89

732 29 3
                                        

Das schloss mich dann wohl ein, obwohl es wehtat. Dennoch verstand ich, dass ich diese Entscheidung respektieren musste.

„Es ist deine Geschichte, du entscheidest, wann der Zeitpunkt ist sie zu erzählen. Und wem", sagte ich leise und reckte mich, um einen Kuss auf Dawsons kantigen Kiefer zu drücken. Seine Muskeln traten hervor, weil er die Zähne so fest aufeinanderpresste. Zwischen uns dehnte sich das Schweigen aus. Dawson lehnte sich nach hinten und zog mich mit sich. Mein Kopf lag auf seiner Schulter und meine freie Hand auf seinem Brustkorb.

„Vielleicht ist es langsam an der Zeit." Nachdenklich starrte Dawson an die Decke. „Und vielleicht bist du auch genau die Richtige dafür. Du bist noch in der Schule, du weißt wie grausam Schüler sein können. Die meisten in meinem Alter haben das schon längst vergessen."

So wie es sich anhörte, hatte Dawson nichts vergessen. Es wirkte bis heute nach. Der Schmerz in seinen Augen schnitt mir ins Herz..

„Nach dem Unfall hatte ich zwei Wochen Sonderurlaub. Danach bin ich in den Unterricht zurückgekehrt. Wir hatten gerade Geo. Es war ein warmer Tag, alle Fenster standen offen. Auf der Straße fuhr ein Motorrad vorbei. In dem Moment hab ich erst richtig kapiert, dass mein Dad nie mehr mit dem Motorrad an der Schule vorbeifahren wird. Mitten im Unterricht habe ich angefangen zu weinen. Mir war das unglaublich peinlich. Ein paar Mitschüler haben mich deswegen ausgelacht."

„Wie gemein. Was für Wichser!" Dawson lachte leise. „Das sagen wir deiner Mum besser nicht, was du für Ausdrücke benutzt." Mir es noch nie gleichgültiger gewesen, was meine Mum über meine Sprache dachte. Was wirklich zählte, war, dass ich Dawson mit meinem Ausspruch zum Lächeln gebracht hatte, selbst wenn der Moment noch so kurz gewesen war, denn schnell wurde Dawson wieder ernst. „Das Blöde war, dass ich öfter angefangen hab zu weinen, wenn ein Motorrad klang wie das von Dad. Ich wollte das nicht, weil ich jedes Mal wieder schräge Blicke und boshafte Kommentare bekam. Nur konnte ich das einfach nicht abstellen."

An dieser Stelle hing Dawson lange fest. Seine Nase hatte er in meinem Haar vergraben. „Du musst nicht weitererzählen, wenn es dir nicht guttut", flüsterte ich. Ich streichelte über Dawsons Brustkorb und beobachtete, dass, er die Augen kurz schloss. Als er sie wieder öffnete, glitzerten sie verdächtig, waren leicht gerötet. Er schien weit weg mit seinen Gedanken. An einem fernen Ort in der Vergangenheit, wanderte durch Erinnerungen, die wir nicht teilten. Gerne hätte ich neben ihm gestanden, ihn getröstet, doch ich saß hier in dem Hotelzimmer, die einzige Verbindung zu ihm war die Hand auf seinem Brustkorb und mein Blick, der sich mit dem aus seinen geröteten Augen verhakt hatte.

„Sie haben sich einen Spaß daraus gemacht, Riley." Unterschwellige Wut schwang in seiner Stimme mit. „Zwei meiner Mitschüler haben Motorradgeräusche aufgenommen und die wiederholt mitten im Unterricht abgespielt und ein ums andere Mal bin ich zusammengebrochen." Ungläubig starrte ich Dawson an. Er tat mir unfassbar leid, wie er zwischen grausamen Erinnerungen festhing und Geschichten erzählte, die nicht hätten stattfinden sollen. In meinen Eingeweiden glühte ein Gefühl, das ich bisher nicht kannte: Hass. Hass auf die Jungs, die Dawson das angetan hatten. Dawson schien von meinem Aufruhr jedoch nichts zu bemerken. Er war eingeschlossen in einer Seifenblase abgeschottet vom Hier und Jetzt. Um seinetwillen hätte ich mir gewünscht, sie würde in bunten Farben schillern. Seine war jedoch ölig trüb und vergiftete sein Herz, gleichermaßen sein Leben.

"Ein Mädchen aus meiner Klasse hat mich gerettet, ohne zu ahnen, was sie damit anrichtet. Als die Jungs mal wieder ihre Handys zückten, hat sie mich angefaucht. 'Heul ja nicht wieder, du Weichei! Ich will endlich wieder normalen Unterricht haben, ohne euren Scheiß', hat sie gesagt und mir in den Oberschenkel gekniffen. Vom Schmerz sind mir Tränen in die Augen geschossen, aber die Hänseleien kamen in dem Moment nicht an. Also hab ich mir ab da in den Oberschenkel gekniffen, wenn ich was nicht an mich ranlassen wollte. Als meine Mum mir erzählt hat, dass sie das Haus verkauft und wir umziehen, hat das nicht gereicht, dabei wollte ich für sie so gerne tapfer sein. Sie hatte doch schon so viel durchgemacht. Das war mein erstes Mal, das ich eine Rasierklinge benutzt habe. Danach ist das öfter passiert. Bis ich dann in die Klinik kam. Besser wurde es nicht mit der Therapie, sondern erst als ich anfing Dads Motorrad zu reparieren. Das hat besser geholfen, als die Sitzungen. Dann ging mir die Kohle aus, ich musste die Reparatur auf Eis legen und ich wurde rückfällig. Lio hat mir damals heftig ins Gewissen geredet. Chad auch. Also hab ich den Job bei Smith angenommen und dort zu arbeiten hat mir gut getan. Seither reicht die Salbe und ich brauch die wirklich nur noch selten. Das letzte Mal war..." Er kam ins Stocken. Sah mich aus seinen grünen Augen an, die nicht mehr abwesend, sondern völlig fokussiert waren.

Finally - Falling for you Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt