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Die ganze Fahrt über hielt ich mein Handy in der Hand, starrte abwechselnd aus dem Fenster und auf das Display, das mir nicht weiterhelfen wollte. Spürte das Brennen meines Unterarmes und meiner Augen, wenn ich an Riley und die Kälte in ihrem Blick dachte. Ich hatte einen Fehler gemacht. Und nun musste ich lernen, damit zu leben. Wie mit vielen anderen Dingen.

Zum Beispiel damit, dass Riley zu schlecht geschwommen war, um ihre Wild Card zu bekommen. Das erfuhr ich von Lionel, als er nach Sylvester wieder ins Wohnheim zurückkehrte.

„Keine Ahnung, wie das sein kann. Sie war noch nie so mies. Der Coach meint, sie sei vielleicht schon angeschlagen gewesen."

„Angeschlagen?"

„Ja, sie war erkältet. Richtig böse. Sie hat jetzt auch noch zwei Wochen Trainingssperre. Der Coach will nicht, dass die Erkältung aufs Herz geht. Riley ohne Sport ist unerträglich, sag ich dir. So eine Laune hatte sie noch nie. Bin echt froh, dass ich fahren konnte. Noch drei Tage und ich hätte sie umgebracht!"

Nicht meine Schuld. Nicht nur. Trotzdem bohrten sich die fiesen Splitter tiefer in mein Herz, wenn ich an ihre Enttäuschung dachte. Sie hatte eine einzigartige Chance unverwertet gelassen und der Wunsch sie in den Arm zu nehmen, ihre Tränen wegzuküssen und sie nie mehr loszulassen, wütete wie ein wildes Tier in mir.

„Also, was steht heute Abend an?", fragte Lio dann übergangslos.

„Nichts. Lernen. Ich hab noch ne Menge aufzuholen."

„Okay, was ist mit Chad?", erkundigte er sich dann.

„Ist duschen. Frag ihn selber. Keine Ahnung, was er vorhat." Demonstrativ wendete ich mich meinem Buch zu, signalisierte damit, dass die Unterhaltung beendet war.

Bis zu den nächsten Semesterferien verschwand ich unter einem Stein. Ich blinzelte nur gelegentlich in die Sonne, wenn ich den Eindruck hatte, vollkommen untervögelt zu sein. Dann ging ich mit den Jungs feiern, schleppte irgendeine mehr oder weniger hübsche Studentin ab und nahm am nächsten Morgen zwei Aspirin, spülte meinen Selbstekel in der Dusche ab und vergrub mich wieder zwischen den Büchern. Hin und wieder ging ich in den Fitnessraum und ich schrieb mich an einer der MA-Schulen in der Nähe des Campus ein. Einer der seltsamen Nebeneffekte, die das Zusammentreffen mit meiner Schwester gehabt hatte. Ich hatte festgestellt, dass mir das knallharte Training fehlte.

Chad war von der Entwicklung nicht ganz so begeistert. Aber mir tat es gut, mich dreimal in der Woche richtig auszupowern, bis meine Muskeln zitterten und mir jeder Teil meines Körpers mit intensivem Muskelkater mitteilte, dass ich am Leben war.

Gemeinsam mit Lio fuhr ich in den Semesterferien nach Hause. Eine Nacht verbrachte ich bei meiner Mum, dann stieg ich auf meine lahme Krücke, die ich früher als Motorrad bezeichnet hatte und fuhr nach Alabama, um meine Schulden abzutragen. Mum war dagegen, dass ich die ganze Strecke auf dem Motorrad zurücklegen wollte. Dabei waren für die „ganze Strecke" unter dreihundert Meilen zu fahren. Kein Katzensprung, aber absolut machbar. Selbst mit meinem untermotorisierten Teenie-Bike. Weil ich nicht weiter rumstreiten wollte, ließ ich mich auf einen Kompromiss ein und versprach, mein Glück nicht herauszufordern, wie sie es sagte, sondern viele Pausen einzuplanen und die Nacht in einem Motel zu verbringen.

Ich fand das albern. Dreihundert Kilometer waren nun wirklich keine Weltreise. Doch am Ende gab ich ihr recht, auch wenn ich das nie laut sagen würde. Zwischen dreihundert Kilometern auf einem Motorrad oder in einem gemütlichen Auto sitzend, bestand ein gravierender Unterschied, schon allein, was die Konzentration anging.

Außerdem hatte die Pause noch einen Vorteil: ich konnte in Ruhe duschen und mich gründlich ausschlafen, bevor ich meinem Chef gegenübertreten würde. Dem Mann, der das Motorrad gebaut hatte. Das Motorrad, um das sich augenblicklich wieder meine ganze Welt drehte und auf Grund dessen ich mit kribbeliger Energie gefüllt war.

Finally - Falling for you Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt