Teil 16

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Einfach mal still sein.

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Mein Handy klingelt ein weiteres mal. Energisch drücke ich auf den roten Button und schiebe es in meine Schürzte zurück. Eric versuch schon den ganzen Vormittag mich zu erreichen. Ich habe jedes Mal auf ablehnen gedrückt.

Es ist kurz vor 8 Uhr am Abend und ich wische gerade die letzten Tische sauber als die Türklingel ertönt. Ich bin schon bereit der besagten Person eine Abfuhr zu erteilen, das Café hat leider nur bis 8 Uhr auf, da entdecke ich einen kleinen Jungen. Mir bleiben kurz die Worte im Hals stecken. Verwundert mustere ich den kleinen Jungen mit der Baseballkappe auf den Kopf. Er sieht gehetzt von rechts nach links. Als er mich entdeckt hellen sich seine Augen auf.

"Bin ich zu spät?" fragt er keuchend. Ich lege den Lappen auf den Tisch und gehe zu dem Jungen. Er scheint nicht viel älter als 9 zu sein. "Wir schließen gleich." antworte ich ihm vage, nicht sicher was er genau will. "Aber erst um 8. Es ist genau 3 vor 8." Der kleine Junge steckt mir seine Star Wars Armbanduhr entgegen und grinst. Ich verdrehe die Augen.

"Was möchtest du denn?" frage ich ihn. Ich möchte doch nur den Laden abschließen und nach Hause fahren dürfen. "Eine Cola und einen Schokomilkshake." Bei seiner Aussage muss ich schmunzeln. Diese Bestellung erinnert mich so sehr an Kenan das es mir fast wehtut. "Bitte." setzt der Junge hintendran. Er zieht seine Baseballkappe vom Kopf und hält sie vor sich. "Bitte, Miss." Er klimpert mit den Augen. Ich deute mit dem Daumen nach oben an die Wand. "Jetzt ist es Punkt 8. Wir haben offiziell geschlossen." Der Junge bekommt noch größere Augen. "Aber Miss mein Bruder hat mir versprochen, dass ich eine Cola bekomme, ich kann nichts dafür das wir im Stau standen. " Jetzt ziere ich mich noch ein bisschen mehr. Kinder überfordern mich maßlos.

"Wieso kauft dir dein Bruder denn nicht eine Cola an der Tankstelle?" "Er meint da schmeckt die Cola nicht. Hier würde sie am besten schmecken. Außerdem gibt es in der Tankstelle keinen Schokomilkshake, Miss." Jetzt diskutiere ich schon mit einem 9-Jährigen. Der Tag ist echt zum kotzen.

"Bitte. BIIITTTTEEE." Er kommt weiter rein ins Café und schaut mich von unten her an. Mit seinen fast schwarzen Haaren, seinen braunen Augen und den kindlichen Gesichtszügen sieht er echt goldig aus. Ich spüre wie ich weich werde. Verdammt.

"Nenn mich nicht Miss, dann mache ich dir einen." Genervt gehe zur Theke und schalte beide Anlagen erneut ein. Wieso tue ich das hier überhaupt? Es ist nur ein kleiner Junge, er wird eine Absage verkraften können. Trotzdem suche ich zwei Becher TO-GO und stecke bereits zwei Strohhalme rein. Der Junge ist mir bis zur Theke gefolgt und setzt sich auf einen Hocker. Gebannt schaut er mir bei meiner Arbeit zu.

Bei genauerem Betrachten kommt der kleine mir bekannt vor. Seine Augen und seine Nasen haben Ähnlichkeiten mit...Kenan. Ich reiße die Augen auf und schaue durch die Scheiben hinaus auf den Parkplatz. Da steht ein dunkles Auto aber mehr ist nicht zu erkennen, durch die Spiegelung sehe ich nur das Café selbst.

Die Milkshake Maschine gibt ein Piepen von sich, sie ist hochgefahren. Ich nehme einen Becher und beginne ihn mit Schokomilch zu füllen.

Als ich fertig bin stelle ich ihm den Jungen vor die Nase danach mache ich mich an die Cola. "Du...für wen ist der Milkshake?" frage ich möglichst nebensächlich. "Für meinen Bruder. Der mag keine Cola, also trinkt er immer Milkshakes. " "Und dein Bruder heißt nicht zufällig Kenan?" Ich drehe mich wieder zur Cola Maschine und lasse die süße Plörre in den Becher gießen. Bitte sag das er anders heißt. Lass nicht Kenan dein großer Bruder sein. Bitte.

"Woher weißt du das?" erstaunt reißt er Junge seinen Mund auf und entblößt dabei zwei Zahnlücken. Ich muss schmunzeln. "Du siehst ihm ähnlich...außerdem kenn ich nur einen Jungen in meinem Alter der so gerne Milkshakes trinkt." Mit dem Rücken zu ihm mache ich die Cola fertig und reiche sie ihm. Der Junge rührt keins der Getränke an und schaut mich nur grinsend an.

"Heißt das jetzt das du mir auch in Zukunft öfter eine Cola machst?" "Nur wenn du nächstes Mal früher kommst." Ich schalte beide Maschinen erneut aus und beginne sie zu reinigen. In der Erwartung gleich die Türklingeln zu hören lausche ich aber es kommt keins. Verwundert schaue ich auf. Der Junge sitz nach wie vor am Tresen und schlürft aus seiner Cola.

"Willst du nicht den Milchshake deinem Bruder bringen?" frage ich vorsichtig nach während ich gerade die Düsen der Anlage säubere. Der Junge schaut Stirnrunzeln zur Tür, dann wieder zu mir. "Aber dann bist du ganz alleine hier drin." meint er mit drückender Stimme. Lächelnd erhebe ich mich und mache den Lappen sauber. "Das ist normal. Du kannst gerne zurück zu deinem Bruder." Ich will sogar ganz dringend das er zu seinem Bruder geht. Nicht auszudenken wie peinlich es wäre, wenn Kenan auch noch hier reinkommt, weil er seinen Bruder sucht.

Aber Kenans mini Ausgabe bleibt beharrlich. "Kenan hat aber gesagt, wenn ich schon so knapp hier reinkomme und du mir meine Cola machst soll ich auch warten bis du fertig bist. Er sagt ein Mädchen wie du sollte nicht alleine im Dunkeln über den Parkplatz gehen." Wow. Ich lasse den Lappen in die Spüle fallen und starre zu dem kleinen Jungen, der so friedlich an seiner Cola schlürft. "Das hat Kenan gesagt?" harke ich ungläubig nach. Der Junge nickt wie wild.

"Na gut." Ich schaue mich ein bisschen verunsichert um. Die Anlagen sind gereinigt. Nur noch die Lappen in die Wäschekamme und Licht ausmachen. Ich beeile mich damit der Junge und Kenan nicht allzu lange warten müssen.

"So bin fertig. Kommst du?" Ich hänge mir meine Umhängetasche um und warte an der Tür auf ihn. Er springt von seinem Stuhl nimmt beide Becher in die Hand und kommt zu mir. Ich halte ihm die Tür auf. Ein kühler Wind weht sofort zu uns, es ist immer noch viel zu kalt. In dem Moment wo ich das Licht ausschalte und die Tür abschließen will brummt mein Handy erneut. Scheiß Ding. Knurrend hole ich es heraus und schalte es gleich komplett aus.

"Alles okay?" verwundert schaue ich auf. Der kleine Junge steht immer noch neben mir. Seine Cola in der linken Hand und den Milkshake unter dem Arm geklemmt. "Ehm ja. Alles gut." Ich richte mich auf, streiche meine wirren Haare zurück und gehe mit dem Jungen über den Parkplatz. Das dunkle Auto parkt direkt neben dem Auto von meinem Dad. War ja klar.

Gerade als ich mich von dem Jungen verabschieden will geht die Fahrertür auf und Kenan steigt aus. "Hier ist dein Milkshake." Der Junge hüpft zu seinem großen Bruder und reicht ihm sein Getränk. "Danke, großer. Spring schon mal rein, wir fahren gleich." Kenans Stimme klingt so ruhig und liebevoll, wenn er mit seinem Bruder spricht das es sich so anfühlt als würde ein winziger Schmetterling in meinem Bauch gerade losfliegen.

Der Kleine geht sofort zur Beifahrerseite und setzt sich hinein. Zurück bleiben nur Kenan und ich. Allein. Im Dunklen. "Hi." sage ich dümmlich. Kenan grinst unsicher. "Hey." Er blickt nach unten und fährt mit seinem Fuß über den Schotter. "Danke, aber ich hätte es auch alleine geschafft." sage ich in die Stille rein. Ich sehe wie sich Kenans Mundwinkel noch ein kleines Stück heben. "Das weiß ich, aber so habe ich mich besser gefühlt." "Na dann." Ich drehe mich leicht zu meinem Auto und deute darauf. "Ich würde dann so langsam nach Hause fahren. "

"Warte." Ich bleibe stehen und warte. Ich höre Kenans Schritte näherkommen, rühre mich aber nicht. "Also...ich wollte nur nachfragen..." Er stockt erneut. Neugierig drehe ich mich zu ihm hin. Er starrt nach wie vor auf den Kies und scheint ungewohnt nervös. Es ist niedlich. "Spuck es aus Kenan." mache ich ihm es leichter.

Kenan hebt den Kopf. "Bist du jetzt eigentlich mit dem Typen zusammen?" "Welcher Typ?" Frage ich obwohl ich eine Ahnung habe. Kenan verdreht die Augen und schaut mich nur weiter an. "Du meinst Eric?" Verwirrt ziehe ich die Augenbrauen zusammen. "Ja." "Nein, wieso fragst du?" Jetzt wird aus Kenans anfängliche Schüchternen Lächeln ein breites selbstbewusstes. "Weil er ein Arsch ist. " "Ich glaube nicht, dass du..."-" Stopp." unterbricht mich Kenan. "Das ist egal. Aber jetzt da du nicht mit dem Vollidioten zusammen bist will ich das du mir einen gefallen tust." Verständnislos schüttle ich den Kopf. "Kenan." "Ever. Komm schon. Tu mir einen Gefallen und triff mich am Freitag. Nach der Schule, ich will dir was zeigen."

Entgeistert mustere ich sein Gesicht. "Ich weiß nicht." Ich ziehe meine Antwort extra in die Länge. Will ich das Risiko auf mich nehmen? Will ich den ganzen Ärger? Ich...ich weiß es nicht. Ich bin hin und her gerissen. Zwischen Vernunft und dem was ich vielleicht will. Ich spüre auf einmal mein Telefon überdeutlich in meiner Schürzte. Das Gewicht. Das Gewicht der vielen Anrufe von Eric. Das Gewicht von dem was von mir gefordert wird. Ein Gewicht unter dem ich zu ersticken drohe. "Komm schon, Ever. Du hast nichts zu verlieren." Kenan grinst und stupst mich mit der Schulter an. Ich lächle ihn an. 

"Na gut." Mit diesen Worten wird das Gewicht für eine Sekunde leichter. 

The DifferenceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt