Waterloo

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Auf der Straße nach Antwerpen, kurz vor dem Unwetter...

Die hellblau angestrichene Kutsche ratterte über die Landstraße in Richtung Antwerpen, überholte einen Bauerkarren, vor den ein schäbiges Maultier gespannt war, mit einem gewagten Schlenker und setzte dann ihren Weg in zügigem Tempo fort. Fußgänger und langsamere Gefährte, von denen es viele gab an diesem Tag, scheuchte der Kutscher mit Rufen und Peitschenschnalzen zur Seite. Es war ein elegantes Gefährt, gebaut, um aufzufallen und zu repräsentieren, keine Reisekutsche. Als der Kutscher Ihre Ladyschaft höflichst auf den Umstand hingewiesen hatte, dass der Wagen nicht für diese Mengen an Koffern, Hutschachteln und Toilettenköfferchen gebaut sei, hatte Lydia den armen Mann harsch zurechtgewiesen. Jetzt saß sie zwischen ihren Hüten mit ihrer Schmuckschatulle auf dem Schoß in der offenen Kutsche und verfluchte Frederick, oder besser gesagt sein Ausbleiben. Er sollte längst zurück sein. Er sollte bereits vollbracht haben, was sie ihm aufgetragen hatte. Der liebe gute Frederick konnte so ermüdend rechtschaffen sein. Zum Glück hatte Lydia aber gewusst, was zu tun war. Sie hatte ihm einen Plan an die Hand gegeben, der einfach war und der ihr zur Freiheit verhelfen würde. Frederick sollte Richard aufspüren, ihm auflauern und ihn dann erschießen. Jeder würde denken, er wäre von einem Franzosen erschossen worden. Schließlich war Krieg. Da wurde doch ständig geschossen. Es war so einfach und Frederick war ein guter Schütze. Es war Lydia unverständlich, dass Frederick gezögert hatte, den Plan in die Tat umzusetzen. Er hatte Skrupel gehabt und sie hatte ihre ganze Überredungskunst aufbringen müssen, um ihn umzustimmen. Er musste ja nicht wissen, dass sie nicht vorhatte, ihn zu heiraten, wenn Richard beseitigt war, denn sie war viel zu gerne Lady Velton und ihr Kind sollte mit allen Privilegien aufwachsen, die dem Spross einer Adelsfamilie zustanden.

Frederick hatte sie also auf die Straße nach Antwerpen begleitet und hatte zuvor darauf geachtet, dass Miss Hedgeworth ihre Abreise bemerkte. Kurz vor der Stadt hatte er umgedreht, um der Armee und damit Richard zu folgen. Wie schwer konnte es schon sein, eine Armee zu finden?, dachte Lydia zynisch. Aber dann wanderte ihr Blick zu den Gewitterwolken am Himmel, die sich immer mehr zu einer schwarzen Wand zusammenzuschließen schienen und sie fragte sich erneut, wo Frederick steckte.

„Mit Verlaub, Ma'am, aber wir sollten an einem Gasthaus Halt machen und das Gewitter, das sich da zusammenbraut, abwarten", schlug der Kutscher, sich halb umwenden vor. „Das sieht gar nicht gut aus."

„Nein, wir fahren weiter", beschloss Lydia. Sie musste fort, ob mit Frederick oder ohne. Er würde sie schon in Antwerpen finden. Denn insgeheim fürchtete sie, dass sie jemand mit Richards Tod in Verbindung bringen könnte, so gut ihr Plan auch war. Zumindest ließ sie nach einer Weile das Verdeck der Kutsche schließen. In der Ferne hörte sie ein erstes Donnergrollen und erste Blitze zuckten über den schwarzen Himmel.

Der Kutscher, geduldig und erfahren, versuchte nochmals, sie zu überreden, an einem Gasthof zu halten, aber Lydia weigerte sich. Hätte sie selbst kutschieren können, hätte sie den Kutscher vermutlich entlassen, wie sie das mit dieser täppischen, nervösen Kammerzofe getan hatte, die seit dem Donnern der Kanonen, das sie am Vortag in Brüssel gehört hatten, nicht mehr aufgehört hatte zu schluchzen und vor Angst zu zittern. Also hatte Lydia das Mädchen kurzerhand hinausgeworfen und sich selbst überlassen. Sollte sie sehen, ob sie die Franzosen mit ihrem Geheule erweichen konnte, wenn diese Brüssel einnahmen.

Dann kam der Regen. „Schneller!", befahl sie und umklammerte ihr Schmuckkästchen auf ihrem Schoß.

Der Kutscher hatte kein gutes Gefühl bei der Sache, aber er wagte nicht zu widersprechen, also ließ er die Peitsche über den Köpfen der Pferde knallen und die Kutsche beschleunigte ihr Tempo noch mehr, so dass sie auf der unebenen Straße bedenklich schwankte. Dann erschall ein Donnergrollen, das jedem das Blut in den Adern gefrieren ließ und die Pferde gingen durch. Das Tempo der Kutsche, die nicht dafür gebaut war, wurde halsbrecherisch. Alles schien zu knarren und zu zittern, das Material kam an seine Grenzen. Lydia schrie auf, klammerte sich an den Sitz und ihr Schmuckkästchen, während der Kutscher verzweifelt versuchte, die Pferde unter Kontrolle zu bringen, aber das Gewitter war jetzt richtig los gebrochen. Das Donnergrollen, begleitet von grellen Blitzen, hörte überhaupt nicht mehr auf und die Tiere waren vollkommen panisch. Immer rasanter wurde die Fahrt. Sie passierten weitere Gefährte und Reiter. Alle sahen der vorbei rasenden himmelblauen Kutsche erstaunt nach, aber niemand konnte etwas tun. Dann machte die Straße vor ihnen eine Biegung. Die Pferde rasten ungebremst auf die Stelle zu. Der Kutscher erkannte die Gefahr, sah sich um und entdeckte ein dichtes Getreidefeld neben der Straße.

In Love and War - Geheimnis um FerywoodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt