Ein Geschenk

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"Ich muss zurück", sagte Samantha leise nachdem sie eine ganze Weile so dagesessen hatten. Sie gegen seine Brust gedrückt, seinen starken Arm um ihre schmalen Schultern. Vorhin hatte ihr Herz gerast und ihre Hände gezittert, nachdem sie beinahe gefallen war, aber jetzt war sie ruhiger und ihr Puls hatte sich normalisiert. Langsam, fast widerwillig, zog sie sich von ihm zurück und sah unsicher zu ihm auf.

"Ja", sagte er bloß, ließ den Arm sinken und wich mit seinem Oberkörper ein wenig zurück, blieb aber immer noch neben ihr sitzen. Ihre Blicke trafen sich.

"Wie ist das möglich?" Zögernd legte Samantha ihre schmale Hand auf seine größere, die neben ihr im Gras lag. Ihre Hand berührte seinen Handrücken leicht, dann drehte er seine Hand langsam unter ihrer um und schloss seine Finger mit einer vorsichtigen Bewegung um die ihren. Er hatte große kräftige Hände, aber seine Berührung war sanft und seine Haut fühlte sich kühl an, nicht unnatürlich, aber irgendwie auch nicht real. Samanthas Haut kribbelte, wo seine Finger sie berührten. Staunend blickten sie beide auf ihre ineinander verschränkten Finger.

"Ich habe keine Erklärung dafür, aber ich bin froh, dass ich hier war", sagte er schließlich.

Sie sah zu ihm auf, wollte ihm nochmals danken, aber aus irgendeinem Grund kamen die Worte nicht über ihre Lippen. Sie sah ihn nur an, blickte in die sanften braunen Augen. Ihre Kehle war wie zugeschnürt und sie wurde von widersprüchlichen Gefühlen geplagt, auch wenn sie äußerlich ganz ruhig wirkte.

"Sie brauchen nichts zu sagen, Samantha. Sie dankten mir bereits."

Die Tatsache, dass er wusste, was sie dachte, stürzte sie nur noch mehr in Verwirrung und das konnte sie überhaupt nicht gebrauchen. Sie war kein Mensch, der sich leicht auf andere einließ. Im Gegenteil, sie war stets stolz darauf gewesen, ihre Gefühle und ihr Leben unter Kontrolle zu haben. Sie war es seit ihrer Kindheit, als sie aufgrund der Amnesie für ihr anders sein von den anderen Kindern gehänselt worden war, gewohnt, ihre Gefühle nicht Oberhand gewinnen zu lassen, nicht aufzufallen und sich um sich selbst zu kümmern. Und jetzt war da dieser Geist, Lord Velton. Sie fühlte und verhielt sich seltsam, sobald er in ihrer Nähe war. Er schien sie zu kennen, gut zu kennen, war besorgt um sie und hatte ihr gerade das Leben gerettet. Auch ohne seine kryptischen Bemerkungen, sein Gerede von Sagen und von alten Seelen, wusste sie, dass etwas zwischen ihnen war, dass sie sich zu ihm hingezogen fühlte und er sich zu ihr. Diese Gefühle waren nicht nur irrational und unmöglich, sondern sie machten ihr auch Angst und Angst bedeute früher oder später Kontrollverlust, wie damals, als sie ein Kind gewesen war und sich vor allem so sehr gefürchtet hatte. Immer mal wieder kam diese alte Unsicherheit hoch, so auch jetzt, und zwar mit voller Wucht. Zuletzt hatte sie dieses Gefühl gehabt, als ihr Dad gestorben war und sie auf einmal wieder mutterseelenallein dagestanden hatte und jetzt, nachdem sie sich in ihrem beschaulichen Leben eingerichtet hatte, kam dieser Geist daher und brachte es durcheinander.

Plötzlich stieg Wut in ihr auf. Auf ihn, auf sich selbst, auf das Gefühlschaos in ihr. Sie hatte nicht darum gebeten, dass ein Geist sie beschützte. Sie war bisher doch auch ganz gut mit ihrem Leben zurechtgekommen. Hatte das Chaos nicht überhaupt erst begonnen, als er sich ihr gezeigt hatte? Mit einer ruckartigen Bewegung entzog sie ihm ihre Finger, die noch immer mit seinen verschränkt gewesen waren, und stand auf.

"Ich muss zurück, bevor sie mich vermissen." Sie bemühte sich, ihre Stimme ruhig klingen zu lassen, aber es klang schroff. "Ich habe einen Job zu erledigen und ein Leben zu leben. Lassen Sie mich in Ruhe."

"Ja."

Samantha war verwundert, aber auch froh, dass er weiter nichts sagte und sie einfach so gehen ließ. Er blieb zurück, mit unbewegter Miene, als sie den Weg nach Ferywood Manor einschlug. Ihr Schritt war zielstrebig, aber dennoch erschien ihr alles um sie herum unwirklich und sie hatte das Gefühl, der Weg wäre weiter als sonst. Sie stand wohl noch immer unter Schock nach dem Schwindelanfall und dem Sturz, den er verhindert hatte. Es war leicht gewesen, ihn an den Klippen stehen zu lassen, aber er beherrschte noch immer ihre Gedanken als sie den Wald durchquerte. Eilig ging sie weiter, bis sie außer Atem war, als könne eine schnelle Gangart ihre Gedanken ablenken. An der Weggabelung im Wald zögerte sie. Sie erinnerte sich an das, was ihr Lord Velton vorhin erzählt hatte. Von der Gefahr, die im Wald lauerte. Ein Schauer lief ihr über den Rücken und sie ging schnell in die Richtung weiter, aus der sie vorhin gekommen war. Sie wusste, dass es nicht mehr weit war und tatsächlich sah sie nach wenigen Minuten Ferywood Manor durch die Zweige der Bäume. Der Anblick des herrschaftlichen alten Hauses hatte etwas Tröstliches an sich und sie kürzte ihren Weg ab, indem sie quer über den Rasen ging.

In Love and War - Geheimnis um FerywoodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt