Teil 44

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Es tut mir leid, dass ich nicht so bin, wie du es gerne hättest.

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Dieses Gefühl. Dieses Gefühl das dich plötzlich überkommt und dich aufzufressen droht. Dieses Gefühl treibt die dir Tränen in die Augen und lässt dich wieder ein Kind sein.

Ich stehe mit genau diesem Gefühl vor einem riesigen Feuerhaufen, um mich herum wird gegrölt, gelacht und gesungen. Ich stehe mitten in diesem Haufen von Menschen und wünsche mir genau den Menschen herbei, für den es Unmöglich ist her zu kommen. Ich vermisse meine Mum ungemein aber ich komme mit ihrem Tod klar. Ich habe es verarbeitet und weiß das sie im Himmel gut aufgehoben ist. Nur weil ich nicht mehr voller Trauer bin, oder nicht immer jede Sekunde an sie denke, heißt das nicht das ich sie vergessen habe. Besonders an Tagen wo es schwer für mich ist, ich zu sein, vermisse ich sie ganz besonders.

Aber jetzt, genau in diesem Moment wünsche ich mir nicht meine Mutter herbei, sondern jemand anderen. Jemand der hier niemals akzeptiert werden würden, jemand mit warmen braunen Augen und einem noch wärmeren Herz.

Ich ziehe aus meiner Hosentasche mein Handy und schaue drauf. Keine Nachricht. Ich packe es wieder weg und schaue mich um.

Eric steht mit ein paar aus unserem Alter in der Nähe des Feuers. Unter ihnen erkenne ich auch Vanessa und Monroe. Sie lachen und haben Spaß.

Das Lagerfeuer ist riesig, drum herum stehen Gruppen von Menschen, kleine Kinder rennen rum, es gibt was zu Essen und keiner Interessiert sich für die Schaulustigen am Rande der Wiese. Hier ist es so laut das es die ganze Stadt her zieht. Polizisten stehen am Rand und beobachten alles, beobachten uns.

"Ever!" ruft Eric mich. Er steht zwischen Monroe und noch einem Jungen den ich nur vom Sehen kenne. Langsam bewege ich mich auf die Gruppe zu. Sobald ich in Greifnähe bin legt Eric schon einen Arm um mich und zieht mich an seine Seite. Bei seinen Stimmungsschwankungen bekomme ich noch ein Hirnschädeltrauma. Er ignoriert mich, zieht mich an sich, verpetzt mich, droht mir, ist arschig zu mir aber dann verteidigt er mich, rettet mich aus unangenehmen Situationen. Es ist verwirrend und absolut anstrengend.

"Bist du an dem Wochenende dabei, Ever?" fragt mich Vanessa mit einem strahlen im Gesicht. Sie hat zwei rote Flecken im Gesicht und ihre Augen glänzen. Sie ist betrunken. "Welches Wochenende?" Egal was sie jetzt sagt, ich bin an dem Tag verplant. "Wir wollen etwas geheimes machen." flüstert sie mir laut zu. Das Mädchen neben mir, beginnt zu kichern und boxt Vanessa in die Seite. "V, sei leise." wispert sie kichernd. Verwirrt schaue ich die anderen an. Monroe nippt an seinem Bier und schaut mich eindringlich an. Ich wende den Blick ab und schaue zu den anderen in der Gruppe. "Vanessa, redet nur dummes Zeug." meint jetzt auch Eric und drückt meine Schulter.

"Warum darf es Ever nicht erfahren? Sie wäre sicher total begeistert." Mit großen Augen schaut sie sich in der Runde um. Jeder weicht ihren fragenden Blick aus und mit jeder Minute in der weiter geschwiegen wird, fühle ich mich noch mehr wie ein Außenseiter.

"Man V." meckert ihre Freundin. Sie legt einen Arm um Vanessa und sie stecken die Köpfe zusammen. Peinliches Schweigen folgt. Keiner redet und alle schauen sich nur an. Das ist mir echt zu doof. "Ich gehe mir mal was zu trinken holen." murmle ich leise in die Runde und löse mich von Eric. Ohne jemanden anzuschauen entferne ich mich von der Gruppe und steuere den Tisch mit den Getränken an.

Es gibt nicht viel Auswahl. Bier, Cola und Wasser. Seufzend nehme ich mir eine Wasserflasche und trinke einen Schluck. Dann lehne ich mich gegen den Tisch und schaue mich auf dem Platz erneut um.

Die Zuschauer am Rand, werden immer mehr. Sie musterten uns unter Argusaugen. Unter ihnen sind viele Junge Leute die nur Verständnislos und Verärgert zu uns schauen. Sie stehen nur etwa 100 Meter von mir entfernt und trotzdem trennen uns viel mehr als den auf den ersten Blick den Anschein hat.

Unter der Menge am Rand fällt mir ein kleiner Junge auf. Ich verkrampfe mich als dieser näher an den Zaun tritt und mit großen Augen das Gelände absucht. Ich verkrampfe mich noch mehr als ein Wind aufkommt und ihn seine Haare aus dem Gesicht fliegen. Marlon. Der kleine Bruder von Kenan.

Mir weicht jegliche Farbe aus dem Gesicht. Meine Finger krampfen sich um die Wasserflasche zusammen. Wie gebannt beobachte ich ihn weiter. Kenan scheint nicht in der Nähe zu sein.

Marlon schaut von den Polizisten bis zu Erics Gruppe. Er will weiter vortreten aber eine Frau hält ihn an den Schultern fest und schüttelt den Kopf. Sie deutet auf uns und sagt etwas zu Marlon. Dieser nickt und bleibt dann brav stehen.

Ich habe mich immer noch nicht von meinem Platz wegbewegt, ich kann es nicht. Dann fällt Marlons Blick zu mir. Erst streifen seine Augen mich nur aber sein Blick kehr wieder zu mir zurück. Ich halte den Atem an und warte bis was passiert. Ich sollte mich wegdrehen, so tun als habe ich ihn nicht gesehen, als würden wir uns nicht kennen. Ich sollte irgendwas machen aber nicht wie eine Blöde dastehen und ihn anstarren.

Da erhellt sich Marlons Gesicht. Scheiße. Ein Lächeln breitet sich auf seinen Lippen aus. Er hebt die Hand und winkt mir zu. Da ich mich wie überfahren fühle hebe ich nur ganz kurz die Hand und winke ihm verkrampft zu. Ich sehe wie er der Frau neben sich erklärt wem er da eben zugewunken hat. Jetzt schießt röte in mein blasses Gesicht. Die Frau verzieht das Gesicht und schaut mich wütend an. Hilfe.

Bevor Marlon noch mal winken kann, oder gar rufen kann wird er zurückgezogen. Automatisch mache ich einen Schritt vor. Doch sobald ich erkenne wer ihn da zurückzieht, sackt erst mein Herz so richtig in die bodenlose Tiefe.

Warme braune Augen finden meine blauen. Ich sehe wie Marlon mit Kenan spricht, höre aber nichts. Ich sehe wie Kenan sich verkrampft und etwas zu Marlon sagt. Dieser schaut noch einmal zu mir, bevor er zwischen den Menschen verschwindet.

Kenan bleibt. Sein Blick liegt auf mir. So undurchdringlich das ich nicht weiß was er gerade denkt. Auch ich rühre mich nicht von der Stelle. Ich kann nicht. Ich will zu ihm. Mich erklären. Mit ihm gehen. Mich verdammt nochmal in den Arm nehmen lassen. Aber ich bleibe stehen.

"Hey Ever!" ruft Eric laut von hinten. Kaum ist mein Name verhallt liegt auch schon sein Arm um meine Schultern. Er drückt mich an sich. Drückt mir einen Kuss auf die Stirn. Sein Griff ist so fest das ich es nicht schaffe zurückzuweichen.

Eric scheint meine Starre nicht ungewöhnlich zu finden, er grinst von einem Ohr zum anderen. "Wen starrst du so an?" fragt er mich im Flüsterton. Schnell schaue ich von Kenan weg. "Keinen." murre ich. "Lügnerin." knurrt Eric dicht an meinem Ohr. Ich rieche das Bier und den Rauch.

Kurz wage ich es erneut zu Kenan zu schauen, doch bereue es augenblicklich. Sein Blick, mit dem er mich bedacht, zerreißt mir das Herz. Ich will mich schon von Eric los machen und zu ihm gehen als Kenan sich umdreht und durch die Menge verschwindet. Mein Herz, das bereits am Boden liegt bekommt einen Knacks. Autsch.

"Du hast diesen Jungen angestarrt. Habe ich recht?" Erics Stimme ist so nah das ich erschaudere. Aber nicht aus Wohlwollen, sondern aus Ekel. "Lass mich." Ich kämpfe gegen seinen Griff aber er wird nur noch stärker. "Vögelst du ihn?" Bohrt Eric weiter nach. "Ich...ich weiß gar nicht von wem du redest!" fauche ich.

"Wen hast du angestarrt?" "Niemanden! Ich habe einfach in die Ferne geschaut! Mein Gott bist du Paranoid oder was?" Fast verschlucke ich mich an meiner eigenen Lüge aber ich beiße die Zähne zusammen. Eric Griff lockert sich ein wenig. Sein Mund ist immer noch viel zu nah an meinem Gesicht. "Was habt ihr an dem geheimen Wochenende vor?" lenke ich ab.

Aus dem Augenwinkel sehe ich wie Erics Augen mich beobachten. Er grinst verschmitzt. "Das geht dich nichts an." "Und was ist, wenn ich mitmachen will?" Will ich nicht, aber ich will wissen was sie vorhaben. Kurz schweigt Eric. Als würde meine Aussage alles ändern.

"Du willst?" fragt er ungläubig. Ich zucke mit den Schultern. "Was ist es denn?" Hoffentlich verrenne ich mich nicht gleich in etwas aus dem ich den Weg nicht mehr hinaus finde.

"Etwas das gleichzeitig Spaß macht und nebenbei auch noch einen guten Zweck erfüllt." "Klingt Verlockend." presse ich zwischen zusammengepressten Lippen hervor. "Jetzt bist du auf einem guten Weg, Ever." murmelt Eric und küsst mich auf die Wange. Ich brauche meine komplette Konzentration um nicht zusammenzuzucken.

Ich zwinge mich zum Lächeln. "Wollen wir zurück zu den anderen?" sage ich. Ich möchte nicht länger als unbedingt nötig mit Eric allein sein, wenn er getrunken hat. "Ja klar." 

The DifferenceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt