Der Jahrmarkt

219 26 21
                                    

Bei schönstem Maiwetter, es war sonnig und windstill, fand der lang erwartete Jahrmarkt im Dorf statt. Samantha hätte nicht gedacht, dass so viele Menschen in das sonst so beschauliche Dorf passten. Sie staunte und war gleichzeitig irritiert, fast verunsichert, weil sie sich an die kleine überschaubare Gesellschaft von Ferywood Manor gewöhnt hatte. In der Zukunft hatte Robin sie ein paar Mal zu Festivals mitgenommen und als sie sich jetzt hier mit den beiden kleinen Mädchen an den Händen durch das Gedränge schob, fühlte es sich ganz ähnlich an, obwohl es doch etwas ganz anderes war. Dennoch wirkte alles hier auf eigenartige Weise vertraut. Ein Großteil des Marktplatzes wurde von dem großen Viehmarkt eingenommen, zu dem Lord Velton und sein Onkel Henry gleich nach ihrer Ankunft aufgebrochen waren, während sich um die Kirche und auf den Straßen die Buden und Verkaufsstände drängten, wohin Hetta, Samantha und die Kinder unterwegs waren. Dazwischen gab es Schausteller und Artisten, die für ein paar Münzen ihre Künste zeigten und um die sich Menschentrauben bildeten. Es roch köstlich nach gebratenem Fleisch und süßem Gebäck, aber der Geruch mischte sich mit dem durchdringenderen der Kühe, Schafe, Schweine und Pferde, welche auf dem Marktplatz in Holzpferchen zum Kauf angeboten wurden. Die Verkäufer priesen mit kräftigen Stimmen ihre Waren an und irgendwo spielte jemand auf einer Fiedel.

"Immer den Kirchturm im Auge behalten!", rief Hetta gut gelaunt über die Schulter, während sie mit ihrem Sonnenschirm einen Weg durch das Gedränge bahnte.

"Wir wollen Karussell fahren! Wir wollen etwas essen!", riefen die Mädchen an Samanthas Hand im Chor.

"Ihr bleibt schön hier!", ermahnte Samantha die beiden, denn sie hatte so schon Mühe Hetta nicht aus den Augen zu verlieren, und fasste die beiden Kinder enger. Samantha fürchtete die Mädchen aus den Augen zu verlieren. Diese Angst war so greifbar, als wäre genau das schon einmal passiert, was natürlich Unsinn war.

"So bleiben Sie doch nicht stehen", rief Hetta und winkte Samantha auffordernd zu. Hetta war weiter gegangen, hatte gemerkt, dass Samantha ihr nicht länger folgte und war zurückgekommen, um nachzusehen wo sie blieb.

"Entschuldigung", sagte Samantha und folgte Hetta mit den Mädchen.

Sie erreichten bald das Karussell. Samantha hatte sich schon gefragt, wie es wohl funktionierte. Einen Motor konnte es schließlich nicht haben. Dann stellte sie fest, dass es sich um eine ganz einfache runde Konstruktion aus Holz handelte. Vermutlich hatte man für den Bau alte Fässer und Wagenräder verwendet und zum Schluss alles bunt angemalt. Zwei große starke Männer sorgten mit ihrer Muskelkraft für den Antrieb. Die Kinder jubelten und kreischten je schneller das Karussell sich drehte.

Nachdem die Kinder ihr Vergnügen gehabt hatten, schlenderten die Damen an Verkaufsständen entlang. Das Gedränge hatte sich ein wenig gelegt, nachdem auf dem Marktplatz die Viehauktion angefangen hatte, so dass sie gute Sicht auf die Waren hatten. Es wurde alles angeboten, was man so brauchte: Haushaltswaren, Stoffe, Lebensmittel, Arzneimittel und allerlei Kunsthandwerk. Die Kinder bekamen kandierte Früchte und Bonbons und Hetta erstand eine Anzahl bunter Bänder, Stoff für ein neues Kleid und Spitze für ein Häubchen. Am nächsten Stand wurde alles Mögliche aus Holz angeboten. Es gab von Holzlöffeln bis hin zu kunstvoll geschnitzten Figuren alles. Ein Holzkästchen fesselte Samanthas Aufmerksamkeit. Es hatte ein hübsches Muster auf dem Deckel und wieder hatte sie ein Déjà-vu. Aber diesmal fiel ihr sofort ein, woher sie das Kästchen kannte. Es war genau das Kästchen, das sie im Jahr 2013 von den Veltons geschenkt bekommen hatte, und an das sie schon gar nicht mehr gedacht hatte. Natürlich war das Holz jetzt heller und das Muster noch deutlicher zu erkennen, aber sie zweifelte keinen Augenblick daran, dass es ihres war. Ob das Kästchen noch immer in ihrem Cottage auf dem Kaminsims stand, wo sie es hingestellt hatte? Nachdenklich strich sie über den glatt polierten Deckel und dachte an ihr Zuhause, an ihre Zeit. Bald, bald wäre es so weit.

In Love and War - Geheimnis um FerywoodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt