Der Brief

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„Das meinen Sie ernst?", rief Captain Helwick aus und blickte Miss Stevens voller Verwunderung an.

Es war früher Nachmittag und sie genossen das schöne Wetter im Park. Richard war dabei, einem Lakaien Anweisungen zu geben, während Hetta nochmal kurz im Haus verschwunden war, um sich einen Schal zu holen. Samantha und Helwick standen am Fuße der Terrasse beisammen und Samantha musste über den erstaunten Ausdruck des Captains lachen.

„Selbstverständlich!", sagte sie. „Ich will Schießen lernen."

„Aber Sie sind eine Dame."

„Ähm, ja", bestätigte Samantha das Offensichtliche. „Was hat das damit zu tun? Mrs Shepherd kann auch mit einer Pistole umgehen und sie weiß sogar, wie man eine Muskete lädt, wie sie mir verraten hat. "

„Mrs Shepherd hat diese Fähigkeiten auch durchaus gebrauchen können, auch wenn ich bezweifle, dass sie sie jemals angewandt hat", erwiderte er. „Was sagt Lord Velton dazu?"

„Ich sage, dass es nicht schaden kann, wenn sie es lernt", erwiderte Lord Velton gelassen. Er hatte das Gespräch mit dem Diener beendet und war hinzugetreten und stand jetzt hinter Samantha, die ihm über die Schulter einen raschen Blick zuwarf.

Richard hatte Helwick bei einem Glas Sherry in der Bibliothek von der Intrige und den jüngsten damit verbundenen Ereignissen erzählt. Er konnte Richards Besorgnis um Miss Stevens daher durchaus nachvollziehen und vermutlich konnte es wirklich nicht schaden, wenn sie schießen lernte. Ein mutwilliges Grinsen stahl sich auf sein Gesicht und er klatschte tatkräftig in die Hände. „Nun, wenn das so ist, dann fangen wir an!"

Der Lakai trug zwei längliche Holzkästen aus dem Haus und stellte sie auf einen Tisch am Fuße der Terrasse. Als Richard den ersten Kasten öffnete, kam ein paar schöner, schlanker Duellpistolen zum Vorschein. Die Griffe aus Ebenholz waren mit eingelassenem Silberdraht verziert und die langen Läufe fein ziseliert. Der zweite Kasten enthielt ein paar größere, schlichtere Pistolen, die zweckmäßiger wirkten und, obwohl sie sauber und gepflegt waren, Schrammen und Abnutzungen aufwiesen. Samantha nahm an, dass Richard diese Pistolen in Spanien benutzt hatte und der Gedanke, dass er damit getötet hatte, ließ ihr die Nackenhaare zu Berge stehen.

Richard nahm die Waffen nacheinander in die Hand, wog das Gewicht ab und prüfte mit Kennermiene, ob die Schlösser gut geschmiert waren und der Feuerstein korrekt und fest eingesetzt war. „Ich denke, eine der schlankeren Waffen liegt dir besser in der Hand", sagte er zu Samantha und hielt ihr mit dem Griff voraus eine der schönen Duellpistolen hin.

Samantha nahm die Waffe und streckte probehalber den Arm aus. Sie war über das Gewicht überrascht, bemerkte aber, dass sie gut ausbalanciert war.

„Sie ist ein bisschen groß für deine schmale Hand", fand Richard und trat hinter sie. Er legte ihr die Hände auf die Schultern und schob sie zurecht. „Stell dich ein bisschen schräg hin, so dass du ein möglichst kleines Ziel abgibst und du einen guten Stand hast. Die Beine etwas auseinander, den Arm gerade ausgestreckt, ja, genau so."

„Wie sehe ich aus, Captain Helwick?", fragte Samantha über die Schulter.

„Wie eine Amazone", gab Helwick zurück. Er wählte eine der anderen Waffen aus und begann mit schnellen Handgriffen sie zu laden. Er ließ eine Kugel in den Lauf gleiten und schüttete Schießpulver hinterher. Dann rammte er die Ladung mit dem kurzen Ladestock in den Lauf und füllte wohldosiert Schießpulver auf die Pfanne. Er musste kaum hinsehen, was er tat. Richard nahm Samanthas Waffe und lud sie ebenso routiniert wie sein alter Kampfgefährte. In der Zwischenzeit stellten zwei Lakaien auf dem Rasen eine Zielscheibe auf.

Schließlich trat Richard vor, zielte sorgfältig und schoss. Er verfehlte das Zentrum nur um einen Zoll.

„Guter Schuss!", rief Helwick.

In Love and War - Geheimnis um FerywoodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt