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„Das war das beschissenste Wochenende ever", erklärte ich Chad, als er am Sonntagabend zurückkam.

„Doch so gut?", lachte er. „Ich kann dir sagen, ich hatte auch das Komfortprogramm gebucht. War aber nichts." Stöhnend fiel er auf sein Bett, hob dann erst ein Bein, dann das andere und schnürte seine Sneakers auf.

„Du könntest versuchen deine Mum zu verstehen", schlug er vor, nachdem ich von ihrer Idee meine Schwester zu besuchen, erzählt hatte.

„Sie möchte ihr Leben weiterleben. Mit ihrer Tochter und ihrem Enkel. Du steckst noch immer in der Vergangenheit fest. Du kennst deinen Neffen nicht einmal. Er ist sicher ein süßer Kerl. Und Lydia ist doch extra mit ihrem Kind in eure Nähe gezogen. Nicht nur wegen deiner Mum. Auch wegen dir."

„Meinetwegen hätte sie in Cincinnati bleiben können oder dahinziehen, wo der Pfeffer wächst!" Ich zog mein Shirt über den Kopf und warf es in unseren Waschkorb.

„Und da wären wir wieder am selben Punkt. Es geht nicht nur um dich. Es geht ab und zu auch um die Bedürfnisse anderer. Manchmal ist es mit dir wie im Kindergarten. Ich will. Ich will nicht. Dawson, du bist keine drei mehr. Überleg. Deine Mum hat so viel mitgemacht. Erst deine Schwester und ihr Alki-Freund. Der Tod ihres Mannes. Dann diese Negativspirale mit dir und zu letzt deine Therapie. Die ständige Angst etwas falsch zu machen und dich wieder in die Klinik bringen zu müssen."

Ich schlang meine Arme um meine Knie, die ich auf dem Bett anwinkelte.

„Komm ihr und deiner Schwester doch mal einen Schritt entgegen. Wenn es dir nicht guttut, dann lässt du es eben wieder. Weihnachten ist doch perfekt. Die Umgebung ist vertraut und du kannst dich jederzeit aus der Sache rausnehmen. Lern doch einfach ihren Mann kennen. Und den Kleinen."

„Ich hab keine Geschenke."

Chad sah mich an, als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank. „Morgen öffnen die Geschäfte wieder. Und an den Tagen danach auch."

„Was schenkt man denn einem Kind?"

„Da bin ich nun nicht der Experte. Frag deine Mum. Sharon. Stacey oder diese Riley. Das ist definitiv deren Welt!"

„Ich denke darüber nach, okay? Aber nerv mich nicht damit. Ich muss mich langsam an die Sache anpirschen, bevor ich... ach, du weißt, was ich meine, ... wieder zu einem Wrack mutiere."

„Geht klar." Er grinste. „Was macht die Hausarbeit?"

„Fertig und ausgedruckt."

„Dann lass uns was essen gehen. Ich bin halb tot vor Hunger und bei Granny gab es nur Zeug ohne Salz. Bilanziertes Trinken. Naja, weißt ja, sie meint es immer extra gut."

Und wie ich das wusste.

„Ich geh duschen. Danach können wir starten. Was willst du essen? Verdammt, wo ist denn mein Handtuch?"

„Gute Idee. Je früher desto besser. Möglichst fettig. Hast du im Duschraum vergessen."

Okay. Toll. Ich hatte keine Ahnung auf was genau sich die Antworten jeweils bezogen.

„Kann ich noch etwas für dich tun? Du siehst aus, als bräuchtest du Hilfe?", bot Chad an.

„Nein, nein. Alles gut. Ich weiß jetzt wo mein Handtuch ist. Den Rest sehe ich dann."

Mit Weihnachten ging es mir wie mit Thanksgiving. Es kam viel zu schnell und zwei Tage bevor wir heimfahren wollten, hatte ich noch immer keinen Plan, was ich meinem Neffen schenken sollte oder meinem Schwager. Sicher war nur, dass ich meiner Schwester nicht mal einen Blick schenken würde.

„Ich kenne meinen Schwager doch gar nicht", murrte ich, während ich Lio durch das Einkaufscenter folgte.

„Du hättest deine Mum anrufen können", stellte Lio fest und wählte die Nummer seiner Schwester.

„Riley? Hi. Ist meine Schwester da? Was? Oh nein! Wie schlimm ist es? Ihgitt! Dreimal schon? Gut, dass ich nicht da bin. Bäh. Steck dich bloß nicht an. Oh! Dir ist auch schon schlecht. Ich glaub auch, das ist nur psychisch. Mir wird auch immer übel, wenn ich sie kotzen hör."

Eine Antwort reihte sich an die andere und ich schlussfolgerte daraus, dass mir Stacey wohl nicht sagen konnte, was ich für meinen Neffen besorgen sollte. Die betete auf Knien vor der Porzellanschüssel, dass ihr Magen endlich leer wurde.

„Ich gebe dir mal Dawson. Der hat Probleme", drang Lios Stimme an mein Trommelfell.

Was? Nein! Alles aber doch nicht...

„Hey Dawson. Stacey geht es mies. Fass dich bitte kurz, ja?", haspelte Riley ins Telefon und ich hörte, wie sie die Treppe runtertrampelte.

„Ich hatte nicht vor Opern zu texten", gab ich nach der Begrüßung angefressen zurück.

„Oh toll, Dawson. Deine miese Laune hat mir heute noch gefehlt zu meinem Glück. Red einfach oder lass es!", flötete sie jetzt so übertrieben freundlich, dass es an eine Unverschämtheit grenzte. Dummerweise brauchte ich sie. Daher blieb mir nichts anderes übrig, als tief durchzuatmen.

„Ich brauch was zu Weihnachten für meinen Neffen. Er ist zwei Jahre alt."
„Ich bin keine Bestellhotline! Was hat das mit mir zu tun?", stichelte sie und meine Geduld schrumpfte langsam auf die Größe eines Bakteriums.

„Ich dachte du hättest eine Idee. Nein, also eigentlich dachte Lio, Stacey hätte eine Idee."

„Großartiger Plan. Wir kennen deinen Neffen doch nicht." Im Hintergrund raschelte es. Offenbar schlüpfte sie gerade in ihre Jacke.
„Ich auch nicht." Ich nahm mal an, dieser Satz erklärte vollumfänglich mein Dilemma. Ich hatte mich entschieden, Weihnachten nicht Vogel Strauß mäßig den Kopf in den Schnee zu stecken, sondern mich dem kleinen Hosenscheißer zu stellen. Einen Augenblick war es still in der Leitung.

„Er ist zwei und du kennst ihn nicht?" Ganz schien es die Sache wohl doch nicht zu klären.

„Nein, das sagte ich doch gerade schon." Meine Hoffnung auf eine Lösung schwand.

„Das ist... ein Fall für den Disney-Store, würde ich sagen. Wenn du da heute bestellst, dann ist das Zeug bis Weihnachten noch da. Hör mal, ich muss jetzt echt in die Apotheke. Da kann ich schlecht Staceys Telefon mitnehmen. Ist noch was?" Sie klang merklich angespannt.

„Ich hätte noch einen Schwager." Jetzt schnaubte sie amüsiert.

„Lass mich raten. Den kennst du auch nicht?"

„Nie gesehen."

„Der ist zu alt für Disney, denke ich. Wie wäre es mit einem Kinogutschein?"

„Kommt gar nicht in Frage!", protestierte ich.

„Ich nehme an, weil du deiner Schwester nichts schenken möchtest?" Ich grinste. Das hatte sie ziemlich schnell geschnallt.

„Bist ein helles Köpfchen", äußerte ich.

„Dann schenk ihm einen Gutschein von einer dieser Kinozusammenschlüsse und sag ihm er soll mit einem Kumpel hingehen. Was anderes fällt mir spontan auch nicht ein. Sorry. Ich muss jetzt aufhören. Sharon schiebt mich schon gleich ohne Schuhe aus der Tür. Bei drei Grad und Regen. Das schreit nach einer Blasenentzündung."

„Riley?"

„Hm?", machte sie leise.

„Danke. Du hast mir wirklich geholfen."

Einen Augenblick war es still. Ich hörte nur ihren leisen Atem, meinen Herzschlag, dann das Lächeln in ihrer Stimme, als sie sagte: „Gern geschehen, Dawson."

Finally - Falling for you Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt