Teil 41

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Mit leisem Widerstand fängt eine ganze Rebellion an.

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Das klärende Gespräch mit Kenan hat mir gutgetan. Kenan war still und hat die ganze Zeit mir aufmerksam zugehört, als ich nicht mehr reden wollte ist er eingesprungen und hat mir von belanglosem Zeug erzählt.

Später sind wir wieder zurück in die Klasse gegangen. Ich habe eine Doppelstunde Geschichte verpasst, aber Kim hat zum Glück eine Ausrede für mich gehabt. Raider hat mich keines Blickes mehr gewürdigt, auch als wir in den folgenden Stunden in einem Raum saßen. Mit seinen blauen Augen, ist es vielleicht auch schwer seine Umgebung zu erkennen.

Heute ist Samstag und ich habe Kenan seit Donnerstag nicht mehr gesehen. Er hat freitags einen so anderen Stundenplan gehabt, dass wir uns nicht ein einziges Mal über den Weg gelaufen sind. Aber dafür haben wir geschrieben. Ich erkenne mich kaum selbst wieder. Grinsend sitze ich über meinem Handy und schreibe mit ihm. Mein Herz hüpft jedes Mal vor Freunde, wenn ich ihn sehe und mein Bauch macht ganze komische Sachen, wenn ich an ihn denke. Ich bin aufgedreht, rastlos und...ja glücklich. So widerlich glücklich.

"EVERLEIGH!" Und damit zerbricht meine Glückseligkeit. Ich schiebe mein Handy unter mein Kopfkissen und setze mich in meinem Bett auf. "EVERLEIGH!" Ich verdrehe die Augen und stemme mich aus meinem Bett raus. Bevor mein Vater ein drittes Mal nach mir schreit erscheine ich am Treppenabsatz und schaue zu ihm hinunter.

Er steht da, trägt seine Lieblings Lederjacke, eine Jeans und einen dunklen Pulli. Seine grauen Haare sind weg. "Was ist mit deinen Haaren passiert?" frage ich skeptisch. Mein Vater fängt an zu lachen und wird rot. "Steve hat sie mir geschnitten. Sieht gut aus oder?" Er schaut mich mit seinen blauen Augen so Hoffnungsvoll an das ich es nicht schaffe nein zu sagen. "Ja, siehts gut aus." sage ich stattdessen. Ich bin eine miserable Tochter.

"Danke. Hast du Lust uns zu helfen? Eric und Steve sind im Wohnzimmer." Ich gehe ein paar Schritte die Treppe nach unten. "Bei was?" frage ich nach. "Wir malen Plakate." "Plakate?" harke ich misstrauisch nach. "Komm" er zeigt in Richtung Wohnzimmer. Nur langsam folge ich ihm dahin. Aus dem Radio schallt laute, rechtsextreme Musik. Der Sänger sing über Nation und falsche Toleranz. Mir läuft es den Rücken runter.

Im Wohnzimmer sitzen Steve und Eric über mehre Plakate und malen drauf. Beim näher kommen erkenne ich die Sprüche.

Asyl Flut Stoppen!

Falsche Toleranz!

Stoppt den Multikulti Staat!

Beim vierten Plakat, dass das gerade Eric malt ist noch nicht viel zu erkennen außer das Wort HKNKRZ zu sehen. Mich ekelt jedes einzelne dieser Plakate an. Ich halte erneut die Luft an. "Ever, setz dich. Wir haben Pizza bestellt und später kommen noch ein paar Freunde." informiert mich mein Vater währen er sich neben Steve auf die Couch setz und selbst einen Stift zu Hand nimmt. Ich stehe nach wie vor im Türrahmen und starre auf das rot, weiß und schwarze Getümmel vor mir.

"Setz dich Ever." meint auch nun Eric, der kurz hochschaut. Er meidet meinen Blick. Sein Fokus liegt mehr auf meinem Fuß, als könne er meine Verletzung immer noch sehen. Ich reiße mich von meinem Platz los und setze mich neben Eric auf den Boden. Steve nickt mir zu und reicht mir Stift und ein rotes Plakat. Ich nehme beides entgegen. Eric verfolgt meine Bewegungen genau.

