Ich nickte und sprintete los. Meine Füße übersprangen auf der Leiter nach unten jede zweite Sprosse, dann preschte ich über den Strandbereich. Der Sand spritzte hoch bis zu meinen Knien, dann flog ich den Steg entlang, an dem die Rettungsboote vertäut lagen und am Ende sprang ich kopfüber ins Wasser.
Erhitzt wie ich war, hatte ich nach dem Sprung das Gefühl mein Herz würde in dem kalten Nass seinen Dienst versagen, mein ganzer Körper geriet in einen Alarmzustand, wegen des plötzlichen Temperaturunterschieds. Ich biss meine Zähne zusammen, widerstand dem Drang prustend an die Oberfläche zu steigen. Stattdessen zwang ich mich, in dem trüben Wasser die Augen zu öffnen und einen Zug nach dem anderen zu schwimmen. Hoffte, auf dem Weg zu der Kleinen, ihre Mutter unter Wasser zu entdecken. Nach einigen Zügen stieg ich auf, orientierte mich. Hielt dann unter Wasser wieder auf das Mädchen zu. Nachdem ich unter der Kette durchgetaucht war, fiel der Untergrund steil ab. So steil, dass ich kaum noch bis zum Boden blicken konnte. Keine Spur von der Mutter. Verflucht!
In einiger Entfernung des Mädchens tauchte ich auf, hörte nun bereits ihr panisches Schluchzen, das mit jedem Zug, den wir uns einander annäherten lauter wurde. Sie hielt mit hektischen, kraftlosen Zügen ihren Körper über Wasser, kam aber kaum noch voran. „Mommy", weinte und rief sie immer wieder. Sie verschluckte sich, würgte, hustete und weinte. Dazwischen rief sie immer wieder herzzerreißend nach ihrer Mum. Grauen packte mich, trieb mich voran. Meine Armmuskeln schienen aus flüssigem Feuer zu bestehen. Meine Lunge brannte nicht weniger und ich schwamm schneller als je in meinem Leben. Hätte der Teufel persönlich mich verfolgt, ich wäre kein bisschen an Tempo zulegen können. Ich war weit über alles hinaus, was ich eigentlich hätte geben können. Die Sirenen und das Blubbern des Bootsmotors hinter mir trieben mich zu körperlicher Höchstleistung an.
Schließlich erreichte ich das Mädchen, das hektisch seine Arme um mich schlang.
„Mommy", wimmerte sie leise.
„Was ist passiert?", keuchte ich völlig außer Atem. Trotzdem verstand das Mädchen meine abgehakt ausgestoßenen Worte.
„Ich weiß nicht. Vielleicht hat ein Hai sie gefressen", jammerte die Kleine verzweifelt.
„Hier gibt es keine Haie", beruhigte ich sie.
„Aber sie hat ‚aua' gerufen und dann fing sie an zu platschen. Dann war sie weg." Die leicht bläulichen Lippen des Mädchens zitterten im gleichen Takt wie meine Muskeln.
Krampf. Herzinfarkt. Irgendetwas Ungutes jedenfalls. Das Boot, das Justin näher steuerte, trieb auf uns zu. Mit dem Mädchen im Arm hielt ich mich fest. Zügig fasste ich meine Einschätzung zusammen.
„Bring die Kleine ans Ufer, Riley. Der Notarzt kümmert sich um sie", befahl John, der Justin begleitete, schroff und hechtete geschmeidig ins Wasser.
Ich nickte und nahm die Kleine in den Arm, schleppte sie zum Ufer, während ich ihr kurzatmig erklärte, dass John und Justin nach ihrer Mum tauchen würden, bis in wenigen Minuten die Feuerwehrtaucher startklar wären. Ich zeigte ihr den Wagen, aus dem gerade zwei Männer sprangen und sich auf den Tauchgang vorbereiteten, während Justin mit dem Boot versuchte, die Stelle zu markieren, in deren Nähe wir die Mutter vermuteten. Die Notärztin kam mir entgegen, nahm mir das Mädchen ab, damit ich zu dem Einsatzfahrzeug der Feuerwehr rennen konnte. Knapp begrüßte ich die beiden Taucher, die ich aus der Buchhandlung und dem Baumarkt kannte.
„Da, wo das Boot ist, haben wir die Kleine aufgesammelt. Tatsächlich waren sie aber etwas weiter südwestlich, als ich die beiden das letzte Mal gesehen habe." Ich deutete, mit ausgestrecktem Arm in die Richtung.
Der ältere der Taucher nickte verstehend. „Alles klar", murmelte er bestätigend, während er die Flossen aufhob, die neben ihm im Gras lagen. Zügig gingen die beiden Taucher zum Boot der Feuerwehr. Ratlos sah ich ihnen nach. Tränen sammelten sich in meinen Augen. Langsam dämmerte mir, was hier geschah und ich schlug die Hand vor den Mund, während ich tränenblind auf das Boot der Feuerwehr starrte. Meine Knie gaben nach und ich sank in den weichen Sand. Die Mutter des Mädchens war irgendwo dort draußen. Sie hatte in diesem See vielleicht ihr nasses, kaltes Grab gefunden. Oder, wenn wir sie lebend fanden, hatte sie so lange keinen Sauerstoff bekommen, dass ihr Gehirn geschädigt war. Egal wie es ausging, das Leben des kleinen Mädchens würde nie mehr wie zuvor sein. Erst als jemand mir ein flauschiges Handtuch umlegte, bemerkte ich, wie sehr ich zitterte.
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Finally - Falling for you
RomanceBand 1 der "Finally"- Reihe. Die tiefsten Wunden bluten nicht. Schon seit frühester Jugend schwärmt die sechzehnjährige Riley für den attraktiven, aber launischen Dawson, der sie konsequent auf Abstand hält. Der Altersunterschied von sechs Jahren zw...