Schicksal

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Samantha hielt das Amulett zwischen ihren vor Nervosität eiskalten Fingern und kämpfte sich den schmalen Pfad entlang durchs Unterholz. Das Laub raschelte unter ihren Füßen.

„Sicher, dass wir hier richtig sind?", fragte Lucy hinter ihr, während sie versuchte einen vorwitzigen Käfer von ihrem Schuh zu schütteln und dabei nicht in die Dornen zu fallen, die am Wegesrand wucherten.

„Selbstverständlich sind wir hier richtig", antwortete Samantha. „Es ist nicht mehr weit."

Sie konnte die Lichtung bereits hinter den Bäumen erahnen. Das Gras, das um die Feensteine herum wuchs, schien hinter den winterlichen, laublosen Bäumen fast zu leuchten und denen den Weg zu weisen, die wussten, wonach sie suchten. Plötzlich blieb Samantha stehen. „Hörst du das?"

„Was?"

„Ach, nichts."

Es war nicht verwunderlich, dass Lucy die Stimmen nicht hörte, aber Samantha staunte jedes Mal aufs Neue darüber, dass niemand außer ihr und Richard sie vernahmen. Klangen sie doch so laut und durchdringend in ihren eigenen Ohren. Spätestens seit Richards Zeitreise wusste sie, dass auch er zu den alten Seelen gehörte, wie sie selbst. Er musste es geahnt haben, sonst wäre er sicher nicht durch die Steine gegangen. Nicht, nachdem er Whiteshaws qualvollen Tod mit angesehen hatte. Hatte auch Richard ein Schicksal zu erfüllen? Immer mehr Fragen und so wenig Antworten! Sie kannte noch nicht einmal ihr eigenes Schicksal, aber sie würde es darauf ankommen lassen. Sie war nicht bloß eine Schachfigur der Mächte. Sie traf ihre eigenen Entscheidungen und diesmal würde sie auf ihr Herz hören, weil sie Richard liebte. 

Mit grimmiger Entschlossenheit stapfte sie weiter durch den Wald, trampelte Efeu und Brombeerranken skrupellos nieder und stieg zielstrebig über auf dem Boden liegendes Geäst.

Dann erreichten sie den Rand der Lichtung. Nach dem unwegsamen düsteren Pfad erwartete sie das satte Grün des Grases und die Helligkeit des lichtdurchfluteten magischen Ortes und die besondere Symmetrie der Feensteine in dessen Zentrum. Lucy blickte sich staunend um, aber für Samantha war der Anblick nichts Außergewöhnliches mehr. Sie achtete bloß auf die Stimmen. Das Flüstern, das anschwoll nur um in der nächsten Sekunde wieder fast zu verstummen. Sie wusste, dass da Wörter waren, vielleicht Antworten auf ihre Fragen. Sie hörte die Stimmen deutlich und lauschte angestrengt, aber sie verstand sie einfach nicht. Es war frustrierend. Aber sie war keine Schachfigur. Sie hatte einen Willen und eine Stimme!

„Was wollt ihr von mir?", schrie Samantha vom Rande der Lichtung aus.

Lucy zuckte bei diesem unvermittelten Ausbruch zusammen, aber Samantha beachtete sie in ihrer Anspannung nicht. Etwas hatte sich verändert, sobald ihr Ruf verhallt war. Sie spürte es deutlich. Eine Schwingung in der Luft, wie vor einem Gewitter. Samantha glaubte zu spüren, dass der Rosenquarz, der die ganze Zeit kühl in ihrer Hand gelegen hatte, wärmer wurde. War das bei ihrem ersten Gang durch die Feensteine auch so gewesen? Sie hätte es nicht sagen können, sie war damals zu abgelenkt gewesen. Auch die Stimmen hatten sich verändert. Das Kauderwelsch klang auf einmal geordneter und dann vernahm sie, wie bei ihrem ersten Gang durch die Steine, laut und deutlich ihren Namen. Samantha konzentrierte sich noch mehr und dann hörte sie deutlich die Worte Geh! Rette ihn!  im auffrischenden Wind, dann verschwammen die Stimmen wieder zu einem Hintergrundrauschen, wie wenn man an einem Radio die Frequenz verstellte.

„Sam? W- was ist los?", Lucy klang besorgt, denn sie hörte nichts als Blätterrauschen, aber Samantha bedeutete ihr bloß mit dem vor die Lippen gelegten Zeigefinger, leise zu sein.

"Was muss ich tun?", rief sie erneut den Stimmen zu.

Dein Schicksal! Erfülle es!, lautete die kryptische Antwort im Wind. Dann veränderte sich die Stimmung erneut. Das elektrische Luftflimmern erstarb und die Worte verschwammen erneut zu dem undefinierbaren Rauschen. 

In Love and War - Geheimnis um FerywoodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt