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Der nächste Tag begann für mich entspannt. Mum war spät nach Hause gekommen und schlief lange. Dad war nach wie vor abwesend. Miles hatte sich in seinem Zimmer mit Papierkram verschanzt, den er ewig aufgeschoben hatte.

Die Terrasse gehörte mir ganz alleine. Mit einem Roman und meinem Handy setzte ich mich nach draußen und genoss die Wärme. Nach einer guten Stunde klappte ich das Buch zu. Heute machte lesen keinen Sinn. Meine Gedanken waren überall, nur nicht bei meinem Buch. Immer wieder drängten sich Überlegungen zwischen die Zeilen und machten es unmöglich, den Inhalt des Romans zu erfassen.

Dass mir hundert Sachen durch den Kopf geisterten, lag an der verdammten Ruhe, die mich hier im Garten umgab. Ganz bestimmt. Die letzten Tage hatte ich immer Beschäftigung, Ablenkung gehabt. Nun nutzte Evelyn Bowbridge die Gunst der Stille, mich heimzusuchen. Ob es gut war, dass es noch kein Obduktionsergebnis gab? In diesen Arztserien ging das doch immer alles ruckzuck. Aufschneiden, reingucken und dann war klar, woran die Menschen gestorben waren. Vielleicht könnte ich einfach bei der Polizei nachfragen? Oder am See vorbeifahren und mich bei John erkundigen, ob er bereits etwas wusste. Da würde ich aber Justin möglicherweise über den Weg laufen, was ich gerne vermeiden würde. Ich könnte John auch einfach anrufen. Oder einfach laufen gehen, bis das Karussel in meinem Kopf sich wieder beruhigt hatte.

Ich räumte mein Buch weg und machte mich startklar. Dann machte ich meine übliche Runde. Viel schneller als gut war, bis meine Schenkel brannten und meine Waden schmerzten. Schweiß lief in Strömen über meinen Rücken und ich schnaufte wie eine Dampflok. Mein Puls war die ganze Zeit über viel zu hoch gewesen. Das würde dem Coach nicht gefallen, aber, und dieser Umstand gefiel mir, mein Kopf war endlich ruhig.

Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn und beschloss noch ein paar Meter für einen lockeren Cool-down zu laufen. Entspannt und in aller Ruhe, einfach die Straße weiter runter, an der Eisdiele vorbei in der mir Dawson den Pfefferminztee angedreht hatte und dann um die Grünfläche herum, auf der der Mann mit dem Hund gespielt hatte. Der war heute nicht da, stellte ich überflüssigerweise fest.

Nur ein Mädchen in einem blauen Jeanskleidchen, das barfuß über die Wiese lief und ein Gymnastikband durch die Luft flattern ließ. Ein dunkelhaariger Mann stand lächelnd am Rand der Wiese und beobachtete seine quirlige Tochter. Verhalten winkte er in meine Richtung. Thomas Bowbridge.

Mein Schicksal meinte es heute nicht gut. Die Gedanken an eben diese Familie hatte ich loswerden wollen und nun begegnete ich ihnen aug einer blöden öffentlichen Grünfläche. Ich winkte ebenfalls und überlegte einfach weiter zu laufen. Doch Melissa hatte mich entdeckt und kam auf mich zu gerannt. Ohne Scheu umarmte sie mich und ich schämte mich ein wenig deswegen. Ich war nass geschwitzt und fühlte mich gelinde gesagt einfach widerlich. Ungläubig stellte ich fest, dass Thomas nun auch noch den Rasen überquerte und auf mich zusteuerte.

„Hallo, Riley", begrüßte er mich. „Ziemlich heiß für Sport, oder?"

Ich zuckte mit den Schultern. „Beim Sport ist es immer heiß", antwortete ich und er schmunzelte. Dabei tätschelte er seinen Bauchansatz.

„Kann ich nicht sagen. Das letzte Mal liegt bei mir schon lange zurück. Ich bin nicht mal sicher, wie man joggen buchstabiert." Thomas strich seiner Tochter liebevoll ein paar Haare aus dem Gesicht.

„Melissa, möchtest du vielleicht ein Eis?", erkundigte er sich dann und zog eine Geldklammer aus seiner Jeans. Einen der unglaublich vielen Scheine reichte er Melissa und mit einem begeisterten Dank sprang sie in Richtung des Straßenverkaufs.

„Ich würde dir auch eins anbieten, aber ich denke du brauchst eher eine Dusche." Das war eine sehr offenherzige Aussage und ich hoffte, es bezog sich allgemein auf die Tatsache, dass ich Sport getrieben hatte und nicht auf einen möglichen unangenehmen Körpergeruch. In dieser Funktionskleidung wusste man ja nie, welche Bakterienstämme man unter den Armen züchtete und wie diese rochen.

„Ich wollte dich ohnehin heute anrufen", redete er bereits einfach weiter. „Das Ergebnis der Untersuchung ist da. Es gibt noch keinen offiziellen Bericht. Aber der Oberarzt der Pathologie hat mich heute Morgen vorab informiert."

Mir wurde leicht schwindelig, ich hatte wohl die Luft angehalten, während er sprach. Jetzt atmete ich erstmal tief durch.

„Es war kein Badeunfall, sondern ein Badetod." Die Augen des Witwers schimmerten leicht feucht und um Beherrschung bemüht presste er die Lippen zusammen. Sein Atem war zittrig.

„Evelyn hatte einen Herzstillstand. So wie es aussieht, war sie beinahe sofort tot." Er wischte sich unauffällig über die Augen und ich blickte betroffen zur Seite.

„Ich bin dir unfassbar dankbar, Riley, dass du ohne zu zögern reagiert hast. Wenn ich Mellissa auch verloren hätte... ich weiß nicht, ob ich das verkraftet hätte."

Er rieb sich über sein Kinn und wechselte übergangslos das Thema.

„Es wäre mir unglaublich wichtig, dass Melisa schwimmen lernt, Riley. Wir haben einen Pool im Garten. Ich hab ihn gestern abdecken lassen. Aber ich hab wirklich Höllenangst, dass Melissa reinfällt."

Alarmiert sah ich Thomas an.

„Wie abdecken lassen?", hakte ich gleich nach.

„Mit einer großen stabilen Plane", antwortete er.

„Kein guter Plan. Wenn sie unter die Plane gerät, kommt sie nicht mehr raus. Kommt selten vor, ist aber dann absolut fatal. Selbst wenn sie schwimmen kann. Wir haben das im Training getestet. Unter den Planen ist es finster, man bekommt schlecht Luft. Ich hatte echt Schiss da drunter und ich schwimm wie ein Fisch."

„Aber was soll ich sonst machen?", fragte er und legte einen Arm um Melissa, die mit ihrem Eis zurückgekommen war.

„Ihr Schwimmen beibringen?" Mann, das hatte ich doch schon bei unserem letzten Gespräch gesagt. Wie begriffsstutzig war der Kerl?

Melissa kicherte. „Das wird dann noch ein paar Jahre dauern. Da muss Dad erstmal selber schwimmen lernen."

„Ihr habt einen Pool im Garten und zwei Nichtschwimmer? Das ist doch völlig bescheuert! Und saugefährlich obendrein!", rutschte es mir raus. Aber ich verstand jetzt zumindest, warum Thomas gesagt hatte, er wolle eine Lehrerin für Melissa organisieren.

„Ich mach Euch einen Vorschlag. Ich gebe einfach euch beiden gemeinsam Unterricht. Bis zum Ende der Ferien kann Melissa viel sicherer schwimmen. Naja, bei dir kann ich es nicht sagen, Thomas. Kommt drauf an, wie du dich anstellst. Bei Erwachsenen dauert es meistens länger. Manchmal geht es aber auch viel schneller."

„Aber wir können dir doch nicht die Ferien ruinieren." Thomas wirkte verlegen.

„Ach wo, ich verbringe etwa sechzig Prozent meiner Freizeit im Wasser. Und die paar Stunden mehr machen mir wirklich nichts aus."

„Okay. Also. Wann würdest du denn anfangen wollen?" Thomas wirkte noch nicht überzeugt. Seine Tochter war es dafür umso mehr.

„Heute! Bitte! Dad! Heute!" Melissa sprang von einem Bein auf das andere.

„Ja, von mir aus." Ich hatte ja ohnehin nicht viel zu tun.

Thomas gab mir die Adresse und seine Handynummer, dann verabschiedete ich mich, versprach, gegen vier bei den beiden zu sein.

Finally - Falling for you Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt