Der Ball

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"Lucy, wir müssen los!", rief Samantha und klopfte an die Badezimmertür.

Es war bereits später Samstagnachmittag und Samantha hatte den ganzen Tag auf Ferywood Manor zugebracht, hatte sich um die Gäste gekümmert und ihren Kurs gegeben. Die Veranstaltung war ein voller Erfolg. Die Lesungen und die Kurse waren gut besucht, besonders der Tanzkurs erfreute sich großer Beliebtheit. Jetzt war für sie der offizielle Teil, bis auf die bevorstehende Quadrille mit Robin, beendet und sie war heimgefahren, um sich mit Lucy für den Ball fertig zu machen.

"Ich komme gleich!", kam die prompte Antwort von drinnen. "Ich bekomme das Kleid nicht zu."

"Lass mich rein, dann helfe ich dir."

Die Tür wurde entriegelt und eine entnervt aussehende Lucy ließ Samantha ein. Ihr Regencykleid aus korallrotem Musselin stand am Rücken noch offen und sie verrenkte sich bei dem Versuch an den Verschluss zu kommen fast den Rücken. Dabei trat sie sich selbst immer wieder auf den Saum des Kleides und stolperte fast.

Samantha stand im Türrahmen und versuchte nicht zu lachen. "Was machst du da bitte?"

"Wo ist der verdammte Reißverschluss?", schimpfte Lucy statt ihrer Freundin zu antworten.

Samantha seufzte. "Halt still, sonst reißt noch der feine Musselin. Das ist ein historisches Modell. Es hat keinen Reißverschluss, sondern wird geschnürt", klärte sie Lucy auf und begann geduldig, die Schnürung einzufädeln und das Kleid zu schließen, während Lucy ungeduldig zappelte.

"Das dauert ja Jahre!", stöhnte Lucy auf. "Hättet ihr in Ferywood Manor nicht einfach eine normale Party organisieren können, zu der man normal angezogen gehen kann?"

"Lady Velton wollte eine Regency Wochenende und das bekommt sie auch", erklärte Samantha, während sie konzentriert das Satinband zum Schnüren einfädelte. "Du brauchst auch nicht mitzukommen, wenn du keine Lust dazu hast."

"Soll das ein Scherz sein? Natürlich will ich hin. Du hast das Ganze schließlich organisiert und du hast so viel Herzblut da hineingesteckt. Wissen Lord und Lady Velton eigentlich, was du alles geleistet hast? Mal abgesehen, von den Nächten, die du an dem Kleid für die Lady gesessen hast."

"Sie wissen es, keine Sorge. Außerdem war ich ja nicht alleine für alles verantwortlich", antwortete Samantha, zog die Schnürung etwas enger und knüpfte eine stramme Schleife.

"Fertig", verkündete Samantha und trat einen Schritt zurück.

"Eigentlich finde ich die Idee mit dem historischen Thema gut, aber das Kleid macht mich wahnsinnig. Hat man jemals so viel Stoff gesehen? Ich werde die ganze Zeit stolpern und dieses Ding auf dem Kopf rutscht."

"Wir können den Turban noch mit ein paar Haarnadeln befestigten." Samantha holte aus dem Badschrank einige Haarnadeln und steckte sie geschickt in Lucys Kopfputz aus rotem Seidentaft und einer gelben Straußenfeder. Dann trat sie einen Schritt zurück und betrachtete ihr Werk, denn natürlich hatte sie Lucys Kleid wie auch ihr eigenes selbst genäht. Dafür waren weitere Nächte draufgegangen.

"Du siehst sehr historisch korrekt aus", stellte sie zufrieden fest.

"Du weißt hoffentlich, dass das furchtbar klingt, oder?", erwiderte Lucy kritisch. "Aber wenn das aus deinem Mund kommt, nehme ich es als Kompliment." Sie raffte den Rock umständlich über den Arm und ging zum großen Spiegel im Flur, um sich zu betrachten. "Wow, das sieht doch eigentlich ganz hübsch aus", stellte sie fast widerwillig fest. "Obwohl ich irgendwie schwanger aussehe."

Samantha lachte. "So war die Mode im Regency. Es sieht sehr schön aus, auch die Farbe steht dir," sagte sie während sie an ihrem eigenen Kleid noch ein paar Falten zurechtzupfte. Sie selbst trug ein schlichtes Kleid aus blassblauem Musselin, das sie mit weißer Spitze am Ausschnitt und einer silbergewirkten dunkelblauen Borte unter der Brust dekoriert hatte. Um die Schultern trug sie einen dunkelblau gemusterten Schal und ihr langes Haar hatte sie gelockt und zu einem hohen Knoten hochgesteckt.

In Love and War - Geheimnis um FerywoodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt