen, während Sie nähen."

Samantha sah auf. "Dann erzählen Sie mir von dem Feldzug in Spanien."

Wie sich herausstellte, war Captain Helwick eine schier unerschöpfliche Quelle an Anekdoten und Berichten und er erzählte mit seiner üblichen lustigen Art und großem Talent, Personen und deren Charaktere zu beschreiben. Samantha hörte interessiert zu und lachte herzhaft, als er ihr anschaulich erzählte, wie ihn eine spanische Bäuerin mit einem Schinken verprügelte, weil sein Spanisch zu schlecht gewesen war, um ihr begreiflich zu machen, dass er den Schinken kaufen und nicht stehlen wollte. "Ich schwöre Ihnen, ich hatte ein blaues Auge", endete er.

In Love and War - Geheimnis um FerywoodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt