Wenn ich mir Dinge vornahm und sie nicht einhielt, was hatte es dann für einen Sinn, sich überhaupt ein Ziel zusetzten oder Grenzen? Auch wenn ich einen bestimmten Gedanken nicht bewusst zuließ, er war da. Er lauerte in mir und verhöhnte mich, als ich mich auf den Bauch drehte, meine Ellbogen aufstützte und auf meinen Nachttisch blickte.
Was ich gesagt hatte und wie ich mich verhielt, waren zwei völlig unterschiedliche Dinge. Nicht nur in Hinblick auf Lydia. Vor allem in Hinblick auf Riley. Ich presste die Lippen zusammen. Das musste aufhören. Sofort. Bevor die falschen Signale, die ich sendete uns beide am Ende in Schwierigkeiten brachten. Die Frage war nur, wie ich ihr aus dem Weg gehen sollte. Sie zog meine Gedanken an wie Licht die Motten und dauernd kreisten sie ohne Rücksicht auf Konsequenzen um die verlockende Helligkeit, die Riley versprühte und die Wärme, die sie ausstrahlte.
Am nächsten Morgen hatte ich eine Entscheidung getroffen: Wenn die Motte zu blöd war, einfach mal die Flügel still zu halten, dann musste man das Licht löschen. Eine ganz simple Wahrheit. Ich griff nach meinem Schlüssel und schnappte mir im Rausgehen eine Jacke und Schuhe. In der Garage zog ich die Plane von der mickrigen 80 Kubik-Maschine, auf der ich vor Jahren fahren gelernt hatte. Nicht grad ein heißer Ofen, aber deutlich besser als zu Fuß gehen.
Vor der Schwimmhalle parkte ich quer auf dem Gehsteig und wartete. Der Wettbewerb würde um elf starten. Jetzt war es viertel vor zehn, der Parkplatz war noch relativ leer. Nur wenige Autos standen dort. Unter anderem das von Coach Henderson und des Bademeisters. Auch John von den Rettungsschwimmern stieg gerade aus dem Wagen. Marcus und Clarice kletterten aus den hinteren Türen und ich hob meine Hand zu einem Gruß.
Kurz nach den beiden kam Riley auf ihrem Fahrrad um die Ecke gerast. Rote Wangen, wehende Haare. Weder Mütze noch Handschuhe. Schlitternd bremste sie, bevor sie haarscharf vor mir zum Stehen kam.
„Das ist der Gehsteig, Riley!", wies ich sie zurecht.
„Genau, Dawson. Und der Parkplatz ist da hinten! Warum stehst du hier im Weg?"
„Ich hab auf dich gewartet."
Misstrauisch sah sie mich an. „Echt? Wieso?"„Weil." Ich griff in meine Hosentasche. „Ich wollte dir das hier zurückgeben." Ich hielt ihr meinen Zeigefinger entgegen, auf dem der Schlüsselring hing, an dem munter das silberne Motorrad baumelte.
Traurig sah sie auf den Anhänger, dann zu mir hoch. „Okay", sagte sie. Sonst nichts.
„Ich will ihn nicht haben, Riley. Also nimm ihn schon."
„Nein. Ich habe ihn dir geschenkt. Du kannst damit tun, was du möchtest. Zurücknehmen werde ich ihn nicht." Störrisch wie ein Maultier sah sie mich an.
„Dein Ernst?" Ratlos sah ich Riley an. In meiner Vorstellung war das hier ganz anders gelaufen. Sie hätte nach dem Anhänger gegriffen und wäre einfach gegangen. Sie hätte sich abends vielleicht in den Schlaf geweint und wäre dann irgendwann darüber weggekommen. Dass sie sich weigern könnte, ihr Geschenk zurückzunehmen, hatte ich nicht angenommen.
„Okay", sagte ich leise. „Wie du willst." Dann musste ich eben deutlicher werden. Ich ließ den Anhänger vor ihre Füße fallen. Sie sah dem Anhänger hinterher und ich auch. Er schlug auf dem Boden auf und Schock malte sich auf Rileys Mine, als sie verfolgte, wie das Motorrad auf die Kante des Randsteins fiel und dann auf den Gullydeckel rutschte. Sie sprang nach vorne, ihr Fahrrad schlug auf den Betonplatten des Gehsteiges auf. Blitzschnell griff Riley nach dem Kleinod, doch der Ring, rutschte wie in Zeitlupe zwischen die Metallstreben des Gullys und bevor Riley zugreifen konnte, zog der Ring und die daran hängende Silberkette das Motorrad in die Tiefen der Kanalisation.
Einen Augenblick blieb Riley auf einem Knie vor dem Gully sitzen. Dann sah sie zu mir hoch. Ich hatte Tränen erwartet, die in ihren Augen schimmern würde. Doch die Kälte in ihren Augen ließ mein Herz gefrieren. Langsam richtete sie sich auf.
„Du bist so ein Arschloch", wisperte sie.
„Habe ich je was anderes behauptet?"
Ich bekam keine Antwort. Sie hob lediglich ihr Fahrrad auf, das auf dem Gehsteig lag und drehte mir ihren Rücken zu. Mein schockgefrostetes Herz zersplitterte leise, während ich auf den Gully starrte.
Ich hatte das nicht gewollt. Nicht geplant. Nicht nachgedacht. Und ich fühlte mich schuldig. Nicht nur weil ihr Geschenk nun eine der fetten Kanalratten schmücken würde. Auch weil ich sie vor ihrem Wettbewerb so aus der Bahn geworfen hatte. Mein Timing hätte nicht mieser sein können. Sie hatte absolut recht: ich war ein Arschloch.
Mein Handy in der Hand verfolgte ich die Instagramposts von Stacey und parallel den des Schwimmteams, um Rileys Ergebnisse nicht zu verpassen. Mit schöner regelmäßiger Zuverlässigkeit postete Stacey die Fotos ihrer Freundin. Die Ergebnisse waren nicht überragend. Ob es für eine Wild Card reichen würde, konnte ich nicht einschätzen. Und nervös knabberte ich an meinem Daumen, während ich auf das Ergebnis ihrer letzten Disziplin wartete. Die Ungewissheit brachte mich um. Wäre ich kein solcher Idiot, könnte ich jetzt auf der Tribüne sitzen und verfolgen, wie sie schwamm. So war ich auf die Informationen angewiesen, die Stacey im Netz bereitstellte. Oder auch nicht. Denn seit einer halben Stunde hatte sie keine Fotos mehr hochgeladen. Entweder sie feierten. Oder heulten.
Das war einfach nicht auszuhalten! Mein Blick glitt zu der obersten Schublade. Unter die Gedanken, die um Riley kreisten, mischten sich andere. Ich ließ mich nach hinten fallen. Versuchte den Inhalt der Schublade auszublenden. Es würde helfen. Kurz zumindest. Ich versuchte ruhig zu atmen, die Anspannung mit der Atemtechnik in den Griff zu bekommen, die ich in der Klinik gelernt hatte. Wirklich funktionierte das nicht. Ich war irgendwie in einer verfluchten Sackgasse gelandet in die ich nicht wieder hatte geraten wollen.
Chad hatte mit seiner Einschätzung richtig gelesen: ich war nicht stabil. Noch immer nicht. Vielleicht würde ich es nie werden.
Ich nahm mein Handy von Nachttisch. Noch immer nichts.
„Fuck", fluchte ich. Ich riss den Schlüssel vom Nachttisch. Ich musste hier raus. Musste einfach weg. Weg von der Schublade. Raus aus der Negativspirale. Mein Kopf wusste das alles. Aber mein Herz, durchbohrt von all den Scherben, in die mein Leben wieder und wieder zerbrochen war, gehorchte meinem Verstand nicht. Das Gefühl, schon wieder etwas unfassbar Kostbares verloren zu haben, vergiftete mich mehr und mehr.
Achtlos packte ich meine Tasche, was ich mitnahm, oder ob ich etwas vergaß, war mir egal. Ich musste einfach raus aus dieser Stadt. Raus aus der Enge, die meine Kehle zudrückte und mir die Luft zu atmen nahm. Zum Schluss warf ich die Salbe in die Tasche. Allerdings erst, nachdem ich sie benutzt hatte. Dann rief ich meine Mum an, ich hätte eine Einladung bekommen zu einer Sylvesterparty und würde zurück zur Uni fahren. Keine Ahnung, ob sie mir glaubte. Keine Ahnung, ob sie ahnte, dass ich mal wieder nicht klarkam. Mein Gesicht nicht einmal im Spiegel ansehen konnte.
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Liebe Leser*innen,
das war das letzte Update vor der Winterpause bis zum 10.01.2021.Ich hoffe, ihr hattet bis hierher ganz viel Spaß mit der Story und seid gespannt wie es für Riley und Dawson weiter geht.
Was meint ihr? Wird es im neuen Jahr ein hAPPy EnD für die beiden geben?
Habt schöne Feiertage und bitte bleibt mir alle schön gesund!
Eure Janice

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Finally - Falling for you
RomanceBand 1 der "Finally"- Reihe. Die tiefsten Wunden bluten nicht. Schon seit frühester Jugend schwärmt die sechzehnjährige Riley für den attraktiven, aber launischen Dawson, der sie konsequent auf Abstand hält. Der Altersunterschied von sechs Jahren zw...