"Kann ich mal den weißen Stift haben?" frage ich Eric. Dieser schaut mir erst in die Augen, bevor er nach links greift und mir den Stift gibt. Ich zwinge mich ihn an zulächeln. Ich nehme den Deckel des Stiftes ab und lehne mich über mein Plakat.

Mich juckt es in den Fingern, ganz Fett drauf zu kritzeln: Wer das liest ist ein Scheiß Nazi, aber ich traue mich nicht.

"Du kannst auch was doppelt schreiben." gibt mir Eric den Tipp. Mmh, das mache ich ganz bestimmt nicht. "Ich habe glaub ich was." sage ich stattdessen und drehe mich so hin, dass keiner mein Plakat sehen kann.

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"Willst du mich veraschen, Ever?" knurrt mir Eric ins Ohr. Er hält meinen Oberarm so fest das ich nicht entkommen kann. "Was ist dein Problem?" knurre ich zurück und zerre an meinem Arm. Steve und mein Dad sind in der Küche und verteilen die Pizza auf Teller. Sobald beide Männer draußen waren hat sich Eric vorgebeugt und mir mein Plakat geklaut.

"Willst du als Verräterin enden? Willst du dir selbst schaden?" Er zerrt an meinem Arm. "Eric, lass mich los." Er ignoriert mich. "Du bist so ein Freak geworden, Ever." Er verzieht das Gesicht und mustert mich. Dann lässt er mich los und stößt mich ein Stück zurück. Gerade so fange ich mich wieder und will nach meinem Plakat greifen aber da reißt es Eric an sich und zerreißt es.

"ERIC!" schreie ich und stütze vor aber Eric ist schneller. Er zerreißt mein Plakat sodass nur noch die einzelnen Buchstaben zu sehen sind.

Von: ALLE + GLEICH =LANGWEILIG. Ist nicht mehr viel übrig. Gerade als ich laut werden will kommt mein Dad mit einem Teller voller Pizza rein. Hinter ihm kommt Steve mit einem breiten Grinsen herein. Er wirft mir nur einen kurz, eher genervten Blick zu bevor er sich an seinen Sohn widmet. "Was hast du da für ein Plakat zerrissen?" fragt Steve mit vollen Mund. Bevor ich antworten kann, schaltet sich Eric ein.

"Das war Evers, aber sie war zu sachlich und nicht genau. So ein Plakat passt nicht zu Demo." Lügner. Schreit alles in mir. Aber Steve scheint zu verstehen. Er lacht auf. "Ja die kleine Ever geht manchmal zu Naiv an Sachen ran, stimmts?" Er stubst seinen Sohn an. Dieser lacht und bejaht.

Mein Vater konzentriert sich auf seine Pizza während ich rot anlaufe. "Ich habe keinen Hunger mehr. Ich geh hoch." murre ich und stehe auf. "Aber du hast doch noch gar nichts gegessen, Schätzchen." Jetzt schaut mein Vater endlich auf. "Mir ist nicht so gut. Ich esse später etwas." weiche ich aus und gehe zur Tür.

Bevor jemand noch etwas sagen kann bin ich über die Treppe nach oben verschwunden.

Den Rest des Abends verbringe ich in meinem Zimmer und telefoniere mich Kenan. Erst spät in der Nacht schleiche ich mich aus meinem Zimmer nach unten ins Wohnzimmer.

Auf Zehenspitzen schleiche ich zum alten Radio und entnehme die CD. Mit meinem Fingernagel zerkratze ich sie so dass sie kaum noch was von sich geben sollte. Dann lege ich sie zurück und schleiche in mein Zimmer zurück.

Es ist nur eine kleine, stumme Art von Rebellion aber sie lässt mich mit einem zufriedenen Lächeln ins Bett gehen.

The DifferenceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt