Teil 32

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Gleiche Stadt. Andere Welt.

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"Wo fährst du hin?" frage ich verwirrt. Ich kenne die Straßen, ahne in welche Richtung wir fahren. Kenan wirft mir einen kurzen, zögernden Blick zu.

"Ich fahre dich nach Hause." "Nein." schießt es wie aus der Pistole aus mir raus. Kenans Blick zuckt erneut zu mir. Er scheint nicht zu verstehen. "Nein. Fahr zur Aussichtsplatte, da wo du mit mir hinwolltest. Ich will nicht heim." Noch nicht. "Ever..." mahnt mich Kenan mit einem seufzen. "Der Mann kannte dich. Er kannte deinen Vater...was ist, wenn er..." Er stockt. "Wenn er es meinem Vater erzählt? " beende ich seinen Satz.

Es ist zu Dunkel im Wagen um Kenans Gesicht genau zu erkennen aber ich sehe ich ihn nicken. "Jetzt bin ich schon weg. Der Mann wird es, wenn überhaupt erst Morgen meinem Vater erzählen, bis dahin ist es egal wie lange ich heute Nacht weg bin." Kenan scheint nicht überzeugt. "Bitte. Ich will nicht heim." Ohne mich anzusehen fährt Kenan an den Straßenrand. Sobald wir stehen schaut er mich prüfend an. Ich halte seinem Blick stand, obwohl es zu dunkel ist um genau zu erkennen wo er hinschaut.

Er seufzt einmal ergeben. Dann wendet er das Auto und fährt in die andere Richtung. "Danke." flüstere ich in die stille. Es kommt keine Antwort.

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"Das war mein erstes Mal." "Mmh?" "Ich hatte zuvor noch nie so Kontakt mit der Polizei. Ich wurde noch nie angehalten und auch sonst haben sich Polizisten in meiner Anwesenheit immer tolerant verhalten."

Wir sitzen auf der Motorhaube seines Wagens und schauen runter auf die Stadt. Die Sterne funkeln über unseren Köpfen, die Stadt liegt vor uns in Stille und um uns herum weht eine leichte Brise.

"Bei mir war es das 7. mal." "Oh." "In diesem Jahr." Mein Kopf zuckt zu ihm. "Du wurdest schon 7-mal von der Polizei angehalten?" frage ich erschrocken. Kenan nickt bloß und starrt auf die Stadt hinunter.

"Und...sind sie jedes Mal...." Ich suche nach Worten. "So grob?" hilft mir Kenan aus. Er schaut zu mir, dreht seinen Kopf zu mir. Ich nicke und drehe mich auf die Seite um ihn besser ansehen zu können. "Es kommt immer drauf an, wer der Polizist ist. Welche Situation. Welchen Grund sie sich ausdenken um mich anzuhalten und auf meine Reaktionen."

"Das ist schrecklich." stoße ich aus. Kenan lächelt mich zynisch an. "Das ist normal." sagt er grimmig. "Ich hätte gar nicht gewusst was ich zu tun habe, wenn du nicht da gewesen wärst. Ich...mir wurde das nie erzählt." Ich klinge so unglaublich naiv. Ich bin mir dessen bewusst aber ich kann nicht anders.

"Du lebst ein anderes Leben, Ever. Sehr viel privilegierter." "Was...nein." Kenan grätscht mir dazwischen bevor ich noch mehr sagen kann. "Nein Ever. Dir wurde nicht, bevor du in die Schule kamst, eingebläut das du nicht dich wie deine anderen weißen Freunde verhalten kannst. Ich darf nicht zum Spaß über Zäune klettern, weil man denken könnte ich breche irgendwo ein. Ich darf nicht in der Öffentlichkeit mit Spielzeug Waffen spielen, weil man denken könnte sie einen echt. Mir wurde gesagt wie ich mich zu verhalten habe, dass ich niemals Respektlos sein darf, niemals versuchen sollte zu entwischen, dass ich mich genau an die Befehle halten soll, keine Wiederworte geben darf. Ich durfte nicht an Streichen teilnehmen, weil meine Mum Angst hatte ich könnte erschossen werden, weil die Polizisten bei mir erst schießen würden bevor sie Fragen stellen. Ich werde regelmäßig nach meinem Ausweis gefragt oder durchsucht. " Bei jeden seines Worts bildet sich ein immer größerer Kloß in meinem Hals. Mir fehlen die Worte während er immer mehr findet und seinen Frust rauslässt.

"Du wurdest noch nie schlechter behandelt nur weil du eine andere Hautfarbe hast. Du musstest daheim nicht deinen Eltern zeigen wie du dich vor Polzisten zu verhalten hast. Ich musste das üben! Ich darf niemals vor Ihnen wegrennen, egal wie viel Angst ich als Kind vor Ihnen hatte. Du musst nicht aufpassen wie schnell du deine Hände bewegst. Das vorhin im Auto als du dich gebückt hast? Ich hätte nicht die Zeit gehabt wieder mich hinzusetzen, ich hätte schon längst die Kugel im Kopf."

Ich liege stocksteif auf dem Auto, traue mich kaum zu bewegen. Kenan atmet schwer von seinem langen Dialog. Mir hängen weiterhin seine Worte nach. Sie gehen mir nah. Verursachen Schuldgefühle in mir. Mein Mund ist ganz trocken. Ich kann nicht schlucken. Ich kann nicht sprechen.

"Also sag mir nicht du hättest kein privilegierteres Leben gehabt als ich." Kenan dreht seinen Kopf Richtung Himmel und schaut hinauf. "Tut mir leid." flüstere ich so leise das ich schon denke er hätte die Worte nicht gehört. Aber er zuckt zusammen.

"Komm. Ich fahr dich jetzt heim. Das hier war eine blöde Idee." Schnell erhebt er sich und springt vom Wagen runter. Überfordert bleibe ich noch kurz liegen und schaue ihm nach wie er zur Wagentür geht. "Was...wieso?" frage ich und setze mich auf. Kenan meidet meinen Blick. "Das hier." er deutet auf mich und ihn. "War eine blöde Aktion. Du...du." Er bricht ab und kickt mit dem Fuß gegen den Reifen.

"Was ich? Ich habe noch keinen Rassismus erlebt? Ich habe keine Ahnung von all dem? Ich bin der Feind? Weil ich...einen Rechtextremistischen Vater habe? Was, Kenan? Sag es mir!" fordere ich nun im ersteren Tonfall. "JA! Wegen alle dem. Du stehst auf der anderen Seite, Ever! Du bist behütet aufgewachsen!" "Eine behütete Welt ist nicht gleich eine Gute, Kenan! Ich habe Rassismus erlebt. Ich habe auch Sexismus erlebt!" "Ever." knurrt Kenan. Noch immer schaut er mich nicht an. Ich rutsche von der Motorhaube und baue mich vor ihm auf.

"Was? Ich weiß das ich anders aufgewachsen bin als du. Ich weiß das meine Familie etwas Falsches vertritt, etwas nicht rechtens. Ich weiß das es ungerecht ist dich und auch andere so zu behandeln wie der Polizist es gerade getan hat! ICH WEISS ES!" brülle ich ihn an.

Nachdem mein Geschrei abgeklungen ist, herrscht eine so drückende Stille das ich zurückweichen muss. "Und warum änderst du dann nichts?" Seine Stimme ist leise und unsicher. Ich öffne den Mund um zu antworten aber es kommt kein Ton raus.

Kenan schließt kurz die Augen und nickt. "Habe ich es mir gedacht. Los steig ein. Ich fahre dich jetzt heim." Kenan öffnet die Tür und setzt sich hinters Steuer. Tränen drücken gegen meine Lider. Meine Hände balle ich zu Fäusten, weil ich nicht sprechen kann. Ich kann nicht ausdrücken was mich belastet. Es nicht in Worte fassen.

Stattdessen gehe ich zur Beifahrertür, öffne sie und setzte mich hinein.

Auf der ganzen Fahrt bis in die Nähe meines Hauses schweigen wir. Erst als ich es wage auszusteigen spricht Kenan nochmal. "Es tut mir leid, Ever. Ich habe das vorhin nicht so gemeint." Er klingt reumütig aber ich erkenne die Lüge darin. Er hat nichts falsch gemacht. Er hat die Wahrheit ausgesprochen. Ich war es die nicht sprechen konnte. Ich bin es die nicht für dich einstehen kann.

Ich nickte bloß, schließe die Tür und verschwinde dann in der Dunkelheit. 

The DifferenceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt