Teil 61

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Meine Seele ist gespaltet. Die eine trauert meinem alten Leben hinterher und die andere ist vor Vorfreunde auf das Neue erfüllt.

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Mit einer verletzten Hand Auto zu fahren gestaltet sich als äußert schwierig. Ich komme nur langsam voran und werde auf der kurzen Strecke zum Krankenhaus mehrmals überholt und angehupt.

Völlig fertig mit den Nerven und kurz davor in Tränen auszubrechen fahre ich schließlich auf den Besucherparkplatz. Ich verbrauche zwei Parkplätze da ich nicht die Nerven habe, um mir Mühe beim Einparken zu geben. Meinen Koffer und meinen Rucksack lasse ich vorerst im Auto liegen.

Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch nähere ich mich dem Eingang. Meine Hand pocht nach wie vor wie verrückt, aber meinen geschundenen Hals geht es besser. Nur noch eine leichte röte ist zurückgeblieben.

Auf dem Weg in den 3. Stock kreisen meine Gedanken über meine jetzigen Optionen. Ich bin noch minderjährig, habe wenig Geld, keinen Job und muss noch zur Schule. Kenan hat zwar mal angeboten das ich bei ihm Unterkommen kann aber das sehe ich nicht als dauerhafte Option an. Ich brauch etwas anderes, mein eigenes Zimmer und wieder einen Job. Mein Kopf dröhnt vor lauter Gedanken.

Ich betrete den Flur zu Kenans Zimmer und stocke kurzdarauf. Die Gruppe hat sich minimiert. Barb und Marlon stehen im Gang. Kim und Taylor laufen beide neben einem wackeligen Kenan her. Amber, Will und Kaylie sind nicht zu sehen. Beim näher kommen erkenne ich wie verbissen Kenan einen Schritt vor den anderen macht. Er trägt eine graue Jogginghose und ein weites Baumwolle T-Shirt. Neben ihm fährt eine Infusion mit. Seine Haare liegen plattgedrückt auf seinem Kopf und sein geschundenes Gesicht hat jetzt wieder etwas mehr Farbe bekommen.

Sobald ich in Hörweite bin entdecken mich auch die anderen. "Oh Hey Ever." Als Kim meinen Namen ausspricht zuckt Kenans Blick zu mir hoch. Ich lächle zaghaft. "Ever." haucht er, kurz bevor er sich von Taylor los macht und mit entschiedenen Schritten auf mich zu kommt. Sofort gehe ich ihm entgegen. Er ist noch zu wackelig auf den Beinen. "Kenan mach langsam!" bittet Barbs aber er hört nicht auf sie. Sobald er in meiner Greifnähe ist stütze ich ihn sofort.

Davon will Kenan aber nichts wissen. Er löst meine Hand, die ihn stützen soll, und zieht mich zu sich. Seine Hände umgreifen mein Gesicht, dann fängt er an mich zu küssen.

Flattern schließen sich meine Augen und ich stöhne leise in den Kuss hinein. Ich habe ihn so vermisst. Behutsam drücke ich meine Lippen auf seine, bewege meine im Einklang mit seinen. Es ist ein fast keuscher Kuss und trotzdem lässt er meine Beine zu Wackelpudding werden. Ich will ihn näher ziehen. Aber ich habe meine verletzte Hand nicht bedacht.

Sobald sie Kenans Brust berührt und ich sie zur Faust schließe zieht ein stechender Schmerz mein Handgelenk hoch und ich jauchze auf. Augenblicklich lässt Kenan von mir ab und schaut mich unter glasigen Augen und mit geschwollenen Lippen verwirrt an.

Zum Verständnis halte ich meine Hand hoch und schaue zerknirscht ihm in die Augen. Behutsam nimmt er meine Hand in seine großen Hände und untersucht sie. Inzwischen sind die Knöchel blau und lila verfärbt und geschwollen. Mit großen Augen schaut Kenan zu mir. "Was ist passiert?" seine Stimme krächzt. Angst und Verwirrung stehen in seinen Augen.

Sein Blick wandert an mir weiter auf und ab, so als suche er weitere Verletzungen. An meinem Hals bleibt sein Blick schließlich hängen. Die Angst in seinen Augen wandelt sich zu Zorn. Sanft legt er seine verletzte Hand auf meinen Hals und streicht hauchzart über den roten Striemen. Seine andere Hand hält meine verletzte immer noch.

"Wer. war. dass?" In seiner Brust grollt es. "Das ist eine lange Geschichte." antworte ich nur erschöpft. Das Adrenalin lässt nach und macht Platz für meine Erschöpfung. Kenan beißt die Zähne zusammen. "Ich habe meinen Dad verlassen." hauche ich leise. Meine Augenlider werden schwer. Mein Puls geht langsam wieder ein normales Tempo. Mir wird leicht schwindelig. Kenan zieht mich in seine Arme. Er seufzt einmal erleichtert und drückt mir einen Kuss auf den Kopf. "Sehr gut." murmelt er.

Dann hebt er den Kopf. "Entschuldigen Sie!" erst denke ich er redet mit mir. Verwirrt schaue ich auf aber Kenan schaut nicht zu mir. Er redet mit jemanden der hinter mir steht. "Ja sie! Tut mir leid, wenn ich sie bei ihrer Arbeit störe aber meine Freundin hier hat sich die Hand verstaucht, könnten Sie sich die grad mal anschauen? Und vielleicht ihren Hals?"

"Mir geht es gut." will ich Kenan beruhigen aber da steht schon eine kleine zierliche Krankenschwester neben mir. "Zeig mal her Schätzchen." sagt sie liebevoll. Ich löse mich ganz von Kenan und reiche der Frau meine Hand.

Inzwischen kommen auch die anderen näher und schauen was hier los ist. Sobald Kim und Barbs meine Finger sehen ziehen sie erschrocken die Luft ein. "Kind was hast du gemacht!" entfährt es Barbs während Kim nur fragt. "Er sieht schlimmer aus oder?" Ein Lächeln stiehlt sich auf meine Lippen während Barbs Kim böse anfunkelt. "Na klar." Unauffällig streckt mir Kim ihre Faust entgegen. Ich schlage ein.

Die Krankenschwester schaut sich fachmännisch meine Hand an. "Scheint nichts gebrochen zu sein, aber ich würde sie gerne trotzdem kurz röntgen und ihnen dann eine Schiene geben." Die Schwester lässt dann ihren Blick zu meinem Hals wandern. "Das schaue ich mir gleich auch an. Wollen sie grad mitkommen?" fragt sie mich. Zögernd schaue ich zu Kenan.

"Ich komme mit." entscheidet er. Die Krankenschwester schaut jetzt missbilligend. "Sie kehren wieder in ihr Zimmer zurück und ruhen sich aus." Kenan setzt zum Protestieren an aber Kim geht dazwischen. "Ich komme mit." Sie legt Kenan beruhigend eine Hand auf die Schulter. "Ich passe auf sie auf. Wir kommen auch danach direkt zu dir ins Zimmer." verspricht sie ihm. Kenan schaut immer noch nicht glücklich nickt aber.

Bevor ich der Schwester folge lehne ich mich zu Kenans Ohr. "Ich liebe dich." flüstere ich. Prompt schließt er mich in seine Arme und drückt mir erneut einen Kuss auf den Mund.

"Alter, sie geht nur in einen anderen Raum! In 5 Minuten hast du sie ja wieder!" Kim zieht an mir und weg von Kenan.

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Mit einer Schiene am Handgelenk und einer Tüte Gummibärchen klopfe ich schließlich an Kenans Tür. Statt einem herein wird mir die Tür von innen geöffnet. Barbs lächelt mich an. "Alles gut?" fragt sie. Ich nicke tapfer, ich hoffe man sieht mit meinen getrockneten Tränen nicht an.

Als mir die Hand geschient wurde, habe ich Kim alles gebeichtet und bin dabei in Tränen ausgebrochen. Sie hat mich in die Arme genommen und mir anschließend eine Tür Gummibärchen gekauft.

Barbs tritt beiseite und lässt mich ins Zimmer. Kenan Sitz in seinem Bett aufrecht und sobald er mich sieht wird aus seiner grimmigen Miene eine lächelnde. Auch auf meinem Gesicht breitet sich nun ein Lächeln aus.

Ich gehe zu Kenans Bett, er rutscht sofort zur Seite und klopft neben sich. Sofort streife ich meine Schuhe ab und setze mich neben ihn hin. Er schlingt einen Arm um mich und stibitzen mit der anderen mir ein paar Gummibärchen.

Ich reiche ihm die Tür und kuschle mich an seine Seite. Ich würde ihn gerne küssen oder meinen Kopf irgendwo zwischen seiner Schulter und seinem Hals vergraben aber ich beherrsche mich. Schlimm genug das Barb unsere Rumgeknutschte vorhin mitbekommen hat.

"Everleigh?" fragt Barbs. Meine Augen zucken zu ihr. "Kenan hat mir erzählt was passiert ist." Sie fokussiert mich ganz genau mit ihren Augen. Will jede Reaktion mitbekommen. "Ich hoffe das ging in Ordnung." Ich nicke mit dem Kopf. "Ich möchte dir anbieten das du vorerst bei uns unterkommen kannst, aber das ist keine dauerhafte Lösung. Daher habe ich mich schlaugemacht." Sie schaut zu ihrem Sohn. Dieser nickt und drück gleichzeitig meine Hand.

"Eine Bekannte von mir arbeitet beim Jugendamt. Sie meinte, da du schon 17 bist und du immer noch einen Vater hast, kann sie dir anbieten, für die Zeit in der du noch in der Schule bist, in ein betreutes Jugendwohnheim zu ziehen. Das sind noch andere Jugendliche in deinem Alter. Du hättest aber dein eigenes Zimmer und Platz für dich. Du könntest weiterhin zur Schule und nebenher deinem Job weiter nachgehen. Was hälts du davon?"

Unsicher schaut Barbs zwischen Kenan und mir und her. Ich lasse mir die Idee durch den Kopf gehen.

Unsicher schaue ich zwischen Barbs und Kenan hin und her. Das war eigentlich die Lösung auf die ich gewartet habe, so kann ich gleichzeitig weg von Zuhause und trotzdem sitze ich niemanden auf der Tasche...nur hat der Gedanke trotzdem etwas beängstigend. Ich bin noch nie umgezogen, trotzdem weiß ich, dass es keine bessere Option für mich geben kann.

Also nehme ich meinen Mut und alles was dazu gehört zusammen und antworte Barbs ehrlich.

"Ich fände die Idee sehr gut." 

The DifferenceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt