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Miles weckte mich um halb eins. Wenn mir wirklich etwas passiert wäre, dann hätte er es erst jetzt bemerkt und hätte sich das wohlmöglich nie verziehen. Stürmisch umarmte ich ihn.

„Was willst du jetzt wieder von mir?" Skeptisch musterte er mich.

„Nichts. Ist nur, weil ich dich liebhabe."

„Okay, na dann. Mum und Dad haben heute Morgen angerufen, um Bescheid zu geben, dass sie Sonntagabend erst zurückkommen, wenn es für uns okay ist. Sie würden nach der Tagung noch eine Nacht in diesem National Park verbringen. Ich hab gesagt, das geht klar."

Und wie das klar ging!

„Ich hab Samstag ein Date", platzte es aus mir heraus. „Mit Justin. Wir gehen zum Sommerfest."

Miles grinste. „Die Raupe wird ein Schmetterling, hm? Justin ist echt ein netter Kerl. Willst du Rühreier zum Frühstück?"

„Ja, gerne. Ich geh schnell duschen, ja?"

„Gute Idee. Du riechst penetrant nach Lagerfeuer."

Überrumpelt sah ich ihn an. An den durchdringenden Rauchgeruch hatte ich nicht gedacht.

„Ist schon okay. Schau nicht so. Sag das nächste Mal nur Bescheid, ja? Ich will nicht, dass du allein in der Nacht draußen herumfährst."

„Mit der Ansicht bist du nicht alleine. Dawson hat das gleiche gesagt."

„Dawson?"

„Er ist mit Hillary zusammen und war gestern auch am See."

„Hillary Swan? Der Glückliche!", brummte Miles. „Das ist so ungerecht, dass die größten Ärsche immer die geilsten Schnecken abkriegen!"

„Hör auf zu sabbern, das ist ekelhaft, Miles!" Ich schlug ihm auf den Oberarm.

Der Freitag verging schleppend. Ich war müde und die Hausarbeit, die Miles und ich zu erledigen hatten, ging mir nur mühsam von der Hand. Ich hatte beim Bügeln immer wieder das Gefühl, mehr Falten im Stoff zu hinterlassen, als zuvor darin gewesen waren.

Am Abend kochte Miles für uns Nudeln mit seiner Spezialsoße mit Meeresfrüchten. Auf meine Bitte hin aber ohne Knoblauch. Er lächelte verstehend. Dafür gab es extra viel frisch geriebenen Parmesan. Nach dem Essen setzten wir uns auf die Terrasse und spielten Karten, bis es fast Mitternacht war. Ich liebte diese Abende mit meinem Bruder allein zu Hause. Dass sie in ein paar Wochen vorbei sein würden, wenn er aufs College ging, das wollte nicht in meinen Kopf.

Müde fiel ich ins Bett und schlief, bis mich mein Wecker um halb neun weckte, damit ich meine Schicht im Wachturm nicht verpasste. Gemeinsam mit Miles radelte ich zum See. Er sonnte sich und ich starrte über den See, wie ich es immer machte. Bis elf war es samstags recht ruhig, aber nach und nach trafen mehr Badegäste ein. Um zehn nach elf kletterte Marcus die Leiter hoch.

„Du bist zu spät", erklärte ich dem Dunkelhaarigen.

„Auch einen guten Morgen, Riley", sagte er freundlich und setzte sich.

„Jaja, auch so!", knurrte ich und starrte nach unten. Mehr als Marcus und seine Unpünktlichkeit vermieste mir gerade Hillary meine Laune. Die trippelte nämlich in einem superknappen Bikini neben Dawson am Turm vorbei. Echt ein Wunder, das nichts aus dem winzigen Oberteil fiel, das nicht mehr als ihre Brustwarzen bedeckte. Dawson besaß auch noch die Frechheit, mir zuzuwinken. Der Arsch! Dann erinnerte ich mich wieder an das Date mit Justin heute Abend und ermahnte mich, Dawson einfach Dawson sein zu lassen, diese sinnlose Schwärmerei für ihn einfach hinter mir zu lassen.

Um viertel nach zwölf löste mich Clarice ab und ich murrte erneut „zuuuu spähät!"

„Ich kann nichts dafür, dass deine erste große Liebe Hillary flachlegt. Lass das nicht an mir aus", sagte die Zweiundzwanzigjährige, die Zeugin meines unguten Auftritts vor zwei Jahren gewesen war. Marcus krepierte fast vor Lachen. Am liebsten hätte ich ihn vom Turm getreten und Clarice hinterher.

„Alles Schnee von gestern", knurrte ich und fuhr nach Hause, wo Justin mich um halb sieben abholte.

Ich hatte mich für ein kurzes Sommerkleid entschieden, das einen schwingenden Rock hatte und dessen Oberteil meine kaum vorhandene Oberweite ins rechte Licht rückte. Justin und ich hatten entschieden, das kurze Stück zum Sommerfest zu Fuß zu gehen. Daher trug ich Ballerinas. Eine leichte Strickjacke hatte ich über meine Handtasche gelegt und als Justin meine Hand nahm und unsere Finger verschränkte, lächelte ich. Es fühlte sich gut an. Irgendwie echt und nicht nach Teenagerträumen. Das hier war real.

Wir suchten uns einen Platz nahe der Feuerwehrkapelle, die das Fest mit mehr oder weniger gelungenen Covers von bekannten Country-Songs bespaßte. Manchmal war ich davon so übersättigt wie von Apple Pie, Barbecue und Jack Daniels. Jeder zweite trug ein Jackie-Shirt, ein Band-Shirt oder Flanell-Hemden und ausnahmslos jeder trug den Patriotismus, den wir von der Wiege an mitbekamen.

Wir wurden in diesem Städtchen zu Klischee-Amerikanern erzogen. Und Justin war ein ganz besonders amerikanisches Exemplar: er ließ den ganzen Mann raushängen und bestellte für uns Wasser, ohne vorher zu fragen, was ich gerne trinken würde. Vielleicht hätte ich gerne eine amerikanische Coke oder Pepsi gehabt? Okay, das war jetzt gemein.

„Was möchtest du denn essen?", fragte er zum Glück und bestellte nicht einfach eine halbe gegrillte in Barbecue-Soße ertränkte Sau. Shit, ich war hungrig. Und entsprechend reizbar. Wenn ich mein erstes Date nicht in den Sand setzen wollte, sollte ich mich zusammennehmen und einfach den Mund halten.

„Ich würde den Hot Fireman nehmen", antwortete ich, ohne in die Karte zu sehen.

„Du und er, ihr scheint schon eine längere Beziehung zu haben?", neckte mich Justin und ich schmunzelte trotz meines Hungers. Justin hatte Humor. Was für ein Glück.

„Ja, den hab ich schon ein oder zweimal vernascht", gab ich zurück.

„Ist der richtig scharf?" Skeptisch sah Justin mich an.

„Ja. Der hat es in sich. Das muss man mögen. Beim ersten Mal dachte ich, ich würde sterben!"

„Dann nehm ich lieber den normalen Rinder-Burger", entschied Justin.

„Wollt ihr Pommes dazu?", fragte die Bedienung, als wir die Bestellung aufgaben. „Ketchup oder Mayo?" Wir wollten alles und viel davon.

„Willst du probieren?", fragte ich Justin später, als das Essen kam.

„Ne, lieber nicht. Will mich nicht beim ersten Date gleich blamieren, weil mir das Essen zu scharf ist."

„Verstehe", sagte ich lächelnd und widmete mich dem Burger. Justin sah mich während des Essens immer wieder intensiv an. Mir fiel es zunehmend schwerer, zu essen, weil ich zu beschäftigt war, zurückzustarren. Entweder ich kaute zu wenig und würgte zu große Brocken runter oder ich kaute so lange, bis der Bissen jeden Geschmack verloren hatte und das Fleisch zäh wurde.

Finally - Falling for you Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt