Teil 19

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Die Wahrheit ist unangenehm und manchmal sogar hässlich

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"Mein Dad ist kein böser Mensch." fange ich zögernd an. Wir sitzen am Straßenrand, ich habe meine Beine von mir ausgestreckt während Kenan seine Beine angezogen hat. "Das sind viele nicht, die im selbem...umkreis sind." Ich habe den Blick auf meine Finger gesenkt. "Sie waren alle nett und aufgeschlossen zu mir und meinem Dad als wir...nach dem Vorfall. " Ein Kloß bildet sich in meinem Hals bei den Gedanken an meine Mum.

"Was für ein Vorfall?" fragt Kenan leise. Meine Finger krampfen ineinander, ich halte den Blick weiter nach unten gerichtet und schlucke. "Meine Mum kam bei einem Attentat ums Leben. Das war vor ungefähr 10 Jahren, als ein Verrückter, von einer Terrororganisation, in einem Supermarkt um sich geschossen hat Er...ist einfach die Gänge entlanggelaufen und hat jeden der im Entgegengekommen ist erschossen. Er hat...sowohl Kinder als auch Erwachsene einfach...erschossen." Meine Stimme droht mich zu ersticken. Ich japse auf um mehr Luft in meine Lungen zu bekommen. "Sie...sie wollte nur einkaufen. Sie wollte...sie." Meine Stimme versagt.

Tränen drücken gegen meine Lider. Ich habe lange nicht mehr bei dem Gedanken an meine Mum geweint, denn ich habe damit abgeschlossen, dass sie tot ist. Aber ich kann nicht damit abschließen wie sie gestorben ist. Sie wurde ermordet. Weil sie einkaufen gegangen war.

Plötzlich spüre ich eine warme Hand an meinen verkrampften Fingern. Ich schaue auf. Kenan ist näher gerückt, er schaut auf die Straße. Sein Kiefer ist fest aufeinandergepresst. Seine Finger lösen meine verknoteten Hände auf, ich lasse es geschehen, warte ab was passiert. Mein Hald kratz von den ungeweinten Tränen. Kenan verflechtet meine Hand mit seiner und drückt sie sanft. Die Wärme die von seiner Haut ausgeht beruhigt mich. Sie macht den Kloß in meinem Hals ein wenig kleiner.

"Und nach dem Attentat, wurde mein Vater immer mehr von einer Wut erfasst die ich damals nicht begreifen konnte. Er flüchtete sich zu denen die ihn unterstützen und seine Wut anfeuerten." "Und so seid ihr in diese Kreise geraten?" fragt Kenan leise ohne meine Hand loszulassen. "Ja. Aber...die Menschen sind nicht alle...""...böse? " fällt mir Kenan ins Wort. "Das ist nur schwer verständlich, schließlich sind es genau die, die mich anders behandeln als dich, nur weil ich ein bisschen dunkler bin. Ich bin in diesem Land hier geboren und trotzdem werde ich so behandelt als sei ich ein Eindringling."

Bei seinen Worten läuft es mir kalt den Rücken runter. Ich möchte meine Hand aus seiner Ziehen aber er hält sie fest. "Ever, ich meine das nicht angreifend. Aber das sind nun mal die Fakten." "Kenan..." Ich ziehe erneut an meiner Hand, er lässt nicht locker. Kenan zieht an meiner Hand bis ich ihm gegenübersitze und ihn anschauen muss. Sein eindringlicher Blick gilt meinen Augen. Trotzig starre ich zurück. "Ich kenne die Fakten aber es ist nicht alles schwarz und weiß! Ich bin so aufgewachsen, so erzogen worden, das ist meine Familie, das ist alles was ich kenne und...habe. "

Kenan stößt spöttisch die Luft aus. "Bist du der Meinung ich sollte aus dem Land hier rausgeschmissen werden? Das ich an all dem Unglück der Welt schuld bin? Würdest du mich einen Mörder nennen?" Bei dem Gedanken daran wird mir schlecht. "Nein." "Da hast du es. Du bist anders, Ever. Du vertrittst ihre Meinung nicht, sonst wärst du nicht hier...bei mir. " Ich senke die Lider, nicht imstande ihn weiter ins Gesicht zu schauen aber Kenan hebt mein Kinn mit seinem Finger hoch. In seinen Augen erkenne ich Wut, Verzweiflung und Biss. Er tritt für seine Meinung ein, auch wenn es unangenehm wird.

"Everleigh. Du musst nicht so sein. " Er flüstert mit einer so unendlichen zarten Stimme das er damit das Gedanken Karussell in meinem Kopf noch weiter anstößt. "Du verstehst nicht." Stoße ich hervor. Will mich von ihm wegdrehen und einkapseln. Die Welt ausschließen. "Mein Dad ist meine Familie, er ist alles was ich noch habe. Und seine Freunde sind seine Familie also auch meine. Sie haben uns geholfen, meinen Dad unterstützt und mir aus der Trauer geholfen. " Bei meinen Worten verändert sich etwas in Kenans Gesicht. Er sieht erschöpft aus. Abgekämpft. Als habe er alles versucht mich umzustimmen aber es letztendlich nicht geschafft. Dabei hat er mehr in mir drin ausgelöst als er denkt.

"Behalte einfach meine Worte im Kopf, Ever. Okay? Denk darüber nach und komm jederzeit zu mir, wenn du reden willst." Er flüstert die Worte, kommt meinem Gesicht näher. Er streicht mit einer Hand mir an der Schläfe entlang. Sein Gesicht ist so nah das ich seine Wimpern ganz deutlich sehen kann. Seine Iris ist fast schwarz, so nah ist er mir. Oh Schreck will er mich etwa küssen? Mein Puls schießt nach oben, meine Atmung wird schneller. Seine Lippen nähern sich meinem Gesicht. Er drückt mir seine Lippen auf die Wange und mir entkommt ein Seufzer. Der sowohl Erleichterung als auch Enttäuschung ausdrücken soll.

Kenan weicht zurück und mustert mich kurz. Nachdenklich zieht er die Augenbrauen zusammen. Er schaut mich so intensiv an als wolle er meine Gedanken lesen und analysieren. Schnell erhebe ich mich, klopfe mir den Dreck von meinen Klamotten. "Komm jetzt, die anderen Fragen sich bestimmt schon wo wir bleiben." Ohne auf ihn zu warten gehe ich schon los.

"Ever!" ruft mir Kenan nach. Im Laufen drehe ich mich zu ihm um. Er hockt nach wie vor auf der Straße und lächelt mir zu. "Es ist nicht schlimm sich der Norm der Familie zu widersetzten!"

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"Hey." Ich drehe meinen Kopf und sehe wie Eric den Kopf in mein Zimmer steckt. Ich lächle. "Hi was gibt's?" frage ich und drehe mich ganz zu ihm um. Ich liege gerade in meinem Bett und schaue über meinen Laptop Netflix. Eric kommt nun ganz ins Zimmer und schließt die Tür hinter sich.

"Du warst gestern ziemlich lange weg..." sagt Eric. Ich rolle mit den Augen und wende mich wieder meinem Laptop zu. "Ich war bei Kim. Wir Mädels haben halt viel zu quatschen. Habe die Zeit aus den Augen verloren." Lüge ich ihn an. 

Bei der Erinnerung an gestern breitet sich ein nervöses kribbeln in mir aus. Nach dem Aufklärenden Gespräch wurde der Abend noch richtig schön. Wir saßen mit Kenans Mutter noch beisammen, haben gelacht und geredet. Später wurden Gitarren ausgepackt und am Lagerfeuer gesungen. Kenan ist die ganze Zeit nicht von meiner Seite gewichen. Ab und an hat er nach meiner Handgegriffen und jedes Mal schickte diese Berührung tausend von kleinen Elektronen durch meinen Körper die mein Blut zum pulsieren brachten.

"Wer ist den Kim? Dein Dad hat sie erwähnt, aber du hast noch nie zuvor von ihr geredet." Eric kratz sich am Kinn. "Sie ist bei mir in der Schule. Ich erzähle dir ja auch sonst nicht viel aus der Schule oder?" Noch immer schaue ich auf meinen Laptop damit er mir meine Lügen nicht im Gesicht ablesen kann. "Ja...stimmt. Wann lernen wir sie mal kennen, diese Kim?" Als er ihren Namen ausspricht klingt er spöttisch, als würde er mir nicht glauben das es Kim wirklich gibt.

"Wenn es nach mir geht, gar nicht." Um mich abzulenken beginne ich Netflix zu schließen und auf Pinterest irgendwas mir anzuschauen. "Erzähl mir was über Kim. Wie sieht sie aus? Wie tickt sie so?" Eric kommt weiter ins Zimmer. Ich verkrampfe mich und starre weiter auf meinen Bildschirm obwohl ich nicht wahrnehme was zu sehen ist. Ich weiß was Eric eigentlich wissen will. Ob Kim genauso tickt wie wir. Ob Kim einen Migration Hintergrund hat. Ob Kim eine ähnlich politische Einstellung besitzt. Ob Kim ein guter Umgang für mich ist. Ich seufze auf.

"Erzähl mir was über Kim." Eric berührt meinen Fuß, das Bett sinkt nach unten. Eric hat sich auf mein Bett gesetzt. Ruckartig drehe ich mich um, ziehe meine Beine ein und setzte mich aufrechter hin. "Kim ist korrekt. Sie trägt Bunte Haare, hat einen cooler Klamottenstil, sie ist hübsch und cool drauf. Ich mag sie. Mehr muss dich nicht interessieren." Ich antworte patziger als das ich es wollte. Diesmal lüge ich nicht. Es stimmt. Ich mag Kim, ihren Style, ihr Auftreten, ihre Art zu denken und zu handeln, auch wenn ich sie ständig wegschubse.

"Dann nimm sie doch mal zu uns mit. Wir treffen uns am Freitag wieder im Wald. Vanessa hat nach dir gefragt, du solltest also kommen. " Eric stütz sich auf meinem Bett ab und kommt mir näher. Angespannt schaue ich ihm ins Gesicht. "Mal schauen." Alles schreit in mir nein zu sagen. Alles in mir schreit Eric meine Meinung zu sagen. Alles schreit in mir endlich wieder Atmen zu können aber ich schweige. 

Ich schlucke die Schreie runter, behalte sie in mir, denn sobald die Schreie raus kommen wird meine Welt aus den Fugen geraten. 

The DifferenceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt