"Reiten Sie, Miss Stevens?", fragte am nächsten Morgen Captain Helwick beim Frühstück. Sie waren allein. Mrs Shepherd frühstückte auf ihrem Zimmer und Lord Velton hatte sein Frühstück schon vor über einer Stunde eingenommen, wie Pelham berichtete, als Samantha und der Captain das Speisezimmer betreten hatten.
"Wie bitte?", erwiderte Samantha, die neben ihrem Teller einige Bücher aus der Bibliothek aufgestapelt hatte und kaum den Blick von einem aufgeschlagenen schmalen in rotes Leder gebunden Büchlein abwenden konnte.
"Ich fragte, ob Sie reiten", wiederholte er laut und deutlich. "Jetzt legen Sie doch endlich diese Bücher zur Seite!"
"Ich muss mich auf den Unterricht vorbereiten", erwiderte sie zerstreut. Sie war motiviert, sich der neuen Aufgabe zu stellen und wollte einen guten Eindruck machen. Sie hatte sich daher schon vor dem Frühstück einige Bücher aus der Bibliothek geholt, die ihr am Vorabend aufgefallen waren, als sie mit Lord Velton nach den Unterlagen seines Großvaters gesucht hatte.
Captain Helwick hatte mit immer ungeduldig werdender Miene auf eine Antwort auf seine Frage gewartet. Als er keine erhielt, sie ihn sogar vollkommen ignorierte, stemmte er sich von seinem Stuhl hoch und umrundete langsam, mit seinem schleppenden, schweren Schritt, den Tisch. Dann blieb er neben Samantha, die noch immer ganz auf ihre Lektüre konzentriert war, stehen, und nahm ihr mit einem schnellen Griff das Buch weg.
"He!", stieß sie empört aus und sprang auf, um sich das Buch zurückzuholen.
Helwick hielt das Buch über seinen Kopf und lachte, als sie sich auf die Zehenspitzen stellte und sich mit ausgestreckten Armen vergeblich nach dem Buch streckte.
"Sie Kindskopf!", fuhr sie ihn mit einem funkelnden Blick an, während sie sich streckend und hüpfend erfolglos bemühte, an das Buch heranzukommen. Wäre sie bloß ein paar Zentimeter größer!
Er hielt das Buch ungerührt noch ein Stück höher. "Was lesen Sie da eigentlich so gebannt?", fragte er und sah sich den Buchrücken an. "Etikette und gutes Benehmen für Damen der Gesellschaft!", las er den Titel und lachte schallend auf.
"Geben Sie mir das Buch zurück!", fauchte sie.
Er senkte den Arm etwas und als Samantha nach dem Buch greifen wollte, riss er ihn wieder hoch, so dass sie es doch nicht zu fassen bekam.
"Beantworten Sie meine Frage."
"Welche Frage?"
"Reiten Sie?", wiederholte er jetzt zum dritten Mal.
"Nein", gab sie zurück. "Warum fragen Sie?"
"Weil es mir Spaß machen wird, es Ihnen beizubringen."
"Ich glaube nicht, dass man von einer Gouvernante erwartet, dass sie reiten kann."
"Wenn Sie eine Gouvernante sind, bin ich der Herzog von Wellington höchstpersönlich", gab er zurück.
Samantha sah ihn alarmiert an und vergaß ganz, ihm das Buch weg zu nehmen, als er jetzt den Arm senkte.
"Ruhig Blut. Ich weiß nicht was für ein Spiel Latimer und Sie da spielen und es geht mich auch nichts an..."
"Dann stellen Sie auch keine Spekulationen an", unterbrach sie ihn harsch. "Es gibt kein Spiel, was auch immer Sie damit meinen."
"Ich werde dazu nichts mehr sagen. Dann sind Sie eben die Gouvernante", sagte er mit einem gleichgültigen Achselzucken. "Nach dem Frühstück findet Ihre erste Reitstunde statt."
"Ich muss mich um die Kinder kümmern."
"Ich erwarte Sie in einer Stunde im Stallhof." Mit einer förmlichen Verneigung legte er ihr das Buch in ihre ausgestreckte Hand und ging dann mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen hinaus.
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In Love and War - Geheimnis um Ferywood
FantasyGeister, geheimnisvolle Mächte, eine alte Sage und das Schicksal... Samanthas Leben ist beschaulich und ihre Arbeit im Museum gefällt ihr. Doch dann verirrt sie sich im Wald von Ferywood und findet sich plötzlich im Jahr 1813 wieder. Dort trifft si...