Keine Gnade

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Es drangen keinerlei verlässliche Nachrichten nach Brüssel. Viele der Verwundeten, die im Laufe des Nachmittags eintrafen und die Samantha in dem Lazarett vor dem Stadttor half zu versorgen, malten jedoch ein düsteres Bild von dem Verlauf der Schlacht und mehr als einer der Soldaten empfahl ihr Brüssel schnellstmöglich zu verlassen, ehe die Franzosen kamen. Aber Samantha, die an ihrem Wissen um den alliierten Sieg festhielt, fürchtete sich nicht vor der Möglichkeit, dass rachedurstige Franzosen in Brüssel einfallen könnten. Ihre Sorge galt Richard und ihren Freunden, aber sie traf niemanden, der ihr hätte Auskunft geben können. Die Ungewissheit und die wachsende Furcht war auch in der Stadt spürbar. Als Samantha und Hetta zu einem späten Dinner heimkehrten, waren die Straßen noch immer voller Menschen, gleich welchen Standes, alle begierig auf Informationen. Doktor Jackson, der Samantha und Hetta heimbegleitet hatte, versprach beim Abschied, sich zu melden, sollte er etwas in Erfahrung bringen können.

„Oh Gott, am liebsten würde ich hin reiten und selbst nachsehen, was los ist", stöhnte Samantha frustriert. Sie hatte lustlos in ihrem Essen herumgestochert und stand jetzt am Fenster. Die Sonne war bereits untergegangen, aber es war noch nicht richtig dunkel.

Hetta trat neben sie und blickte hinaus. „Richard würde nicht wollen, dass du dich in Gefahr begibst."

„Ich weiß", seufzte Samantha. „Oh, Hetta, du machst dir doppelt Sorgen: Um Richard und Captain Helwick. Wie hältst du das bloß aus?"

Hetta lächelte leicht. „Ich rege mich nicht über Dinge auf, die ich nicht ändern kann. Außerdem habe ich ein wenig Übung darin, mir um die beiden Sorgen zu machen." Hettas Lächeln wurde ein wenig nachdenklicher und sie stieß einen tiefen Seufzer aus. „Allerdings macht es das leider nicht leichter. Ich weiß nur so viel: Meistens waren die Sorgen unbegründet. Wenn Richard dir versprochen hat, zu dir zurückzukehren, dann wird er alles daransetzen, das auch zu tun. Und dasselbe gilt für Helwick."

„Ich weiß", sagte Samantha leise.

Daraufhin senkte sich Schweigen über die beiden Frauen, die dort am Fenster standen und dabei zusahen, wie es draußen dunkel wurde und wie sich die Straße unter ihrem Fenster langsam leerte. Samantha wollte hoffen, wie es Hetta in ihrer stoischen, würdevollen Art tat, aber sie wusste, was sie wusste und hatte erlebt, was sie erlebt hatte. Richard war zu ihr zurückgekehrt, als Geist im Jahr 2013, als sie noch ahnungslos gewesen war und er längst alles gewusst haben musste. Vielleicht war ihre erste Begegnung auch ihre letzte gewesen. Der Gedanke machte ihr die Kehle eng und ließ Tränen in ihr aufsteigen die ihr über die Wangen liefen, ohne, dass sie etwas dagegen hätte tun können.

„Na, du wirst doch jetzt nicht den Mut verlieren", sagte Hetta ein wenig überrascht über Samanthas Gefühlsausbruch und strich ihr tröstend über den Rücken und führte sie zum Sofa. „Was ist denn plötzlich los?"

„Ich glaube er ist tot", antwortete Samantha mit erstickter Stimme. Diesen Gedanken laut auszusprechen, machte es noch schlimmer. Sie vergrub das Gesicht in ihren Händen und versuchte vergeblich das heftige Schluchzen zu unterdrücken, das sie schüttelte.

„Das wissen wir nicht, Samantha", widersprach Hetta.

„Doch, ich weiß es – oh Hetta!", stöhnte Samantha voll Verzweiflung. "Ich habe es nie jemandem erzählt, nicht einmal Richard, weil – es wäre seltsam gewesen, aber ich wusste von Anfang an, dass er bei dieser Schlacht sterben würde. Ich habe versucht, ihn zu warnen, aber er hat meine Warnung nicht ernst genommen. I- ich wollte ihm glauben, als er sagte, dass die Geschichte noch nicht geschrieben ist und alles von unseren Entscheidungen abhängt."

Hettas Blick wurde ernst, weil sie wusste, dass Samantha eine Zeitreisende war und Dinge wusste, die niemand sonst wissen konnte.

„Bitte erzähl mir, was du weißt."

In Love and War - Geheimnis um FerywoodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt