„Klar, Dawson. Da müsstest du ja auch Gefühle zeigen. Und du würdest Gefahr laufen, sie zu verlieren. Du müsstest das Risiko eingehen, verletzt und verlassen zu werden, statt zu verlassen und zu verletzen." Er schob einen Arm unter seinen Kopf und musterte mich eingehend. Seine Augenringe waren noch viel intensiver als die letzten Wochen.
„Geht es dir gut?", fragte ich vorsichtig. Er nickte.
„Du lenkst vom Thema ab. Und ja, es geht mir gut. Die letzten Tage waren einfach anstrengend. Aber meine Blutwerte sind für die Umstände gut. Meine Nieren scheinen sich zu erholen. Mach dir keinen Kopf. Und wenn ich für immer zur Dialyse muss, dann ist das so, Dawson." Er verzog einen Mundwinkel zu einem schiefen Grinsen.
Er hasste die Dialyse. Und ich hasste es, dass er da durchmusste. Wenn ich gekonnt hätte, ich hätte es ihm gerne abgenommen. Wenigstens hatte ich keine Angst vor spitzen Gegenständen aus Metall.
„Was willst du jetzt wegen der Maschine machen?" Chad strubbelte nachdenklich durch seine blonden Haare. Danach sah er wie ein Igel aus. Seine spitze, schmale Nase unterstrich diesen Eindruck noch.
„Ich denke, ich werde das Projekt bis nach dem Studium auf Eis legen müssen." Abwesend zupfte ich an der Schleife, mit der Lionel die Mullbinde an meinem Arm befestigt hatte. Ein Rascheln deutete an, dass Chad sich erhob, leise tappten seine Füße über den abgeschabten Boden. Dann sank die Matratze neben mir ein. „Und du bist sicher, dass sowas dann nicht öfter vorkommt?", erkundigte er sich besorgt und zog meinen Arm zu sich.
Ich schüttelte den Kopf. „Ich habe mir in der Apotheke Capsaicin-Salbe besorgt, falls ich es nicht in den Griff bekomme", murmelte ich und gestand damit ein, dieselben Sorgen zu haben, die Chad plagten. Er schnaubte neben mir.
„Skills sind keine Lösung, sondern verhindern nur, dass andere was mitbekommen. Dass hilft doch nur gegen weiteren Druck von außen. Mit der Bastelei an dem Motorrad warst du viel näher an der Ursache. Du hast dich mit den Dingen auseinandergesetzt, die dich kaputtmachen. Ich habe Angst um dich Dawson. Ich hab eine beschissene Angst, dass es wieder so wird wie früher. Ob ich das noch mal packe, weiß ich nicht." Mit einem unguten Gefühl starrte ich auf meine Oberschenkel. Wenn er es nicht packte? Was hieß das denn jetzt genau? Nichts anderes, als dass ich am Arsch wäre. Aber richtig. Ich hatte doch nur zwei echte Freunde. Zu den Leuten, mit denen ich mich in der Klinik angefreundet hatte, hatte ich den Kontakt abgebrochen. Die hatten alle einen Knacks. Und ich brauchte kein Gejammer. Kein Verständnis. Ich brauchte Normalität und ab und an mal einen Tritt in den Allerwertesten. Wer sollte mir denn in den Arsch treten, wenn nicht Chad?
„Und was genau denkst du, soll ich tun?", fuhr ich ihn an und kehrte damit zum eigentlichen Thema zurück, um das sich in meinem Kopf gerade alles drehte. Beinahe alles. Da waren noch diese schönen Augen, diese zarten Lippen. „Ohne Geld geht es nicht weiter!"
Er hob eine Augenbraue. „Was'n schon? Sparsamer leben. Einen Job suchen."
„Und wie soll das gehen?", fragte ich skeptisch.
Um Geduld bemüht schloss Chad seine grauen Augen.
„Keine Ahnung, wie du die High School geschafft hast. So richtig helle bist du nicht, mein Freund. Was ein Glück, dass du mich hast. Und Lio natürlich. Ohne uns wärst du einfach am Arsch, das ist dir klar, oder?"
Ich nickte. Er hatte absolut recht. Manchmal sah ich das Meer vor lauter Wasser nicht mehr.
„Als erstes verkaufst du dieses Geldgrab, das du als Auto bezeichnest. Das Teil frisst mehr Benzin als meine Granny Pillen. Und vielleicht die Achtziger. Die fährst du doch eh nur noch selten."
„Und wie komm ich ohne Auto heim? Und wieder zurück zur Uni?"
Er sah mich geistlos an. „Mit Lio? Mit dem Bus? Trampen? Was weiß ich! Okay. Wo war ich eigentlich?" Er kratzte über seinen Unterarm. Misstrauisch beobachtete ich ihn.
„Wann sagtest du, warst du das letzte Mal bei der Dialyse?"
„Ich sagte gar nichts? Leider bist du manchmal nicht ganz so blöd. Ist schon etwas überfällig."
„Kann ich dich keine drei Wochen alleine lassen? Wieso lässt du die Dialyse ausfallen?" Entgeistert schlug ich ihm auf den Oberarm.
„Weil mein Körper noch andere Bedürfnisse hat, als die verblödete Blutwäsche. Und denen hab ich Priorität eingeräumt."
„Nicht dein Ernst? Du lässt den Termin wegen einer Schnecke sausen? Du bist doch nicht ganz dicht! Denkst du auch mal über die Folgen nach?"
„Denkst du mal darüber nach, was das für eine Schweinerei gibt, wenn mir die Eier platzen?"
Um Geduld bemüht massierte ich meine Nasenwurzel. „Du bist ein Idiot. Deine Eier sind sowieso nichts mehr wert, wenn dein Schwanz nicht mehr steht, weil deine Gefäße im Arsch sind!", maulte ich ihn an und erntete ein Lachen.
„Du hast keine Ahnung. Sarah bringt noch Sachen zum Stehen, die seit Jahren als tot gelten. Aber ging es eigentlich grad nicht um was anderes? Ach ja. Dein Geld. Du musst dir einen Job suchen, Faulpelz!"
Entgeistert sah ich ihn an. „Und wie soll ich das neben der Uni schaffen? Meine guten Noten kommen nicht von nichts."
„Du musst eben in den Ferien arbeiten. Such dir am besten gleich was, wo du in den Winterferien schon anfangen kannst. Vielleicht was bei einem Mechaniker. Das würde dir in Hinblick auf das Motorrad sicher helfen."
„Da ist nur ein Haken an der Sache. Wovon soll ich denn die Schulden bei der Werkstatt bezahlen? Ich glaub nicht, dass ich die bis zum Winter hinhalten kann."
„Du könntest dem Besitzer einfach reinen Wein einschenken. Sag ihm, du hast das Geld nicht, aber verkaufst dein Auto, damit du einen Teil abzahlen kannst und den Rest bezahlst du ihm nach und nach in Raten. Vielleicht lässt er sich darauf ein." Begeistert von seinem Vorschlag strahlte Chad mich an und ich musste zugeben, dass mir seine Idee gefiel.
„Vielleicht wäre das eine Möglichkeit." Die Aussicht erschien mir wie ein schmaler silberner Streif am Horizont.
Chad fischte mein Handy aus der Hosentasche. „Ruf ihn an. Jetzt."
Mit einem tiefen Atemzug, suchte ich die Nummer aus der Kontaktliste. Chad hatte recht. Manchmal musste man den Stier bei den Hörnern packen.

DU LIEST GERADE
Finally - Falling for you
RomanceBand 1 der "Finally"- Reihe. Die tiefsten Wunden bluten nicht. Schon seit frühester Jugend schwärmt die sechzehnjährige Riley für den attraktiven, aber launischen Dawson, der sie konsequent auf Abstand hält. Der Altersunterschied von sechs Jahren zw...