„Hetta, es ist bald Zeit, zu Ihrer Mutter zu fahren", sagte Samantha als sie den Salon betrat und Mrs Shepherd schreibend an dem kleinen Sekretär am Fenster vorfand. „Ein Brief an Captain Helwick?"
„Nein, ich notiere etwas in meinem Tagebuch." Hetta wies auf das kleine unscheinbare Buch mit grauem Leineneinband vor sich, in das sie mit ihrer ordentlichen winzigen Schrift zu schreiben pflegte. „Ich bin in den letzten Tagen kaum dazu gekommen."
Samantha hatte Hetta schon häufiger in dieses unscheinbare Büchlein schreiben sehen, hatte sich aber nie Gedanken darüber gemacht, was sie da eigentlich schrieb und angenommen, es hätte mit der Haushaltsführung zu tun.
„Ich hätte nicht die Ausdauer regelmäßig Tagebuch zu führen."
„Die Angewohnheit stammt aus der Zeit, als ich meinen Mann auf den Feldzug begleitete. Man wusste an einem Tag nicht, wer von seinen Freunden am nächsten Tag noch am Leben sein würde, und so habe ich mir angewöhnt, alles aufzuschreiben, um nichts zu vergessen und jeden Tag besonders aufmerksam zu leben. Ich habe die Angewohnheit beibehalten. Irgendwo steht schon eine ganze Kiste mit diesen Notizbüchern."
„Sie müssen viel erlebt haben!"
„Oh ja, ich kann es nicht leugnen. Ich schreibe alles auf, auch wenn meine Erinnerungen außer für mich kaum für jemanden von Interesse sind", lachte Hetta. Sie schrieb schnell noch einen Satz zu Ende. Dann legte sie die Feder zur Seite, streute Sand auf die frische Tinte, pustete den Löschsand fort und klappte das Buch zu. Sorgsam verstaute sie es in der Schublade des Sekretärs.
„Wir sollten uns jetzt umkleiden, damit wir nicht zu spät kommen. Haben Sie meinen Bruder gesehen?"
„Er muss bereits oben sein. Ich habe den Kammerdiener warmes Wasser hinauftragen sehen."
„Oh, dann müssen wir uns sputen", rief Hetta in ihrer üblichen Geschäftigkeit und sprang auf.
Samantha ließ Becky kommen, damit sie ihr beim Ankleiden half. Dann schlüpfte sie mit Hilfe des Dienstmädchens in ein nachtblaues Abendkleid aus raschelnder Seide und Becky steckte ihr das gelockte Haar kunstvoll hoch.
„Du musst heute nicht aufbleiben, bis wir nach Hause kommen", sagte Samantha zu Becky, als sie fertig war und sich nochmals prüfend im großen Spiegel betrachtete. Bedächtig strich sie eine Falte glatt und zupfte an den Puffärmeln herum, bis sie mit ihrem Erscheinungsbild zufrieden war.
„Es macht mir nichts aus, Miss, wirklich", sagte das Mädchen diensteifrig, während es die Bürsten und Kämme sortierte.
„Es wird sehr spät werden, geh ruhig schlafen. Ich werde mich selbst auskleiden", sagte Samantha und hoffte, dass sich Becky an die Anweisung halten würde, denn sie hatte nicht vor, in dieser Nacht schlafen zu gehen, sondern nach der Abendgesellschaft bei Lady Amalia so schnell wie möglich zu den Feensteinen gehen.
"Wie Sie wünschen, Miss", sagte das Mädchen zu Samanthas Erleichterung.
Dann tat Samantha etwas, was Becky in tiefe Verlegenheit stürzte. Sie umarmte und drückte sie herzlich. „Danke, Becky", sagte sie und meinte damit viel mehr als das Frisieren gerade eben.
Als Samantha Becky los ließ starrte das Mädchen sie an, als hätte sie den Verstand verloren. Nach einigen Sekunden knickste sie, denn das erschien ihr immer dienlich zu sein, wünsche höflich einen vergnüglichen Abend und Gute Nacht und sah dann zu, dass sie hinauskam. Samantha lächelte über die drollige Reaktion des Dienstmädchens und wurde etwas wehmütig. Sie würde die treu ergebene Becky vermissen.
Dann ging sie zu den Mädchen ins Kinderzimmer. Die beiden trugen schon ihre weißen langen Nachthemden. Maria würde sie gleich ins Bett bringen.
„Oh, Miss Stevens!", rief Emma aus. „Sie sehen wunderschön aus!"
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In Love and War - Geheimnis um Ferywood
FantasyGeister, geheimnisvolle Mächte, eine alte Sage und das Schicksal... Samanthas Leben ist beschaulich und ihre Arbeit im Museum gefällt ihr. Doch dann verirrt sie sich im Wald von Ferywood und findet sich plötzlich im Jahr 1813 wieder. Dort trifft si...