Nachdenklich sah ich Vater und Tochter nach. Als ich zurück ins Wohnzimmer kam, sah mir Miles schon entgegen.
„Das war jetzt schon etwas strange, oder?" Ich ließ mich auf das Sofa plumpsen.
„Der war dir total dankbar wegen seiner Tochter, aber an seiner Frau lässt er kein gutes Haar", fasste Miles seinen Eindruck zusammen. Ich musste ihm da beipflichten. Wie der trauernde Ehemann hatte er nicht gewirkt.
„Der hat das noch nicht richtig geschnallt, dass sie nicht zurückkommt", flüsterte ich beinahe nur zu mir selbst. Was Thomas gesagt hatte, klang ein bisschen wie: „Ja mei, selbst schuld, wenn sie so doof ist und sich in den Finger schneidet. Ist jetzt blöd. Heilt aber wieder." Aber den Tod heilte man doch nicht.
„Ne, ich glaub auch. Und weißt du was? Ich könnte jetzt ein bisschen Ablenkung und Zeit mit meiner Schwester brauchen. Was wolltest du denn vorher machen?" Erwartungsvoll sah Miles mich an.
„Ähm, also eigentlich wollte ich ins Einkaufszentrum, inzwischen hab ich aber Justin gefragt. Ich müsste mal nachschauen, ob er zugesagt hat."
„Justin, hm? Da kann ich natürlich nicht mithalten. Dann sieh mal nach, ob er sich gemeldet hat." Miles machte eine scheuchende Handbewegung.
Zwei Stunden später setzte mich Miles an der Shopping Mall ab und versprach, mich später abzuholen. „Danke", murmelte ich leise, als ich ihn zum Abschied umarmte. Wenn mir der Besuch von Thomas und Mellissa eines klar gemacht hatte, dann das: ich nahm viele Dinge für selbstverständlich und ein bisschen mehr Dankbarkeit und ein wenig mehr Demut schadeten nicht im Geringsten.
„Ich hab dich lieb, Miles", ergänzte ich und drückte meinem Bruder einen Kuss auf das stoppelige Kinn.
Glücklich lächelte er. „Ich dich auch, Riley."
Nachdem ich ausgestiegen war, winkte ich kurz und sah meinem Bruder nach, wie er wegfuhr. Dann stieg ich die drei Stufen zum Eingang des Einkaufszentrums hinauf und betrat das klimatisierte Gebäude. Justin lehnte an einer Säule und blickte auf sein Mobiltelefon. Eine Gruppe Mädchen ging an ihm vorbei und nahm ihn tuschelnd ins Visier.
Er sah auch wirklich gut aus mit seinen zerrissenen hellblauen Jeans und dem hellen Shirt. Dazu seine surferblonden Haare und die hellen Augen. Sein Rücken war schon recht breit, die Arme muskulös. Und da war kein Gramm Fett an ihm. Besonders cool fand ich den dunklen Ring, den er immer trug. Abgerundet wurde sein Outfit durch sündteure, sportliche Schuhe.
Als hätte er meine Musterung gespürt, hob er den Kopf, sah mich und ein leichtes Lächeln erhellte seine Züge. Der erfreute Ausdruck in seinem Gesicht ließ mein Herz sofort höherschlagen und das Lächeln erwidern, das er mir schenkte. Seine Augen strahlten, als er auf mich zusteuerte. Zögernd blieb er vor mir stehen.
„Hey", sagte er schüchtern und mein Herz flog ihm förmlich zu.
„Hey", gab ich zurück und sah ihn abwartend an. Mann, war das schwierig. Beim Feuerwehrfest war alles so einfach und klar gewesen. Jetzt fühlte sich unser Zusammentreffen komisch an. Steif. Der gestrige Tag hatte viel verändert. Alles verändert. Justin auf die Vorkommnisse des Vortages gleich direkt anzusprechen, traute ich mich nicht. Erst einmal abwarten.
„Wo möchtest du denn zuerst hin?", erkundigte sich Justin, dessen Gesprächsbedarf offenbar auch nicht riesig war.
„Zu diesem Papiergeschäft. Ich brauch neue Karten und Papier. Meine Tante hat bald Geburtstag, da möchte ich für sie was gestalten. Und dann würde ich gerne nach ein paar neuen Stiften schauen."
„Du malst?", fragte Justin, als wir uns in die entsprechende Richtung begaben.
„Nein, Handlettering", korrigierte ich seine Annahme.

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Finally - Falling for you
RomanceBand 1 der "Finally"- Reihe. Die tiefsten Wunden bluten nicht. Schon seit frühester Jugend schwärmt die sechzehnjährige Riley für den attraktiven, aber launischen Dawson, der sie konsequent auf Abstand hält. Der Altersunterschied von sechs Jahren zw...