Die Angst steht im Kontrast zum Wunsch.
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"Na schön." Kenan atmet tief aus. "Komm mit." Er steht auf und nimmt mir das Tablett mit den kalten Pommes weg. Überrascht schaue ich auf. "Komm mit." sagt er nun drängender. Er streckt mir seine Hand hin. "Wohin gehen wir?" frage ich spöttisch und überspiele meine Kränkung. "Komm. Mit." wiederholt er sich, er wedelt mit seiner Hand. Ein letzter skeptischer Blick auf seine große Hand bevor ich ohne sie anzunehmen aufstehe.
Kenan trägt beide Tabletts nach vorne zur Abgabe, immer wieder wirft er einen Blick über seine Schulter um sich zu vergewissern das ich ihm folge. Ich tue es, wenn auch mit viel Abstand und mit noch mehr Argwohn.
Kenan geht aus der Cafeteria, über den Flur hinaus zur Eingangshalle. In der Tür bleibe ich dann schließlich stehen und warte auf seinen Kontrollblick. Es ist schon fast niedlich wie oft er sich vergewissern will das ich ihm noch folge. Als er mich stehen sieht bleibt auch er stehen. "Komm mit." sagt er nur. Ich schüttle den Kopf und deute mit dem Daumen hinter mich. "Ich habe noch Unterricht. Mindestens noch 3 Stunden." Kenan wischt mit seiner Hand durch die Luft. "Wir schwänzen." "Kenan...""Ever..." macht er mich nach, mit so einer albernden hohen Stimme das ich mir auf die Zunge beißen muss um nicht zu lächeln.
"Du hast doch schon mal geschwänzt...oder?" Ich zögere. Er kommt zwei Schritte näher zu mir. Seine dichten Augenbrauen sind zusammengezogen. "Everleigh...hast du etwa noch nie geschwänzt?" Mit gespielter Empörung öffnet er seinen Mund weit und schlägt die Hand vor seine Lippen. "Natürlich du Blödmann, aber ich hatte immer einen triftigen Grund dazu." Noch immer stehe ich zwischen den Türen. Hin und her gerissen ob ich ihm folgen soll oder nicht.
Kenan kommt noch einen Schritt näher. Jetzt ist er fast so nah das ich ihn mit ausgestreckter Hand berühren könnte. Wenn ich das will. Tue ich aber nicht.
"Es gibt einen triftigen Grund." behauptet Kenan. Ich ziehe spöttisch meinen Mundwinkel nach oben und mustere ihn übertrieben skeptisch. "Ach ja? Welchen?" Auf Kenans Lippen breitet sich ein dezentes Lächeln aus. "Den verrate ich dir nicht aber ich kann dir Versprechen er ist gut. Jetzt komm." Er streckt erneut seine Hand nach mir aus. Auffordern wedelt er damit in der Luft. Ich muss den Kopf schütteln und mir auf die Backe beißen. Ich sollte zurück in den Unterricht gehen. Ich sollte Kenan vor den Kopf stoßen und nie wieder mit ihm reden. Ich sollte Kim in Ruhe lassen und einfach für mich bleiben. Ich sollte so vieles.
Dieses große sollte, dass mir auf die Brust drückt lasse ich mit einem tiefen Atemzug einfach raus, als ich mich von der Tür löse und ohne seine Hand zu nehmen voraus gehe.
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"Kenan ich kann nicht mehr." keuche ich völlig außer Atem. "Es ist nicht mehr weit nur noch ein kleines Stück." verspricht der Blödmann. Kenan ist bereits gute 100 Meter vor mir. Wir befinden uns mitten im grünen auf dem Weg einen Berg hoch.
Um uns herum befinden sich Bäume und Wiesen. Vorhin habe ich sogar eine Ziege gesehen. Kenan treibt uns immer weiter vor. Für mich fühlt es sich so an als seien wir schon Stunden unterwegs und der Weg würde niemals ein Ende nehmen dabei sind wir wahrscheinlich gerade mal 20 Minuten unterwegs. "Wie lang noch?" rufe ich ihm hinterher. Ich schwitze und meine Beine tun bereits weh.
Ich bereue mit jeder Faser meines Körpers auf ihn gehört zu haben. Ich laufe fluchend weiter den Hang hinauf bis ich auf eine gerade Fläche ankomme und Kenan suche.
"Kenan?" rufe ich. Um mich herum sind Büsche, Bäume und Feld. Ich habe eine wirklich gute Aussicht auf unsere kleine Stadt die unten am Berg liegt. Von hier oben sieht alles ganz klein und weit weg aus. Ich schließe kurz meine Augen um mich der Ruhe um mich herum bewusst zu werden. "Ever! Hier drüben." Ich verziehe meine Lippen und schnaufe aus. Mit einer Kopfdrehung schaue ich zu ihm. Kenan kommt hinter ganz vielen Büschen und Bäumen heraus.
"Komm mit." Er winkt mich zu sich. In seinen Augen sehe ich das kindliche Funkeln von Aufregung.
Lächelnd folge ich ihm durch das Gebüsch, bis wir auf eine Lichtung kommen und es mir den Atem verschlägt.
Vor uns errichtet sich eine große alte Kirche. Oder besser gesagt die Überreste einer Kirche. Die Sonne scheint von oben herab und verleiht dem Verlassenen Gebäude etwas Unwirkliches. Staunend gehe ich näher ran. Die Kirche steht nur noch zu Hälfte, das Dach ist komplett weg. Man kann nur noch erahnen wo der Eingang war und wie das Dach ausgesehen haben mochte.
Dornenranken und Efeu schlängeln sich an den Steinen nach oben. Sie wuchern die alte, zerfallene Kirche komplett ein. Ich muss den Kopf hochlegen damit ich das Ende sehen kann. Die Mauern verlaufen nach oben hin spitz zu, auf der Rückseite sieht man noch die schönen ausgehölten Verzierungen der Fenster. Metall und Stein formen wunderschöne leere Fenster. Ein Kreuz ist zu sehen. Geschwungene Bögen und kreisrunde Löcher.
Mit hoch gelegtem Kopf gehe ich weiter auf das alte Gemäuer zu. Kenan höre ich nur noch im Hintergrund. Ich achte kaum auf den Boden, trample alles nieder und gehe durch den Torbogen in das Innere des Gebäudes. Drinnen erwartet mich viel Grün. Alles ist überwuchert, die Bodenplatten wurden zum Teil herausgerissen, an den Wänden stehen mit gesprayter Farbe irgendwelche Sätze, der Putz bröckelt von den Wänden, der Boden ist voller Steine, Teile von Kirchenbänken und anderen Restmüll. Vor den Wänden auf den Boden erkenne ich noch Überreste von bunten Glassplittern. Ich weiß nicht wo ich zuerst hinsehen soll.
"Atemberaubend, nicht?" Kenan kommt durch den Torbogen und grinst mich breit an. Ich grinse genauso breit zurück. "Das ist der Wahnsinn. Woher...woher kennst du das hier?" frage ich immer noch staunend. "Ich habe das beim Wandern entdeckt. " Kenan kratz sich am Kinn und schaut an mir vorbei. Ich folge seinem Blick. "Kann man...?" Ich lasse die Frage offen und schaue zu ihm. Kenan verzieht das Gesicht zum Grinsen und nickt. "Man kann." Er geht an mir vorbei zu der alten Wendeltreppe die nach oben führt.
Vorsichtig folge ich ihm hinauf. Mit jedem Schritt sehe ich uns schon herunterfallen. Mit jedem Schritt beginnt mein Herz schneller zu klopfen und mein Puls zu rasen.
Endlich oben angekommen kann ich kaum Atmen. Der Wind zerrt an meinen Klamotten. Wir befinden uns auf einem kleinen Depot weit oben. Es ist maximal 2 Meter breit und 3 Meter lang. Ich lasse meinen Blick nach unten wandern und keuche auf. Fuck ist das hoch. Mir wird leicht schwindelig und ich muss mich setzten. Vorsichtig lasse ich mich auf den Hintern sinken und strecke meine Beine über den Abgrund. Kenan folgt meinem Beispiel nur mit mehr Eleganz.
Von hier oben erblickt man nicht nur unsere kleine Stadt, sondern auch alles drum herum. Ich kann weit hinausschauen. Von hier oben sieht alles winzig aus. Zufrieden lehne ich mich auf meine Arme zurück und blinzle gegen die Sonne zu Kenan.
Dieser Sitz im Schneidersitz neben mir und starrt hinaus. Die Sonne lässt seine Haare heller wirken. Er sieht aus als sei er von der Sonne geküsst.
"Jetzt erzähl mir von den Gerüchten." bittet Kenan in die Stille und ruiniert damit nicht nur meine Stimmung, sondern auch die kleine Hoffnung die ich hatte. Hoffnung einen kleinen Moment dem Alltag entfliehen zu können.
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The Difference
Ficção AdolescenteEverleigh und Kenan. Zwei Verschiedene Charaktere. Zwei verschiedene Menschen. Sie wollte das alles nicht. Er hat das alles herbeigerufen. Sie hatte Angst. Er nahm sie ihr. Er und Sie Ein Thema das jeden von uns etwas angeht. Eine fiktive Gesc...