Familienangelegenheiten

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Lord Velton ging im kleinen Salon unruhig auf und ab und wartete darauf, dass seine Schwester zurückkam. Er hatte gerade die vierte oder fünfte Runde durch das Zimmer gemacht, als sie eintrat.

"Richard, wer ist diese Frau?", fragte sie, sobald sie die Tür sorgfältig hinter sich geschlossen hatte, in gedämpften Ton, damit die Dienstboten sie nicht hörten.

"Du hast es gehört. Ihr Name ist Miss Samantha Stevens", entgegnete er äußerlich gelassen, obwohl ihn Miss Stevens' Gegenwart mehr aus der Fassung brachte, als er seine Schwester wissen lassen wollte. "Ruht sie sich aus?"

Sie nickte. "Sie scheint erschöpft zu sein. Sie hat schon fast geschlafen, als ich das Zimmer verlassen habe. Das Pulver sollte ihr gegen die Kopfschmerzen und beim Schlafen helfen", berichtete sie, aber ihr Blick war durchdringend auf ihren Bruder gerichtet. "Aber lenke nicht ab, Richard. Wer ist diese Frau und wie kommt sie hier her? Kennst du sie? Immerhin ist sie recht hübsch und jung und -"

"Ich kenne sie nicht", unterbrach er sie schnell. "Sie ist jedenfalls keine frühere Flamme von mir, wenn es das ist, was du vermutest."

"Wie käme ich dazu, so etwas zu vermuten?", erklärte sie würdevoll, aber ihr prüfender Blick, den sie auf ihm ruhen ließ, verriet, dass sie genau daran gedacht hatte. Sie ließ es dabei bewenden und setzte sich in einer fließenden Bewegung auf das Sofa, wo vorhin noch Miss Stevens gelegen hatte und nahm das Umschlagtuch auf, das noch hier lag, und legte es sorgfältig zusammen. "Du kennst sie also nicht, schön. Aber was ist ihr widerfahren? Ihrer Kleidung und ihrer Sprache nach zu urteilen ist sie aus gutem Hause, aber sie hatte nichts bei sich, als wäre Sie vor jemandem auf der Flucht."

"Vielleicht ist sie das auch. Wir werden es herausfinden. Du hast selbst gesehen, dass sie nicht in der Verfassung ist, verhört zu werden."

"Glaubst du, Sie wurde verletzt - oder Schlimmeres?"

Richard sah seine Schwester mit gefurchter Stirn an. Sie hatte zu lange mit der Armee und in der Nähe von Kriegsschauplätzen gelebt, als dass sie nicht sofort an so etwas gedacht hätte, und er fühlte sich schuldig, dass er es so weit hatte kommen lassen.

"Nein, ich glaube nicht, dass sie geschändet wurde", sagte er leise. Er war sich sicher, dass etwas Übernatürliches in dem Wald geschehen war. Die Stimmen, die er gehört hatte, mussten damit zu tun haben. Sie hatten ihn zu ihr geführt, damit er ihr half, da war er sich sicher. Aber alles andere war ihm ein Rätsel. Sie wirkte so verloren und ganz anders, als damals, als er sie im Feuer gesehen hatte und sie ihn mit kühler Sicherheit den Weg gewiesen hatte. Er brachte die erhaben wirkende Gestalt aus seiner Erinnerung und den Träumen nicht in Einklang mit diesem verlorenen wirkenden Mädchen, das ihn so vertrauensvoll angesehen hatte und jetzt im gelben Zimmer schlief.

Hetta strich nachdenklich eine imaginäre Falte ihres schwarzen Kleides glatt. "Was sollen wir mit ihr machen?"

"Ich habe ihr versprochen, dass sie hier in Sicherheit ist. Wie du sagst, scheint sie aus gutem Hause zu sein und sie scheint allein da zu stehen. Miss Stevens kann in Ferywood Manor bleiben, wenn es keinen anderen Ort gibt, an den sie gehen kann oder will", entgegnete er bestimmt.

Hetta würde nicht verstehen, dass er sich für Miss Stevens verantwortlich fühlte, weil sie ihm damals das Leben gerettet hatte. Er hatte nie jemandem von den übernatürlichen Ereignissen erzählt und Hetta hätte ihm sicher nicht geglaubt.

Sie musterte ihn noch immer durchdringend, aber dann wurde ihr Blick sanft. "Du hast ein weiches Herz, Richard. Pass auf dich auf, mein Lieber."

Er warf ihr einen langen Blick zu. "Es gibt Menschen, die dir widersprechen würden, Hetta."

In Love and War - Geheimnis um FerywoodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt