Am Morgen nach dem Ball hatte Samantha beim Aufwachen das Gefühl, als hätte sie überhaupt nicht geschlafen, aber das konnte nicht stimmen, denn sie schreckte hoch, als Becky energisch die Vorhänge zur Seite schob und grelle Sonnenstrahlen sie blendeten.
„Guten Morgen, Miss!", rief das eifrige Dienstmädchen fröhlich und Samantha stöhnte auf.
„Mach die Vorhänge wieder zu, Becky. Ich will heute nicht aufstehen." Eigentlich nie wieder, oder wenigstens nicht bis zum nächsten Vollmond, aber Beckys entgeistertem Blick zufolge war dies wohl keine Option.
„Aber Miss!", rief die Dienstmagd aus, als hätte Samantha etwas Unerhörtes gesagt.
„Ich fühle mich nicht gut, Becky. Wirklich!" Samantha wusste, dass sie wehleidig klang, aber es war ihr egal. Sie hatte am Vorabend alle Selbstbeherrschung aufgebracht, es war davon nichts mehr übrig.
Beckys Gesicht nahm einen Ausdruck tiefer Anteilnahme an. „Oh, wir wissen es schon alle, Miss!", sagte sie mitfühlend und Samantha wusste, dass Becky die Dienerschaft meinte. „Es ist eine große Ungerechtigkeit, dass Seine Lordschaft jetzt doch Miss Redgrave heiratet, nachdem wir doch alle sicher waren, er würde Sie zur Frau nehmen."
Samantha machte ein unbestimmtes Geräusch. Das mit der Diskretion vor den Dienstboten hatte ja prima funktioniert und natürlich hatte sich auch die Nachricht von der Verlobung wie ein Lauffeuer herumgesprochen.
„Mr Pelham ist ganz aufgebracht deswegen", fuhr Becky im Plauderton fort, während sie Samantha ein frisches Kleid herauslegte.
„Pelham?", wunderte sich Samantha. Sie konnte sich den stoischen Butler beim besten Willen nicht aufgebracht vorstellen, schon gar nicht wegen ihr. „Er konnte mich doch nie leiden."
„Da täuschen Sie sich aber!", widersprach Becky. „Er war vielleicht anfänglich ein wenig misstrauisch, weil Sie hier so plötzlich aufgetaucht sind, aber ich habe ihn zur Haushälterin sagen hören, dass er Sie gerne zur Herrin gehabt hätte und er Miss Redgrave nur aus seiner tiefen Verbundenheit für das Hause Velton heraus dienen würde."
Samantha war verlegen. In Pelham hatte sie am wenigsten einen Unterstützer vermutet und es rührte sie, dass sie die Achtung des altgedienten Butlers erlangt hatte. Unwillkürlich brannten ihr Tränen in den Augen. Es war dumm, wegen des Butlers zu weinen. Entschlossen blinzelte sie die Tränen weg.
Becky strich tatkräftig die Bettdecke glatt. „Ich werde Ihnen jetzt ein schönes Frühstück bringen und dann ziehen Sie das gelbe Kleid an, das Ihnen so gutsteht."
„Aber ich sagte doch, dass ich..."
Becky hatte bereits geknickst und war aus dem Zimmer verschwunden, ehe Samantha ihren Satz beendet hatte. Es dauerte nicht lange und Becky brachte eine dampfende Tasse heißer Schokolade, frischen Toast, Marmelade und Eier. Samantha brachte außer der heißen Schokolade nichts herunter, obwohl ihr Becky gut zuredete. Dann half Becky ihr beim Ankleiden. Ein Blick in den Spiegel verriet Samantha, dass sie furchtbar aussah. Ihre Augen waren vom Weinen und zu wenig Schlaf verquollen, ihr Teint war fleckig und ihr Haar stand wie Stroh in alle Richtungen ab. Nur dass ihr Haar nicht die goldene Farbe von Stroh aufwies. Nicht so wie das Lydia Redgraves. Die sah vermutlich direkt nach dem Aufstehen blendend aus und glühte förmlich vor Glück und Zufriedenheit, weil sie bald Lady Velton sein würde. Samantha stöhnte innerlich auf. Sie wusste, wie dumm und unnütz diese Gedanken waren, aber sie konnte sie auch nicht abstellen.
Währenddessen gab sich Becky redlich Mühe, Samantha ansehnlich zu machen. Sie legte ihr kühlende Gurkenscheiben auf die Augen und bereitete eine Gesichtsmaske aus zerdrückten Erdbeeren zu, die sie großzügig auf Samanthas Gesicht verteilte. Normalerweise hätte sich Samantha gegen diesen Unsinn gewehrt, aber sie merkte, dass Becky ihr etwas Gutes tun wollte. Das Mädchen war mit so viel Tatkraft bei der Sache, dass sie sie gewähren ließ.
DU LIEST GERADE
In Love and War - Geheimnis um Ferywood
FantasyGeister, geheimnisvolle Mächte, eine alte Sage und das Schicksal... Samanthas Leben ist beschaulich und ihre Arbeit im Museum gefällt ihr. Doch dann verirrt sie sich im Wald von Ferywood und findet sich plötzlich im Jahr 1813 wieder. Dort trifft si...