Das Weckerklingeln am nächsten Morgen war pure Folter. Doch meine Mission trieb mich unter die Dusche und dann in Richtung Bäcker. Mit wehendem Pferdeschwanz preschte ich auf meinem Rad die Straße runter, kaufte das Bestellte und klingelte um Punkt neun Uhr bei Stacey.
„Guten Morgen, Sharon", begrüßte ich Staceys Mutter, die mir mit einer kitschig rot-karierten Schürze die Tür öffnete. Ihr lockiges Haar hatte sie mit einem Stirnband gebändigt. In der Hand hielt sie bereits einen Pfannenwender und der Duft von Pancakes wehte mir entgegen. Mir lief bereits das Wasser im Mund zusammen.
„Guten Morgen, Riley", erwiderte sie fröhlich. „Geh gleich durch in die Küche, die Pancakes sind schon fertig. Ich hol noch Sirup aus dem Keller."
Stacey kam mir bereits entgegen und umarmte mich. „Hey, Süße! Alles gut? Deine Nachricht klang schrecklich ernst!"
Die Sache war auch ernst. Vor Lionel, der gerade den Tisch deckte, wollte ich das allerdings nicht ausbreiten. Eigentlich wollte ich gar nichts ausbreiten, hatte aber das Gefühl, es Miles schuldig zu sein. Ich konnte ihn nicht ins offene Messer laufen lassen. Nicht meinen eigenen Bruder!
„So, dann lasst es euch schmecken", erklang Sharons Stimme hinter mir. „Ich lass euch jungen Leute dann mal alleine. Wenn ihr was braucht, ich bin im Büro." Energisch hängte sie ihre Schürze an einen Haken neben der Tür und verschwand.
Wir setzten uns und Lionel reichte mir den Teller mit Pancakes. „Schlag zu, Riley!"
Mit meiner Gabel bediente ich mich und tränkte die Pancakes mit Sirup. Neidvoll blickte Stacey mich an.
„So viel wie du will ich mal essen können. Ich werde schon dicker, wenn ich dir nur zu sehe", stöhnte sie.
Lionel nutzte die Vorlage sofort, um sie zu ärgern. In der Hinsicht tickten die Geschwister wie Miles und ich. Wenn es nur die geringste Chance gab, dem anderen liebevoll eins reinzuwürgen, dann wurde die genutzt.
„Mal weniger Alkohol trinken und ab und an Sport treiben, dann würdest du dich vielleicht nicht allmählich in eine Tonne verwandeln", hänselte Lio seine Schwester. Stacey streckte ihm die Zunge raus.
„Was ist eigentlich mit Dawson? Kommt er nicht zum Frühstück?", lenkte sie ab und innerlich heulte ich auf. Dawson hinten und vorne. Wenn nur endlich die Semesterferien vorbei wären und er wieder verschwinden würde... Blöderweise bedeutete das, dass zeitgleich Miles verschwinden würde. Nichts im Leben war umsonst. Nicht einmal mein Seelenheil.
„Keine Ahnung, wo der sich rumtreibt. Hab seit vorgestern nichts mehr von ihm gehört. Nicht mal seine Nachrichten liest er. Denk mal, er ist mit Hillary beschäftigt. Lionel machte eine obszöne Geste und Stacey schnaubte.
„Wann ist er nicht mit irgendwelchen Fickfreundinnen beschäftigt? Da antwortet er aber doch sonst trotzdem. An welchem Morgen lässt er bitte ein kostenloses Frühstück aus?", nuschelte Stacey zwischen zwei Bissen.
„Du hast auch nichts von ihm gehört?"
Lionel warf mir einen kurzen Blick zu. Leichte Panik stieg in mir auf.
„Nein? Wieso sollte ich?", erkundigte ich mich möglichst unbeteiligt.
„Hatte den Eindruck ihr versteht euch etwas besser. Hätte ja sein können. Immerhin wohnt er nur zwei Straßen weiter.
„Stimmt schon. Aber nö, ich hab nichts gehört von ihm." Das war Wortklauberei. Ich hatte nichts gehört, ihn aber gesehen, neben ihm geschlafen. Halbwahrheiten, das begriff ich in diesem Augenblick, wurden nicht ohne Grund als die größten Lügen bezeichnet.

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Finally - Falling for you
Roman d'amourBand 1 der "Finally"- Reihe. Die tiefsten Wunden bluten nicht. Schon seit frühester Jugend schwärmt die sechzehnjährige Riley für den attraktiven, aber launischen Dawson, der sie konsequent auf Abstand hält. Der Altersunterschied von sechs Jahren zw...