Samantha kam viel später als ursprünglich geplant im Manor an. Als sie ihren alten Clio parkte und zum Haus ging standen die geschnitzten Flügeltüren aus alter englischer Eiche weit offen und Lieferanten und Leute vom Catering liefen geschäftig hin und her, trugen Kartons und Kisten hinein und hinaus. So oder so ähnlich musste es hier zugegangen sein, als in Ferywood Manor noch rauschende Bälle und Gesellschaften für die feine Gesellschaft gegeben wurden, dachte Samantha, als sie sich dem Haus näherte.
"Da sind Sie ja!", rief Lady Velton und kam ihr schon entgegen.
Oh je, die Arme wirkte ziemlich gestresst und Samantha hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie so spät dran war. Es war inzwischen zehn Uhr, aber sie hatte Lucy, die sich so lieb um sie gekümmert hatte, nicht einfach stehen lassen können.
"Guten Morgen, Mylady. Tut mir leid, dass ich so spät dran bin." Schnell folgte sie der Hausherrin in die Eingangshalle, wo es zuging wie in einem Bienenstock. Sie wich einer Putzfrau aus, die ohne Rücksicht auf Verluste staubsaugte und wäre dabei fast über einen noch aufgerollten Teppich gestolpert, der bei dem Event das alte Fischgrätparkett schonen sollte.
"Jetzt sind Sie ja da! Wir hatten schon befürchtet, Sie wären krank. Sie waren gestern etwas blass um die Nase als Sie nach Hause gegangen sind."
War das wirklich erst gestern gewesen? Sofort musste sie an den Geist denken und prompt entdeckte sie ihn auf dem oberen Treppenabsatz, wo er sich lässig an das Geländer lehnte. Er nickte ihr grüßend zu und Samantha ertappte sich dabei, wie sie ihn anlächelte.
"Oh, Sie bewundern die Blumengirlande", stellte ein Mann, der plötzlich neben sie getreten war, fest. Er sah sehr kreativ aus mit dem fliederfarbenen Seidenschal, dem zartrosa Hemd über dem er eine Weste aus schottischem Tweed trug und der Nickelbrille, die seine Augen klein wirken ließ. "Ist sie nicht ein Traum? Die reizende Schlichtheit der Primeln unterstreicht das herrschaftliche Flair des Gebäudes, finden Sie nicht auch?"
Samantha spürte, wie sie rot wurde, denn sie hatte den Blumenschmuck aus Immergrün und Primeln in Gelb- und Lilatönen, der an der Treppe angebracht worden war, noch gar nicht bemerkt, sondern nur zu dem Geist hingesehen, dessen leichtes Lächeln jetzt breiter wurde. Wie immer hörte er jedes Wort und bemerkte jede ihrer Reaktionen. Samantha warf ihm einen ärgerlichen Blick zu, aber sein Lächeln vertiefte sich nur noch. Sie gab ein leises Schnauben von sich und wandte dem ausgefallen gekleideten Mann, der sie angesprochen hatte, ihre volle Aufmerksamkeit zu. Er war offensichtlich der Florist und erwartete ihre Zustimmung, die sie ihm bereitwillig gab. "Es sieht sehr hübsch aus und es ist auch historisch korrekt, da es sich um saisonale Blumen handelt."
"Ganz genau!", rief er erfreut. "Sie verstehen mich!" Sein geringschätziger Seitenblick auf Lady Velton verriet, dass sie ihn offensichtlich nicht verstand. "Lady Velton wollte cremefarbene Rosen. Im April! Können Sie sich das vorstellen?"
"Rosen sind die Blumen der Liebe", warf Lady Velton etwas verstimmt ein. "Außerdem sind es meine Lieblingsblumen und das ist mein Ball."
"Ich arrangiere Ihnen Rosen so viele Sie wollen, wenn es die Zeit dafür ist. Ich halte nichts davon Rosen aus Afrika einzufliegen. Das wäre absolut nicht passend für dieses Ambiente und haben Sie schon einmal etwas von Umweltschutz gehört?"
"Sie müssen Mr Sanders sein", stellte Samantha fest, entschlossen, es nicht zur Diskussion zwischen der Lady und dem Floristen kommen zu lassen. Lady Velton schien jetzt nämlich wirklich verstimmt zu sein. "Ich bin Samantha Stevens. Wir hatten telefoniert." Sie streckte ihm die Hand hin.
"Es ist mir ein Vergnügen." Er lächelte und schüttelte die ihm dargebotene Hand. "Ich bin so begeistert von dem historischen Thema der ganzen Veranstaltung, aber Sie scheinen die einzige Person mit Sachverstand zu sein. Hätten Sie eine Minute Zeit für mich?"
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In Love and War - Geheimnis um Ferywood
FantasyGeister, geheimnisvolle Mächte, eine alte Sage und das Schicksal... Samanthas Leben ist beschaulich und ihre Arbeit im Museum gefällt ihr. Doch dann verirrt sie sich im Wald von Ferywood und findet sich plötzlich im Jahr 1813 wieder. Dort trifft si...