Scheiß doch mal auf wirklich alle.
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Ich bekomme Schnappatmungen. Tränen fließen ungehindert über meine Wangen und fallen letztendlich von meinem Kinn auf den Boden. Meine Beine zittern wie bei einem neugeborenen Fohlen. Ich lehne mich gegen die Wand der Turnhalle und versuche mich selbst zu beruhigen. Aber bei jedem neuen Luft holen schnürt es mir die Luft ab und ich beginne erneut mit den Schnappatmungen. Ich zerre an meiner Jacke und meinem Pullover, reiße sie von mir runter und stehe nur noch mit einem T-Shirt bekleidet da.
In mir drin brennen sich die gehässigen Worte zu einem dicken, fetten, scheußlichen Ball zusammen. Dieser Ball drückt mir auf meinen Brustkorb. Er nimmt mir das Atmen. Ich bin so fertig das ich gar nicht merke wie meine Finger wie von selbst meine Arme zu kratzen beginnen. Sie fahren von meinen Oberarmen zu meinen Handgelenken. Ich kratze und kratze. Ich will den Schmutz und die Scham abkratzen. Ich will etwas anderes spüren als den Druck in mir drin.
Erst als es brennt höre ich auf und sehe mir meine Fingerspitzen an. Blut. Sie bluten. An ihnen klebt mein Blut. Ich schaue zu meinen Armen, oben am Oberarm, klafft eine zerkratze Stelle. Sie ist rot und blutet ein bisschen. Ich bekomme Panik und wische meine Finger an meiner Jeans ab.
"Ever?" Vor Schreck schreie ich auf und knalle gegen die Wand. Kim steht mit besorgtem Gesichtsausdruck vor mir. Ihr Blick auf meinem blutigen Fingern. Langsam kommt sie näher. Wachsam behält sie mich im Blick. "Komm her." sagt sie und bleibt zwei Schritte vor mir stehen. Verwirrt schaue ich sie an. "W.... w... was?" hauche ich mit trockener Kehle.
"Komm her." Sie streckt mir eine Hand entgegen und wartet. Zögernd nähre ich mich ihr, ergreife vorsichtig ihre Hand. Sie umschließt meine Finger so sanft, sodass ich mich jederzeit daraus hätte befreien können. Sie zupft an meinem Arm bis ich näher komme. Dann umfängt sie mich und drückt mich fest an sich.
Ich verkrampfe mich, versuche die Tränen zurück zu halten und mich zu beherrschen. "Lass los, Ever." murmelt Kim leise. Meine Lippen beginnen zu beben. Ich schüttle den Kopf. "Ever...ich bin da." Ich verstecke mein Gesicht an ihrer Schulter. Langsam hebe ich die Arme und drücke ihre zierliche Gestalt an mich.
Ich beginne erneut zu weinen, leiser und mit weniger Schluchzern und diesmal nicht allein. Kim hält mich gedrückt und reibt mir den Rücken.
Ich weiß nicht wie lange wir so stehen, aber irgendwann beginnt mein Rücken zu schmerzen und meine Tränen versiegen. Langsam lösen wir uns voneinander. Kim schaut mich ernst an. Sie hebt die Hände, nimmt mein Gesicht in ihres und kommt mir ganz nah. "Du, Ever, bist ein ganz besonderer Mensch der die Welt ein Stückchen besser macht. Du bist loyal, lustig, hübsch und verdammt nochmal menschlich. Du darfst Schwäche zeigen. Du darfst aber auch schreien, wenn du wütend bist. Aber du darfst dir diese Scheiße von Raider nicht zu Herzen nehmen, denn er ist in seinem inneren so verkrüppelt das er es nur schafft zu leben indem er andere klein macht. Sein Ego ist so winzig, dass er andere nieder machen muss. Er ist ein Arschloch aber du bist besser. So viel besser und das weiß ich. Und jetzt scheiß doch mal wirklich auf alle anderen." Sie schaut mir in die Augen. "Verstehst du mich?"
"Ja." murmle ich. Sie lässt mein Gesicht los und tritt zurück. "Was hast du gesagt?" "Ja." sage ich. "Ne, habe ich dich immer noch nicht verstanden." Sie hält ihre Hand an ihr Ohr und schaut mich auffordern an. Ich lege den Kopf schief. "JA." sage ich diesmal lauter. Kim tritt noch weiter zurück.
"WAS?" ruft sie mir entgegen. Ich muss trotz meines geschwollenen Gesichts die Mundwinkel nach oben ziehen. "JA!!!!" brülle ich ihr entgegen und sie beginnt das Lachen. "So ist richtig! Sei verdammt nochmal Laut, damit dich jeder hört, Ever!" Kim breitet die Arme aus und beginnt zu brüllen. "JAAAA WIR SIND SO VIEL BESSER ALS DIE ARSCHLÖCHER AUF DIESER WELT!" "DA HAST DU RECHT!" brülle ich ihr nach. Kim beginnt lauthals an zu Lachen. Sie kommt wieder näher zu mir und schreit. "WIR SIND GEILE SCHNITTEN!" Ein raues Lachen entkommt meiner Kehle. "LACH! EVER, LACH!" noch immer schreit sie wie eine bekloppte hier rum.
Aus dem rauen Lachen wird mehr. Ich beginne wie eine irre laut zu Lachen und schreie Kim irgendeinen Blödsinn zu, obwohl sie nur einen Schritt vor mir steht. Das Schreien löst nicht all meine Probleme aber es macht die Kugel in mir ein Stückchen verträglicher.
Wir schreien uns an, wir lachen uns an, bis unsere Stimmen ganz rau sind. Ich habe nicht die leiseste Ahnung wie viel Unterricht wir verpasst haben, aber ich weiß das ich Kim, gerade in diesem Moment über alles liebe.
"Jetzt überlasse ich das Feld mal jemand anderen." sagt Kim, jetzt in einer normalen Lautstärke. Sie blickt hinter mich und winkt. Verwundert drehe ich mich um.
Kenan steht an der Tür der Sporthalle gelehnt da und schaut mich mit einem intensiven Blick an. Er hat seine Arme vor der Brust verschränkt, das Shirt spannt über seine Schultern. Seine Haare sind noch zerzauster als vorhin. Er löst sich von der Tür und kommt langsam auf uns zu geschlendert.
Beim Näherkommen fällt mir die kleine Schramme an seiner rechten Schläfe auf. Ich kneife die Augen zusammen. Er ignoriert meine stumme Frage und kommt zu uns. Er hat seine Arme von der Brust gelöst und jetzt erkenne ich erst das seine rechte Faust feuerrot ist und aufgeplatzt. Erschrocken schnappe ich nach Luft.
"Kenan." hauche ich und bin sofort bei ihm. Vorsichtig nehme ich seine Hand in meine und begutachte sie. Dann schaue ich mir seine blaue Schläfe an. Ich schlucke. Wenn das Raider war..."Da hast du aber ordentlich zugeschlagen." merkt Kim kichern an. Mein Blick schellt zu ihr. Auch sie schaut sich Kenans Hand an. Sie nickt anerkennen. "Mit allem was ich habe." erwidert Kenan rau. Seine Miene wird kurz hart als er auf seine Hand blickt, wird aber sofort wieder weich als er mir in die Augen schaut.
"Was ist passiert?" frage ich, obwohl ich schon ahne was passiert ist. "Kenan hat Raider eine verpasst. " Kim sagt das so nüchtern als wäre nicht viel dabei. Aber es ist viel dabei. Kenan meinte er sei kein Schlägertyp. "Eine ordentlich verpasst." fügt sie hinzu. "Und ich werde die nächste sein." verkündet sie böse grinsend. "Nein." sage ich, will sie festhalten aber sie schlüpft mir davon und außer Reichweite.
"Ich lass euch mal allein" sagt sie und wendet uns den Rücken zu. "Ach übrigens, sieht Raider noch viel übler aus als Kenan also mach dir keinen Kopf!" ruft sie mir über die Schulter zu.
"Hau ab, Kim!" ruft Kenan ihr nach. Kim streckt den Mittelfinger hoch in die Luft und schickt uns einen Luftkuss. Dann ist sie weg.
Ich drehe mich zu Kenan um. "Was ist passiert?" wiederhole ich meine Frage erneut. Kenan schaut zerknirscht zu seiner Hand. Er öffnet und schließt sie. Er schüttelt sie und hebt anschließend die Hand um mir sanft ein paar Strähnen hinters Ohr zu schieben. "Du bist ein schlechter Einfluss, Ever." sagt er nur. Ich schweige und warte auf eine weitere Erläuterung.
"Du bringst die schlechtesten Seiten in mir zum Vorschein." "Was ist passiert?" frage ich noch einmal. Seine braunen Augen finden meine. "Ich habe Raider geschlagen." Er sagt das was ich schon vermutet habe, aber es löst keinerlei Reaktion bei mir aus. Nicht so wie bei der ersten Schlägerei. "Und warum hast du da einen Blauen Fleck?" ich deute auf seine Schläfe. "Naja, Raider hat verdammt gute Reflexe und hat ausgeholt, ich konnte mich nur knapp wegducken. Dann kam auch schon ein Lehrer und hat uns getrennt."
Vorsichtig lege ich meine Fingerspitzen auf seine Schläfe. "Ich dachte du bist kein Schlägertyp." "Bin ich auch nicht, aber..." Er seufzt schwer und lässt seine Hand sinken. "wenn es irgendwie um dich geht, geht mein Beschützerinstinkt bei mir durch." "Ich brauche keinen der mich Beschütz." sage ich automatisch. Kenan verdreht die Augen. "Ich weiß. Glaub mir, das weiß ich aber manchmal ist es wichtig Hilfe anzunehmen oder manchmal schafft man es gerade nicht sich selbst zu beschützen und da braucht man jemanden der kurz einspringt. Du würdest doch mich auch beschützen oder?" "Immer." kommt es wie aus der Pistole geschossen aus mir heraus.
Kenan lächelt sanft. Aber sein Blick wandert von meinem Gesicht zu meinen Schultern und Oberarmen. Das Lächeln verschwindet. Sanft nimmt er meinen Oberarm in seine Hand. "Was...was ist hier passiert?" fragt er mit fast brüchiger Stimme. Jetzt bin ich es die sich unter seinem Blick windet. Ich will ihm das nicht sagen, ihm nicht meine Schwäche gestehen. Aber er schaut mich mit so einer Offenheit an das es mir fast die Beine wegklappt.
Ich sehe Vertrauen in seinen Augen und eine solche Wärme, dass ich den Mund öffne und anfange zu reden.
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The Difference
Teen FictionEverleigh und Kenan. Zwei Verschiedene Charaktere. Zwei verschiedene Menschen. Sie wollte das alles nicht. Er hat das alles herbeigerufen. Sie hatte Angst. Er nahm sie ihr. Er und Sie Ein Thema das jeden von uns etwas angeht. Eine fiktive Gesc...