Unerwarteter Besuch

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„Ihr müsst diese Person loswerden, Hetta! Bisher habe ich geschwiegen, aber das kann ich nicht länger. Ich muss sprechen!", rief Lady Amalia, als sie mit schnellen Schritten und raschelnden Röcken den Salon betrat, Pelham dabei knapp grüßend zunickte, während sie sich mit einer theatralischen Geste und echter Leidensmiene die Hand, in der sie ein hübsches, spitzenbesetztes aber hoffnungslos zerknülltes Taschentuch hielt, an die Brust presste.

„Guten Tag, Mutter", erwiderte Hetta mit einer Ruhe, die zu Lady Veltons Verhalten nicht hätte gegensätzlicher sein können. Hetta hatte ihre schmalen Hände im Schoß gefaltet und blickte ihre Mutter mit mildem Interesse an. „Was hat dich so aufgebracht und von wem sprichst du überhaupt?"

„Ich spreche natürlich von dieser Miss Stevens. Diese Gouvernante, falls sie das überhaupt ist", rief Lady Amalia aus. „Ich hatte ja schon die ganze Zeit das Gefühl, dass mit ihr irgendetwas nicht stimmt, aber Richard und du wolltet ja nicht auf mich hören, aber jetzt könnt ihr euch selbst von der Durchtriebenheit dieser Person überzeugen!"

Hetta bot ihrer Mutter zunächst einen Platz auf dem bequemen Sofa an. Dann ließ sie Erfrischungen bringen und wandte sich dann wieder ihrer Mutter zu, die kurz vor einer Nervenkriese zu stehen schien.

„Ich verstehe noch immer nicht, wovon du sprichst. Könntest du dich etwas deutlicher ausdrücken, Mutter?"

„Sie paktiert mit diesem Mr Whiteshaw! Ja, sieh mich nicht so entgeistert an, Hetta. Ich weiß alles, alles! Dein Bruder hat euren Onkel ins Vertrauen gezogen und ihm von dem Geld erzählt, dass er Mr Whiteshaw schuldet. Es hat irgendetwas mit Schuldscheinen zu tun, die Charles unterschrieben hat. Ich habe ja keine Ahnung von so etwas - und das will ich auch gar nicht, aber eurer Onkel hat mir davon erzählt, weil ich es natürlich wissen muss! Ich kann übrigens nicht begreifen, dass Richard mir nicht selbst davon erzählt hat, man sollte meinen – Nun, mit Richard spreche ich noch."

Hetta hatte größte Mühe, aus der zusammenhanglosen Rede schlau zu werden und Lady Amalia war so aufgebracht, dass ihre Tochter erwog, ihr eine stärkere Erfrischung als leichten Weißwein anzubieten, aber sie kam nicht dazu, weil ihre Mutter in demselben aufgeregten Tonfall fortfuhr.

„Wie kann Mr Whiteshaw unserer Familie so in den Rücken fallen und gerade jetzt diese Schulden einfordern! Es ist kaum zu glauben, dass Mr Whiteshaw sein Leben lang wie ein Familienmitglied bei uns ein und aus gegangen ist. Er war Charles' bester Freund und jetzt stellt sich heraus, dass er geldgierig und falsch ist. Euer Vater hat ihm allerdings nie so richtig getraut. Er hielt ihn für einen Emporkömmling und ich glaube, er hatte recht. Obwohl Mr Whiteshaw so angenehme, geschliffene Manieren hat und sich weiß wie ein Gentleman zu kleiden."

„Über die Schulden bin ich im Bilde ", warf Hetta ein, ehe ihre Mutter noch weiter abschweifen konnte. „Aber ich verstehe nicht, was das mit Miss Stevens zu tun haben soll. Wir schätzen sie sehr. "

„Pah, eine Giftschlange ist sie. Ein Geschöpf Mr Whiteshaws! Sie hat sich hier eingenistet, um sich unser Vertrauen zu erschleichen." Lady Amalia holte tief Luft, für das, was sie noch zu sagen hatte. „Miss Stevens ist Mr Whiteshaws Geliebte", flüsterte sie dann außerordentlich laut.

Hetta sah ihre Mutter groß an und lachte auf. „Das ist nicht wahr."

„Wenn ich es dir doch sage! Man hat sie gesehen, wie sie vor zwei Tagen früh morgens zu ihm geritten ist – allein. Sie hat sich unterwegs sogar nach dem Weg erkundigt. Sage mir Hetta, würde eine Frau, die etwas auf sich hält, allein einen Gentleman in dessen Haus aufsuchen?"

„Woher willst du das überhaupt wissen?", fragte Hetta, die von den Ereignissen jenes Tages nichts wusste, außer, dass Samantha und Richard früh ausgeritten waren.

In Love and War - Geheimnis um FerywoodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt